Nach der Krise ist vor der Krise: Der Ostbahnhof in Budapest füllt sich von Neuem
Jetzt warten sie auf die nächsten Busse. Doch die kommen nicht. Am Mittag haben sich schon wieder mehr als 1500 Asylbewerber auf dem Bahnhofsgelände eingefunden. Nach der Krise ist vor der Krise.
Siham Daas sitzt apathisch auf einem Betonklotz. Die 26-jährige Mutter aus der syrischen Provinz Deraa ist verzweifelt. Sie hat die vergangene Nacht mit ihrem Mann und den drei Töchtern nicht am Bahnhof verbracht, sondern in der Wohnung einer hilfsbereiten Ungarin. „Wir wollten endlich wieder duschen, und jetzt haben wir die Busse zur Grenze verpasst“, sagt sie mit erstickter Stimme. Was sie jetzt tun will? „Wir warten. Und Gott wird uns helfen.“
Ihre Töchter freuen sich über die Schokoriegel und Spielsachen, die von jungen ungarischen Helfern verteilt werden. Doch die Mutter ist untröstlich. Sie will nicht essen, sie will nicht lächeln, sie will nur weg – nach Deutschland.
Ihr Mann hat im türkischen Izmir ein Jahr lang gearbeitet, um die Überfahrt mit dem Boot, den Schlepper und die Weiterreise bis nach München bezahlen zu können. Hinter ihr haben Flüchtlinge „I want to go to Germany“ mit farbiger Kreide auf eine Betonwand geschrieben.
Viele der Menschen, die hier im Minutentakt eintreffen, kommen, weil sie gehört haben, dass man jetzt von hier aus mit dem Bus zur österreichischen Grenze gebracht werde. Die Syrer, Afghanen, Iraker und Pakistaner sind tief enttäuscht, als sich herumspricht, dass dies nur eine einmalige Aktion gewesen sein soll.
Auch Fereschteh Asami aus Afghanistan hatte Pech. Er wurde mit seiner Frau und den beiden kleinen Kindern in der Nacht von den ungarischen Behörden aus einem Asylbewerberlager nahe der serbischen Grenze per Bus nach Budapest gebracht – allerdings nicht zum Ostbahnhof. Die Familie aus Herat irrte im Regen durch die Großstadt. Als sie am Bahnhof eintraf, waren die Busse schon weg. Jetzt hat sich Asamis Frau mit den Kindern in der Unterführung auf einer Decke niedergelassen. Die Afghanin trägt Jeans. Ihr Kopftuch liegt lose auf dem Haar.
Oben auf den Gleisen herrscht Ratlosigkeit. Mohammed Rahim (34) hat für sich und seine Frau Nariman (25) Zugfahrkarten gekauft. Tickets nach Wien wollte ihm der Mann am Fahrkartenschalter nicht geben. „Hegyeshalom“ steht auf dem Fahrschein. Das ist der letzte ungarische Ort vor der Grenze zu Österreich. Das Ehepaar hat die vergangene Nacht in einem kleinen Hotel in der Nähe des Bahnhofs verbracht. Die Syrerin aus Damaskus ist erkältet und müde. Frustriert zeigt sie auf eine Nachricht, die sie von syrischen Bekannten heute früh erhalten hat: „Mensch, wo seid ihr, wir sind schon in Österreich“, steht da in arabischer Sprache.
Dann öffnet sie auf ihrem Smartphone die Fotoleiste. Sie zeigt Bilder von einem ungarischen Erstaufnahmelager an der Grenze zu Serbien. Man sieht blaue Zeltplanen, Dreck, Pritschen und Europaletten, auf denen Armeeschlafsäcke liegen.
Auch wenn die Regierungen betonen, die Bus-Aktion werde sich nicht wiederholen – die Botschaft, die bei den Flüchtlingen angekommen ist, lautet trotzdem: Ungarn ist kein angenehmes Transitland, aber wer es einmal bis hierher geschafft hat, der landet irgendwann auch in Wien oder München.
(dpa)
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