Militärgouverneur: Knapp 60 Prozent der Südostukraine von Russland besetzt
Das Verteidigungsministerium in Kiew hat nach den ersten Raketenangriffen auf die ukrainische Hauptstadt seit Ende April vor der Gefahr neuer Attacken gewarnt.
„Wir haben immer offen gesagt, dass Kiew ständig der Bedrohung ausgesetzt ist“, sagte Vizeverteidigungsministerin Hanna Maljar am Sonntag im Fernsehen. Auch wenn viele Menschen inzwischen zurückkehrten: „Wir sollten trotzdem begreifen, dass der Krieg in einer heißen Phase ist und Kiew als Hauptziel der Russischen Föderation erhalten bleibt.“ In der Nacht zum Montag gab es erneut Luftalarm in Kiew.
Am Sonntag hatte der ukrainische Generalstab von mehreren Raketeneinschlägen in Kiew berichtet. Laut Bürgermeister Vitali Klitschko wurde ein Mensch verletzt.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte in einer am Abend veröffentlichten Video-Ansprache: „Der Krieg Russlands gegen die Ukraine muss so schnell wie möglich beendet werden.“ Er äußerte sich jedoch nicht dazu, wie das geschehen soll. Russland beklagt, dass die Ukraine die Verhandlungen über ein Ende der Kampfhandlungen auf Eis gelegt habe. Die Ukraine kämpft seit mehr als 100 Tagen gegen die russische Invasion. Die Vereinten Nationen haben bisher mehr als 4100 getötete Zivilisten registriert, gehen aber von weitaus höheren zivilen Opferzahlen aus.
Selenskyj besucht umkämpfte Region Saporischschja
Bei einem Besuch in der umkämpften Region Saporischschja informierte sich Selenskyj über die militärische Lage. Knapp 60 Prozent der südostukrainischen Region seien seit dem russischen Einmarsch am 24. Februar inzwischen von Moskaus Truppen besetzt worden, sagte der Militärgouverneur des Gebiets, Olexander Staruch, bei dem Gespräch mit dem Präsidenten in der Großstadt Saporischschja. „Viele Menschen treffen aus Orten ein, die zeitweise vom Feind besetzt sind“, schilderte Selenskyj. Die Flüchtlinge bräuchten Wohnungen und Arbeit.
Nach Saporischschja waren auch besonders viele Menschen aus der umkämpften Ostukraine geflüchtet, darunter aus dem Gebiet Donezk. Dort liegt auch die Hafenstadt Mariupol, in der prorussische Separatisten mithilfe von Moskaus Truppen im Mai die Kontrolle übernommen hatten. Die Kämpfe im Donbass dauern an.
Kampf um Sjewjerodonezk: Ukraine erleidet Rückschläge
Ein Schwerpunkt ist das Verwaltungszentrum Sjewjerodonezk im Gebiet Luhansk. Regionalgouverneur Serhij Gajdaj sagte am Montag, die Lage für die ukrainische Armee in Sjewjerodonezk habe sich nach jüngsten Erfolgen wieder „verschlechtert“. „Die Kämpfe in Sjewjerodonezk sind sehr heftig“, sagte Gouverneur Gajdaj dem ukrainischen Fernsehsender 1+1. Die russischen Truppen hätten ihre Angriffe auf die Stadt und das benachbarte Lyssytschansk nochmals verschärft.
„Unseren Verteidigern ist es gelungen, einen Gegenangriff zu starten und die Hälfte der Stadt zu befreien, aber die Situation hat sich für uns verschlechtert“, fügte Gajdaj hinzu. Die russische Armee zerstöre „alles mit ihrer üblichen Taktik der verbrannten Erde“ – damit es „nichts mehr zu verteidigen gibt“.
Sjewjerodonezk ist die letzte größere Stadt der Region Luhansk im Donbass, die von Russland noch nicht erobert wurde. Erklärtes Ziel der russischen Streitkräfte ist es, die gesamte Donbass-Region, zu der auch die Region Donezk gehört, einzunehmen.
Ukraine bestätigt Tod von russischem General
Das ukrainische Militär hat nach eigenen Angaben einen weiteren hochrangigen russischen Offizier im Generalsrang getötet. Der Kommandeur des 1. Armeekorps der separatistischen Donezker Volksrepublik, Generalmajor Roman Kutusow, sei „entnazifiziert und entmilitarisiert“ worden, teilte die Verwaltung für strategische Kommunikation der ukrainischen Streitkräfte laut dem Online-Portal „Ukrajinskaja Prawda“ in der Nacht zum Montag mit. Über den Tod Kutusows hatte zuerst ein Korrespondent des russischen Staatsfernsehens berichtet.
Kutusow soll gefallen sein, während er einen russischen Angriff auf eine Ortschaft nahe Popasna im Gebiet Luhansk im Osten der Ukraine leitete. Die ukrainische Seite hatte zuvor berichtet, die russische Attacke sei abgewehrt worden und der Feind habe sich unter „erheblichen Verlusten“ zurückziehen müssen.
Zeitung: Spanien will Ukraine Leopard-Panzer liefern
Spanien will nach einem Bericht der Zeitung „El País“ der Ukraine deutsche Kampfpanzer vom Typ Leopard 2 A4 sowie Luftabwehrraketen liefern. Es handele sich um stillgelegte Panzer, die erst für den Einsatz vorbereitet werden müssten, schrieb die Zeitung am Sonntag unter Berufung auf Informationen aus dem Verteidigungsministerium in Madrid. Die Ausbildung ukrainischer Soldaten an den Panzern solle zunächst in Lettland und später in Spanien erfolgen. Die Deutsche Presse-Agentur hat das Ministerium um eine Stellungnahme zu dem Bericht gebeten, eine Antwort stand zunächst noch aus.
Es wäre das erste Mal, dass die Ukraine im Kampf gegen die russische Armee westliche Kampfpanzer erhielte. In Deutschland haben Politiker der Regierungspartei SPD bisher betont, es gebe eine informelle Übereinkunft zwischen den Nato-Staaten, solche Waffen nicht zu liefern. Dem Zeitungsbericht zufolge könnten rund 40 von 108 Leopard-Panzern, die Spanien 1995 gebraucht in Deutschland gekauft habe, wieder einsatzbereit gemacht werden.
London will erste Mehrfachraketenwerfer liefern
Großbritannien will der Ukraine im Kampf gegen die russische Aggression erstmals Mehrfachraketenwerfer mit hoher Reichweite liefern. Die britische Regierung gab an, mehrere Raketensysteme des Typs M270 mit bis zu 80 Kilometer Reichweite in das Land zu schicken, nach BBC-Informationen sollen es zunächst drei sein. „So wie Russlands Taktik sich verändert, so muss sich auch unsere Unterstützung verändern“, sagte der britische Verteidigungsminister Ben Wallace am Montag einem Statement zufolge.
Die hochpräzisen Waffen würden es der Ukraine ermöglichen, sich besser gegen die brutalen Angriffe Russlands zu wehren, die mit ihrer Langstreckenartillerie Städte dem Erdboden gleichmachten. „Wenn die internationale Gemeinschaft weiter unterstützt, glaube ich daran, dass die Ukraine gewinnen kann“, sagte Wallace.
Putin warnt vor Lieferung von Raketen mit hoher Reichweite
Das russische Militär hat mehrfach angekündigt, die westlichen Waffenlieferungen ins Visier zu nehmen. Immer wieder meldet Moskau die Zerstörung von schweren Waffen und Munition. Präsident Wladimir Putin hat für den Fall einer Lieferung westlicher Raketen mit hoher Reichweite an die Ukraine mit schweren Angriffen auf das Land gedroht.
„Wenn sie liefern, dann werden wir daraus die entsprechenden Schlüsse ziehen und unsere Mittel der Vernichtung, von denen wir genug haben, einsetzen, um jenen Objekten Schläge zu versetzen, die wir bisher nicht angreifen“, sagte Putin in einem am Sonntag veröffentlichten Interview des Staatsfernsehsenders Rossija 1. Ziel der westlichen Waffenlieferungen sei es, den Konflikt in der Ukraine möglichst in die Länge zu ziehen, meinte er.
Russland will Getreidelieferungen zulassen
Die russische Führung hat einem Medienbericht zufolge mit Kiew und Ankara ein Schema zur Freigabe von Getreidelieferungen aus dem bisher blockierten Schwarzmeerhafen Odessa abgestimmt. „In den Hoheitsgewässern des Nachbarlands übernehmen türkische Militärs die Minenräumung und sie werden auch die Schiffe bis in neutrale Gewässer begleiten“, beschrieb die kremlnahe Tageszeitung „Iswestija“ am Montag unter Berufung auf Regierungskreise den geplanten Ablauf.
Die russische Blockade ukrainischer Häfen führte speziell in den armen Ländern Afrikas zu Befürchtungen einer Hungersnot, da das Land zu den größten Exporteuren von Getreide zählt. Außenminister Lawrow wird am Mittwoch in der türkischen Hauptstadt zu Gesprächen erwartet.
Die nahe an der Grenze zur Ukraine gelegene Ortschaft Tjotkino in der Region Kursk im Westen Russlands ist nach Behördenangaben erneut beschossen worden. „Tote und Verletzte hat es nicht gegeben“, teilte Gouverneur Roman Starowoit am Montag auf seinem Account im sozialen Netzwerk vkontakte mit. Die russische Führung, die den Angriffskrieg gegen die Ukraine selbst am 24. Februar begonnen hat, beklagt seit Wochen immer wieder ukrainische Angriffe auf das eigene Staatsgebiet.
Kreml bezeichnet Luftraumsperre als „feindliche Handlung“
Der Kreml kritisiert die Sperrung des europäischen Luftraums für Russlands Außenminister Sergej Lawrow nach dessen geplatzter Serbien-Reise als „feindliche Handlung“. „Zweifellos können solche feindlichen Handlungen gegenüber unserem Land, gegenüber hochrangigen Vertretern unseres Landes gewisse Probleme verursachen und dazu führen, dass der Zeitplan dieser Kontakte um einige Zeit verschoben wird“, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Montag laut der Nachrichtenagentur Interfax. Diese Maßnahmen könnten aber prinzipiell Russlands gute Beziehungen zu freundschaftlich gesinnten Staaten wie Serbien nicht zerstören, fügte er hinzu.
Lawrow musste seine Reise nach Belgrad absagen, weil Bulgarien, Montenegro und Nordmazedonien dem Regierungsflugzeug des Ministers die Überflugrechte verweigerten. Lawrow steht wegen des russischen Angriffskriegs in der Ukraine auf der Sanktionsliste der EU. (dpa/afp/mf)
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