Nach der Staatssekretär-Affäre: Feiert Graichen sein Comeback in der Ukraine?

Patrick Graichen, der im vergangenen Jahr wegen Vorwürfen der Vetternwirtschaft als Staatssekretär entlassen wurde, steht vor einem überraschenden Comeback: Die ukrainische Regierung plant, ihn in den Aufsichtsrat des staatlichen Energieunternehmens NPC Ukrenergo zu berufen. Was könnte hinter der Nominierung von Habecks ehemaligem Vertrauten stecken?
KKW
Patrick Graichen (l.) war bis Mai 2023 Staatssekretär von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (r.).Foto: John MacDougall/AFP via Getty Images
Von 30. November 2024

Nach Vorwürfen der Vetternwirtschaft musste Patrick Graichen im vergangenen Jahr als Staatssekretär aus dem Bundeswirtschaftsministerium ausscheiden. Bis zu diesem Zeitpunkt galt er als einer der engsten Vertrauten von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne).

Nun steht für den Ex-Staatssekretär offenbar ein Comeback bevor: Laut einer Pressemitteilung wurde Graichen von der ukrainischen Regierung als unabhängiges Mitglied für den Aufsichtsrat des staatlichen Energieunternehmens NPC Ukrenergo vorgeschlagen. Neben Graichen schlug das Ministerkabinett auch Luigi de Francisci, ehemaligen Topmanager des italienischen Energiekonzerns Terna, den ehemaligen dänischen Außenminister Jeppe Kofod sowie Jan Montell, ehemaligen Vorsitzenden der Boards von Nord Pool AS und Skarta Energy und Experten für Energiehandel und Infrastruktur, vor.

„Die Zusammensetzung der unabhängigen Mitglieder des Aufsichtsrats von NPC Ukrenergo wurde so gewählt, dass sie die notwendigen Kompetenzen zur Bewältigung der aktuellen Herausforderungen des Unternehmens und zur Umsetzung seiner Strategie mitbringen. Die Struktur des Aufsichtsrats umfasst vier Schlüsselkomponenten: Wirtschaftsdiplomatie, strategische Finanzierung und Gewinnung von Unterstützung, regulatorische Fragen sowie strategische Entwicklung“, heißt es in der Pressemeldung.

Unternehmen in technischer Insolvenz

Das Energieunternehmen befindet sich derzeit in einer schwierigen Lage. Anfang November kündigte der Konzern an, die Zahlungen im Rahmen seiner Schuldverschreibungen vorübergehend auszusetzen. Damit ist das Unternehmen in der sogenannten technischen Zahlungsunfähigkeit.

Eine technische Insolvenz tritt auf, wenn ein Unternehmen nicht mehr in der Lage ist, seine Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen, obwohl es noch über ausreichende Vermögenswerte verfügt. Das bedeutet, dass das Unternehmen illiquide ist – es fehlt ihm an flüssigen Mitteln oder leicht liquidierbaren Aktiva, um kurzfristige Schulden und Rechnungen zu begleichen, obwohl der Gesamtwert seiner Vermögenswerte die Verbindlichkeiten übersteigen kann. In einem solchen Fall könnte das Unternehmen durch Umstrukturierung, Verkauf von Vermögenswerten oder Verhandlungen mit Gläubigern möglicherweise weiter operieren und eine formelle Insolvenz vermeiden.

Signal an Gläubiger Vertrauen zu haben

Mit der Berufung der unabhängigen Mitglieder des Aufsichtsrats möchte die ukrainische Regierung auch ein Signal an die Gläubiger aussenden. So sieht das zumindest der ehemalige Vorstand von NPC Ukrenergo, Volodymyr Kudrytsky. Gegenüber der ukrainischen Nachrichtenagentur „Interfax Ukraine“ spricht Kudrytsky von einem Signal an die Gläubiger und Investoren, dass das Unternehmen über ein „gesundes“ Geschäftsklima verfüge. Das sei für den erfolgreichen Ausweg aus der technischen Zahlungsunfähigkeit von entscheidender Bedeutung, da dadurch die Finanzierung durch internationale Finanzinstitute freigegeben werde.

„Diese Finanzierung ist notwendig, um den Prozess der Umstrukturierung der Unternehmensschulden wieder aufzunehmen, der im September dieses Jahres durchgeführt werden sollte“, so Kudrytsky weiter.

Rückgrat der ukrainischen Energieinfrastruktur

NPC Ukrenergo ist mehr als ein Energieunternehmen. Als Übertragungsbetreiber ist es, dass das Rückgrat der ukrainischen Energieinfrastruktur und spielt eine Schlüsselrolle in der Modernisierung und Stabilisierung des Energiesektors. Alleiniger Aktieneigner der Aktiengesellschaft ist der ukrainische Staat, vertreten durch das ukrainische Finanzministerium. Gleichzeitig agiert das Unternehmen als Partner für internationale Investoren und Förderer, so unter anderem für die Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD).

Patrick Graichen sei „ein renommierter europäischer Experte für Klima- und Energiefragen“, heißt es in der Pressemitteilung von NPC Ukrenergo. Vor seiner Zeit als Staatssekretär war Graichen von 2014 bis 2021 Direktor der Lobbyorganisation „Agora Energiewende“. Ziel der Organisation ist es laut Website „fundierte und politisch umsetzbare Konzepte und Strategien, damit der Weg zur Klimaneutralität gelingt – in Deutschland, Europa und international“ zu entwickeln. Nach der Vetternwirtschaftsaffäre um Patrick Graichen im vergangenen Jahr wurde der Einfluss dieses Verbandes öffentlich kontrovers diskutiert. 

Die Bundestagsabgeordnete und ehemalige Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) war die Sache damals ganz klar: Ein grünes Energienetzwerk hat ganz Berlin im Griff, sagte sie gegenüber der „Süddeutschen Zeitung “. „Die stellen sich gegenseitig Gutachten aus“ und nähmen dann Einfluss auf die Politik der Bundesregierung, sagte die heutige Wirtschaftspolitikerin von der CDU damals. Und als wäre das nicht fragwürdig genug, stehe dahinter offensichtlich auch noch ein „Milliardär aus Amerika“, der alles finanziere. „Der macht das bestimmt nicht aus reinem Altruismus“, war sich Klöckner damals sicher.

Im Aufsichtsrat der Agora Energiewende sitzt als stellvertretender Vorsitzender der amerikanische Milliardär Hal Harvey, auf den Klöckner anspielt. Seine „Climate Imperative Foundation“ trägt ein Drittel des Agora-Etats – und sie finanziert auch die Berliner Stiftung Klimaneutralität, bei der wiederum der Gründungsdirektor der Agora Energiewende, Rainer Baake, heute Direktor ist. Baake wechselte 2014 als Ener­giestaats­sekre­tär in das Bundeswirtschaftsministerium, wo er bis 2018 tätig war.

Der Wunsch, zum Sieg der Ukraine beizutragen

Wie man der Pressemitteilung von NPC Ukrenergo entnehmen kann, wurde die Suche nach unabhängigen Mitgliedern des Aufsichtsrats vom US-amerikanischen Unternehmen Korn Ferry durchgeführt. Korn Ferry ist eine weltweit führende Personalberatung.

Die aktuelle Zusammensetzung der unabhängigen Mitglieder zeichneten sich durch eine „starke Kombination aus Professionalität und Unabhängigkeit aus“, kommentiert Roman Bondar, Country Chair, Korn Ferry Ukraine die Personalauswahl seines Unternehmens. Bei der Suche habe man besonderen Wert auf die „Teamleistung und die Schaffung einer starken Gruppendynamik zur Unterstützung der strategischen Transformation“ gelegt. Und Bondar weiter:

Jeder von ihnen ist nicht nur ein herausragender Experte auf seinem Gebiet, sondern verfügt auch über ein hohes Maß an Energie und den Wunsch, zum Sieg der Ukraine beizutragen.“

Die Auswahl Graichens kann eine politische Entscheidung sein. Seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine hat die Bundesregierung immer wieder deutlich gemacht, dass sie nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich eine führende Rolle beim Wiederaufbau der Ukraine spielen will.

Im Juni fand in Berlin die sogenannte „Wiederaufbaukonferenz“ für die Ukraine statt. In seiner Rede machte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) deutlich, dass er in der Ukraine in Zukunft ein Wirtschaftspotenzial sieht:

Der Wiederaufbau der Ukraine – das ist und das muss auch ein Business Case sein. Dabei werden diejenigen vorn dabei sein, die sich frühzeitig engagieren, die ihre Wirtschaftsbeziehungen zur Ukraine jetzt pflegen und ausbauen.“

Für die deutsche Wirtschaft, so der Kanzler damals, könne er sagen, dass sie genau das tue.

Graichen deutscher Vorposten in der Ukraine?

Nicht auszuschließen, dass Ex-Staatssekretär Graichen hier als Vermittler zwischen Kiew und Berlin agieren soll. Im April stattete Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck der Ukraine einen Solidaritätsbesuch ab. Wie die „Rheinische Post“ damals schrieb, sollte es bei dem Besuch um „die Stärkung der ukrainischen Energieversorgung und den Wiederaufbau des Landes“ gehen. „Wir müssen und werden die Ukraine dauerhaft und beharrlich unterstützen“, sagte Habeck damals.

Wirtschaftsminister Habeck hat sich immer wieder als ein großer Fürsprecher der Ukraine gezeigt. An der entscheidenden Ausrichtung Habecks Ministeriums war nach 2021 an vorderster Linie Patrick Graichen als einer der engsten Habeck-Berater beteiligt. Das Graichen nun eine Schlüsselposition in der Ukraine übernimmt, kann Zufall sein, muss es aber nicht.

Gegenwärtig ist der Ex-Staatssekretär nur ein Kandidat, nominiert von der ukrainischen Regierung. Er muss noch offiziell bestätigt werden. Als Signal kann man die Nominierung trotzdem durchaus verstehen.



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