Nach Assads Sturz: Ungewisse Rückkehr für Flüchtlinge aus Syrien
Nach dem Sturz des syrischen Machthabers Baschar al-Assad wird in Europa über eine mögliche Rückkehr der Flüchtlinge aus Syrien diskutiert. Auch bei einem EU-Innenministertreffen am Donnerstag in Brüssel dürfte das Thema eine Rolle spielen. Die Außenminister der EU beraten am 16. Dezember in Brüssel über Syrien.
Wie ist die Lage in Deutschland?
Das Bundesamt für Flüchtlinge und Migration hat die Entscheidung über Asylanträge von Syrern vorerst ausgesetzt. Betroffen sind gut 47.000 bisher unbearbeitete Erst- und Folgeanträge aus diesem Jahr.
Die meisten Menschen aus Syrien erhalten in der Regel kein Asyl, sondern einen sogenannten subsidären Schutzstatus. Dieser kann gewährt werden, wenn eine Gefahr für Leib und Leben im Heimatland droht, etwa durch Verfolgung, Folter oder ein Todesurteil. Insgesamt lebt knapp eine Million Syrer in Deutschland.
Wie gehen andere europäische Länder vor?
Auch andere EU-Länder haben laufende Asylverfahren vorerst ausgesetzt oder wollen dies tun. Dazu gehören Belgien, Dänemark, Frankreich, Griechenland, Italien, Kroatien, Österreich und Schweden.
Nach bisher unveröffentlichten Angaben der EU-Asylagentur waren Stand Ende Oktober gut 108.200 Erstanträge syrischer Staatsbürger in den 27 EU-Ländern anhängig. Außerhalb der EU haben die Schweiz, Großbritannien und Norwegen ähnliche Schritte angekündigt.
Welche Rolle spielt die Türkei?
Die Türkei hat mehr Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen als jedes andere Land der Welt – laut UNHCR-Angaben sind es 3,5 Millionen. Sie haben einen vorübergehenden Schutzstatus erhalten.
Die hohe Anzahl hängt mit dem Abkommen zwischen der EU und der Türkei zusammen: Die EU finanziert seit 2016 die Versorgung syrischer Flüchtlinge auf türkischem Boden. Dafür hindert Ankara die Flüchtlinge daran, in andere EU-Staaten zu reisen. Zudem gewährt das Abkommen türkischen Staatsangehörigen visafreie Reisen in die EU. Weitere 3 Milliarden Euro erhielt die Türkei dafür von der EU im Juni 2022.
60 Prozent der Flüchtlinge wollten laut Umfragen im Jahr 2021 „unter keinen Umständen nach Syrien zurückkehren“. Gleichzeitig hoffen 82 Prozent der Türken auf ihre Abschiebung. Syrer sehen sich scharfen Anfeindungen ausgesetzt; es gab Ausschreitungen – und Zwangsabschiebungen.
Nun steht die Forderung nach einer schnellen Rückkehr im Raum, die flüchtlingsfeindliche Stimmung nimmt zu. Mit einer Ausreise verwirken Syrer ihr Aufenthaltsrecht und können erst einmal nicht wieder in die Türkei zurückkehren.
Sind bereits Abschiebungen geplant?
Österreich hat ein „geordnetes Rückführungs- und Abschiebeprogramm nach Syrien“ angekündigt, wie Bundeskanzler Karl Nehammer am Montag der „Bild“sagte.
In Deutschland fordert die Union von der Bundesregierung, ebenfalls ein derartiges Rückkehrprogramm auszuarbeiten – diese hält das allerdings angesichts der unsicheren Lage in Syrien für verfrüht.
Können Syrer einfach so abgeschoben werden?
Nein. Es gilt der Grundsatz der Nichtzurückweisung (Non-Refoulement). Er verbietet die Ausweisung, Auslieferung oder Rückschiebung von Personen, wenn ihnen im Zielland Folter, unmenschliche Behandlung oder schwere Menschenrechtsverletzungen drohen.
Dabei handelt es sich um einen völkerrechtlichen Grundsatz, der unter anderem in der Genfer Flüchtlingskonvention verankert ist.
Ist mit dem Sturz des Assad-Regimes der Schutzgrund entfallen?
Nicht automatisch. Ein Widerruf des Flüchtlingsstatus gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 erfordert „grundlegende und dauerhafte Änderungen im Herkunftsland“, wie das Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) klargestellt hat.
Das UNHCR und die EU-Kommission hatten in den vergangenen Tagen betont, es sei noch zu früh, die Entwicklung der Lage in Syrien zu bewerten. Eine freiwillige Rückkehr von Menschen sei jedoch möglich.
Wann gibt es Klarheit?
Das lässt sich derzeit nicht sagen. Die Islamistengruppe Hajat Tahrir al-Scham (HTS) hat ihr Mitglied Mohammed al-Baschir zum Chef einer Übergangsregierung ernannt. Bisher unterhält die Europäische Union keine Kontakte zur HTS. Die EU hat die HTS wie die Vereinten Nationen als Terrorgruppe eingestuft.
Wie geht es nun weiter?
Erste Länder haben eine Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit den neuen Machthabern signalisiert. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und der französische Staatspräsident Emmanuel Macron machten dafür die Achtung grundlegender Menschenrechte und den Schutz ethnischer und religiöser Minderheiten zur Bedingung. (afp/red)
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