Nach dem Sturz von Assad: Sind Alawiten und Christen in Gefahr?
Die Assads gehören der ethnisch-religiösen Gemeinschaft der Alawiten an. Das Mausoleum befindet sich in der Stadt Qardaha in der von Alawiten besiedelten Provinz Latakia. Hafiz al-Assad, der das Land von 1971 bis 2000 mit harter Hand regierte, gilt als Gründer des modernen säkularen syrischen Staates, der nun offenbar der Vergangenheit angehört.
Wer die wahren Herrschaftsverhältnisse in Syrien analysieren möchte, die bis in jüngster Vergangenheit dort dominierten, kommt nicht um die verschlossene Welt der alawitischen Geheimreligion umher.
Die alawitischen Gebirgsdörfer an der syrischen Mittelmeerküste bei Latakia und Taurus hatten ohne Zweifel von dem rasanten Aufstieg des Generals Hafiz al-Assad profitiert. Statt armseliger Hütten, die dort bis 1970 das Bild prägten, stehen dort heute stabile Beton- und Mauerwerksbauten. Der politische Einfluss der einst verfemten Alawiten stieg während der französischen Mandatszeit nach dem Ersten Weltkrieg. Damals hatte Paris einen Alawiten-Staat entworfen, um die vielen religiösen und ethnischen Gruppen Syriens gegeneinander auszuspielen.
Aleviten und Alawiten
Die Alawiten sind nicht mit den Aleviten in der Türkei zu verwechseln. Für beide Glaubensrichtungen spielt zwar die Verehrung des Kalifen Alis – der Vetter und Schwiegersohn des Propheten Mohammed – eine herausragende Rolle, hinsichtlich ihrer geschichtlichen Traditionslinien, Glaubensvorstellungen, Rituale und Sozialstrukturen überwiegen die Unterschiede jedoch bei Weitem.
Ohne sich in theologischen Debatten zu verlieren, bleibt festzuhalten, dass sich die Alawiten im 9. Jahrhundert von der schiitischen Glaubensrichtung gelöst haben sollen. Bei strenggläubigen Sunniten gelten sie bis heute als Ketzer und waren im Laufe der Jahrhunderte schwersten Verfolgungen ausgesetzt. Alawiten folgen dem Koran, doch sie fasten während des Ramadan nicht. Sie feiern Weihnachten und glauben an Reinkarnation, schreibt Ulrike Putz im „Spiegel“. Die Bestandteile der religiösen Praxis werden nur Eingeweihten vermittelt.
Mit Frankreichs Unterstützung – Alawiten kommen an die Macht
Diese bedrängte Minderheit ergriff die Chancen, welche die Franzosen ihnen boten, mit vollen Händen. Die überwiegend verarmten und besitzlosen Alawiten drängten in das Militär und erlangten nach der Proklamation der syrischen Unabhängigkeit Schlüsselpositionen im neuen Staat.
Die damals aufkommende Ideologie des arabischen Nationalismus war geeignet, die alawitische Herrschaft zu zementieren, da dadurch ein strenges nationalistisches und säkulares Staatskonzept etabliert wurde.
Als sich die Kolonialmächte aus der Levante zurückzogen, erreichte der arabische Nationalismus in den 1960er-Jahren den Höhepunkt seiner Anerkennung und Ausstrahlungskraft. Verkörpert wurde dieser von der Baath-Partei, die in vielen arabischen Ländern an die Macht kam.
Der arabische Nationalismus als Schutz religiöser Minderheiten
Der säkulare arabische Nationalismus stand allerdings von Anfang an in totaler Opposition zum islamischen Konzept der Umma, der Gesamtheit der Gläubigen. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass die Baath-Ideologie in Syrien gerade unter religiösen Minderheiten auf fruchtbaren Boden fiel. „Arabische Wiedergeburt und arabischer Sozialismus“ standen im Zentrum der politischen Bestrebungen in Ländern wie Ägypten, Libyen und vielen weiteren panarabischen Staaten. Dabei handelte es sich um keine Demokratien westlichen Typus.
Die von den Baath-Parteien propagierte Doktrin einer einzigen ungeteilten arabischen Nation scheiterte allerdings. Gründe dafür waren etwa das Zerwürfnis zwischen dem Irak und Syrien sowie die gescheiterten Fusionen von Staaten – wie zwischen Ägypten, Syrien und dem Irak 1963. Die jeweiligen Baath-Parteien zerfielen in nationalistische, regional gefärbte Staatsparteien.
Das brennende Assad-Mausoleum
Das brennende Mausoleum von Hafiz al-Assad ist diesbezüglich ein schlimmes Omen für die Zukunft der Alawiten in der Region. Die Einnahme Syriens durch Islamisten verschiedener Strömungen und die weitere Einflussnahme verschiedener Mächte wie die Türkei, Israel, Russland und die USA könnte in naher Zukunft nicht nur für die syrische Bevölkerung, sondern für die ganze Region schlimme Folgen haben.
„Christen nach Beirut, Alawiten ins Grab“
Vor allem Christen, die etwa 10 Prozent der syrischen Bevölkerung stellen, könnten sich mit Anfeindungen des neuen Bündnisses unter Führung der Miliz Hayat Tahrir al-Sham (HTS) konfrontiert sehen.
Bisher standen Christen unter dem Schutz des Assad-Clans. Es galt die Praxis, wodurch eine Minderheit andere Minderheiten vor der Mehrheit im Land schützte. 74 Prozent der Syrer sind Sunniten.
Unter Assad konnten Christen ihren Glauben offen praktizieren. Christliche Feiertage wurden in Syrien anerkannt. Da das syrische Christentum weder staatliche noch gesellschaftliche Diskriminierung unter dem Regime erlitt, galt Syrien als das sicherste Land für Christen im Nahen Osten. Das ist nun vorbei.
Die Christen des Nahen und Mittleren Ostens fühlen sich schon lange vom Westen verraten, ihre Anzahl schrumpft beständig. Vor rund 100 Jahren waren Christen mit rund 20 Prozent der Bevölkerung ein „wahrnehmbarer Teil der orientalischen Gesellschaft“, schreibt SWR-Kirchenexperte Ulrich Pick. Mittlerweile seien sie mit deutlich unter 5 Prozent eine kleine Randgruppe, ergänzt Islamwissenschaftler Matthias Vogt.
Was wird aus den Minderheiten?
HTS-Führer Ahmed Hussein al-Scharaa (früher bekannt unter seinem Kampfnamen Abu Mohammed al-Golani / al-Dschulani / al-Julani) hatte noch im Bürgerkrieg erklärt, dass für Minderheiten wie Christen, Drusen oder Alawiten nach einer „syrischen Revolution“ kein Platz sein werde.
Auf den während des Bürgerkrieges im Internet veröffentlichten Videos von Anti-Assad-Demonstrationen erschallte immer wieder der Schlachtruf „Christen in den Libanon, Alawiten in den Sarg“, berichtete Ulrike Putz 2012 im „Spiegel“. Im Arabischen reime sich das.
Die Minderheit der Drusen, die vorwiegend im Süden Syriens beheimatet sind, haben unterdessen laut einem Artikel von „The Telegraph“ ihre Angst vor einer „ISIS-ähnlichen Regierung“ geäußert. Sie wünschen sich Schutz aus Israel, so die Zeitung.
Ungewisse Zukunft
Mittlerweile schlägt HTS-Führer al-Scharaa gemäßigtere Töne an. Er hat erklärt, dass das neue Syrien von Pluralität gekennzeichnet sein solle.
Bis jetzt verhielten sich die neuen Machthaber „staatstragend“, berichtet Saad Mohammed in einer Reportage der NZZ; doch die Zukunft sei ungewiss. Der Oppositionelle Alawit arbeitet mit Gleichgesinnten anderer Religionsgruppen an der Erstellung eines neuen Gesellschaftsvertrags.
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