Millionen Demonstranten in Frankreich: Entscheidende Woche für Macrons Prestigeprojekt Rentenreform

Die Vorlage zur Rentenreform in Frankreich ist im Parlament. Zwei Drittel der Bevölkerung lehnen sie ab. Die Gewerkschaften mobilisieren weiter Proteste.
Demonstranten halten ein Transparent mit der Aufschrift «Rücknahme der ungerechten Rentenreform» während eines Protestmarsches in Bayonne.
Demonstranten halten ein Transparent mit der Aufschrift „Rücknahme der ungerechten Rentenreform“ während eines Protestmarsches in Bayonne.Foto: Robert Edme/AP/dpa
Von 8. Februar 2023

Begleitet von Massenprotesten und Streiks geht die geplante Rentenreform in Frankreich in ihre entscheidende Woche. Seit Montag (6. Februar) debattiert das Parlament über den Entwurf der Regierung von Präsident Emmanuel Macron. Auf den Straßen geht derweil der Protest weiter.

Am Dienstag sollen zahlreiche Bahnen und Busse ausgefallen sein. Bei den Zügen und der Pariser Metro wurde nach Angaben der Betreiber erneut mit „schweren Störungen“ gerechnet. Zudem wurde am Dienstag  jeder fünfte Flug am Flughafen Orly im Süden der Hauptstadt gestrichen. Die Gewerkschaften hatten für diesen Tag zudem erneut zu Protesten aufgerufen.

Vorhaben umfasst drei große Kernbereiche

Kern der geplanten Rentenreform ist die Anhebung des regulären Renteneintrittsalters von 62 auf 64 Jahre. Dieser Prozess soll sich bis 2030 in Etappen vollziehen. Darüber hinaus will die Regierung die Anzahl der Einzahlungsjahre bis zum Bezug der Altersrente in voller Höhe anheben.

Ein voller Rentenanspruch unabhängig von der Anzahl der Beitragsjahre soll jedoch weiterhin ab 67 bestehen. Außerdem soll die monatliche Mindestrente auf etwa 1.200 Euro brutto steigen. Sonderbestimmungen für Menschen, die bereits sehr lange im Arbeitsprozess stehen oder unter besonders harten Bedingungen arbeiten, sollen soziale Härten abfedern.

Zudem will Macron mit der Rentenreform das System insgesamt einheitlicher und transparenter gestalten. Derzeit gibt es eine Vielzahl an Einzelsystemen, die mit Privilegien für bestimmte Berufsgruppen verbunden sind. Die Gewerkschaften sehen darin eine Errungenschaft, die es zu erhalten – immerhin sind die Sonderbestimmungen auch ein Ausdruck ihrer jeweiligen Bemühungen.

Rentenreform soll demografischer Entwicklung in Frankreich Rechnung tragen

Wie „France24“ berichtet, hat Arbeitsminister Olivier Dussopt die Reform als „notwendig für das Überleben des Rentensystems“ bezeichnet. Die Lebenserwartung der Franzosen habe sich erhöht, gleichzeitig sinken die Geburtenraten weiter – sogar unter Berücksichtigung von Zuwanderung.

Laut Prognosen des französischen Statistikamts INSEE wird die Anzahl der Rentner im Jahr 2040 bei ungefähr 12 Millionen liegen. Demgegenüber erreiche die Anzahl der Erwerbstätigen nur noch die Zahl von ungefähr 20 Millionen.

Es gibt jedoch auch andere Schätzungen, die eine höhere Anzahl an Rentnern und eine geringere Anzahl an Erwerbstätigen prognostizieren. Auch Regierungssprecher Olivier Véran geht von einem solchen Szenario aus. Während es 1960 noch vier einzahlende Arbeitnehmer auf einen Rentner gegeben habe, seien es bald nur noch anderthalb, erklärte er. Véran betont:

Das ist keine aufrechterhaltbare Situation, weil sie uns kollektiv in Gefahr bringt.“

Linkspartei La France Insoumise bombardiert Parlament mit Änderungsanträgen

In der Pariser Nationalversammlung signalisierte Dussopt, die Regierung sei offen für Verbesserungen. Neben der höheren Mindestrente soll es beispielsweise Maßnahmen zur Beschäftigung von Senioren geben. Die Reform soll zudem helfen, jährliche Einsparungen in Höhe von 18 Milliarden Euro (19,5 Milliarden Dollar) sicherzustellen.

Gewerkschaften und Parteien wie die Linksfraktion La France Insoumise (LFI; Ungebeugtes Frankreich) wollen hingegen den Anteil großer Unternehmen oder wohlhabenderer Haushalte zur Rentenkasse erhöhen.

LFI hatte bereits im Vorfeld der Parlamentsdebatte mehrere Tausend Abänderungsanträge eingebracht. Die Gewerkschaften hatten an ihren bisherigen beiden großen Protesttagen landesweit nach eigenen Angaben mehr als 2,5 Millionen Demonstranten mobilisieren können. Die Polizei sprach von 1,3 Millionen. In jedem Fall ist der Protest der größte in Frankreich seit 2010.

Zwei Drittel dagegen – und es werden stetig mehr

Aber auch in der Breite der Bevölkerung nimmt die Akzeptanz des Vorhabens ab. Frederic Dabi vom Meinungsforschungsinstitut ifop erklärt gegenüber AFP, zwei Drittel der Franzosen seien mittlerweile gegen die Rentenreform. Die Zahl scheine sogar noch zu wachsen:

Je mehr die Franzosen über die Reform erfahren, desto weniger unterstützen sie sie. […] Das ist überhaupt nicht gut für die Regierung.“

Demonstranten werfen der Regierung vor, den Protest zermürben und in die Resignation treiben zu wollen. Außerdem werde Menschen in körperlich anstrengenden Berufen wie Bauarbeitern nicht angemessen Rechnung getragen.

Die Vorstellungen der Regierung, ältere Arbeitnehmer im Arbeitsprozess zu halten, seien unrealistisch. Immerhin zeigten sich Unternehmen nicht bereit, ältere Arbeitnehmer einzustellen und zu halten. Auch deshalb lassen Gegner der Rentenreform den Vergleich mit dem höheren Regelrentenalter in Deutschland nicht gelten. Im Nachbarland sei die Beschäftigungsquote älterer Arbeitnehmer deutlich höher.

Ein Angehöriger der Lehrergewerkschaft äußert zudem, in Deutschland seien die Gehälter für Grundschullehrer doppelt so hoch – und die Schulklassen deutlich kleiner.

Zugeständnis könnte Stimmen der Republikaner für Rentenreform sichern

Macrons Regierung hatte bei den Parlamentswahlen im Vorjahr ihre Mehrheit im Parlament verloren. Neben LFI lehnt auch die rechte Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen die Rentenreform als behaupteten Angriff auf die französische Lebensart ab. Dennoch hofft der Präsident, mithilfe der konservativen Republikaner die erforderlichen Stimmen für die Rentenreform erreichen zu können.

Dafür hatte Premierministerin Elisabeth Borne am Sonntag ein wichtiges Zugeständnis gemacht. So solle es zwar bei der Erhöhung des Mindestrentenalters auf 64 bleiben. Wer jedoch bereits im Alter zwischen 20 und 21 Jahren mit der Arbeit begonnen habe, solle Aussicht auf eine Ausnahmeregelung haben. Diese soll es ihnen ermöglichen, auch künftig bereits mit 63 Jahren aus dem Arbeitsleben auszuscheiden.

Der Chef der Republikaner, Eric Ciotti, erklärte gegenüber der Zeitung „Parisien“, er sei bereit, die Reform zu unterstützen. Dies könnte der Regierung die erforderliche Mehrheit sichern.

(Mit Material von AFP)



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