Milei in Hamburg von Hayek-Gesellschaft geehrt: „Den Kapitalismus aus der Defensive geholt“

Mit ihrer Ehrenmedaille hat die Hayek-Gesellschaft in Hamburg Argentiniens Staatspräsidenten Javier Milei ausgezeichnet. Dieser setzt seit Dezember des Vorjahres ein strikt an den Ideen der Österreichischen Schule orientiertes Reformprogramm durch – nicht ohne kurzfristige Verwerfungen. Heute wird der argentinische Präsident von Bundeskanzler Scholz im Berliner Kanzleramt empfangen.
Vor Scholz haben bisher nur wenige Staats- und Regierungschefs Milei seit dessen Amtsantritt empfangen.
Unter Milei ist erstmals seit langem der argentinische Staatshaushalt ausgeglichen und die Inflation ging zurück.Foto: Daniel Bockwoldt/dpa
Von 23. Juni 2024

In Hamburg hat die Friedrich-August-von-Hayek-Gesellschaft am Samstag, 22. Juni, Argentiniens Präsidenten Javier Milei mit ihrer Ehrenmedaille ausgezeichnet. Etwa 200 Personen haben sich zu der Veranstaltung eingefunden; mehrere Hundert Gegner des Staatschefs demonstrierten gegen das Treffen der Vereinigung und die Preisverleihung.

Milei: „Kulturkampf geführt – und jetzt setzen wir ihn in die Tat um“

Anlässlich der Preisverleihung attestierte der Vorsitzende der Hayek-Gesellschaft, Stefan Kooths, Milei, dieser bringe „den Kapitalismus aus der Defensive“. Seine Reformpolitik verglich er mit einer Chemotherapie: Deren Nebenwirkungen seien heftig, aber ohne sie wäre Argentinien dem Untergang geweiht.

Milei selbst stellte in seiner Rede Autobiografisches in den Mittelpunkt. Er beschrieb, wie er zur Österreichischen Schule und deren führenden Köpfen wie Friedrich August von Hayek und Ludwig von Mises gekommen sei. Er machte auch deutlich, dass man deren Ideen in zeitgemäßer Form präsentieren müsse, um Menschen damit anzusprechen.

In seiner Rede betonte er auch, dass sein Wirtschaftsplan funktioniere und sein Bemühen bereits jetzt „unerwartet Früchte trägt“. Er erklärte:

„Wir haben nicht nur den Kulturkampf geführt, sondern wir setzen ihn jetzt in die Tat um. Der Grund, warum die Sozialisten so gewalttätig sind, ist, dass es funktioniert und dass ihr Konzept zusammenbricht.“

Hayek-Gesellschaft verwahrt sich gegen Etikettierung Mileis als „ultrarechts“

Der Vorsitzende der Hayek-Gesellschaft, Stefan Kooths, erklärte gegenüber dem NDR über die Gründe für die Preisverleihung:

„Milei bekommt Hayek-Medaille dafür, dass er für ein dezidiert marktwirtschaftliches Reformprogramm in einer demokratischen Wahl eine breite Unterstützung erhalten hat.“

Dies erlaube es jetzt, Argentinien nach Jahrzehnten eines ökonomischen Siechtums wieder auf einen Weg des Wohlstands zurückzuführen.

Auf den Einwand hin, wonach sich Argentiniens Präsident „weltweit mit Rechten“ zeige, unterstrich Kooths, Milei habe als liberal denkender Mensch „keine Kontaktverbote im Hinterkopf“. Er selbst werbe jedoch bei jeder Gelegenheit für das Modell eines „antiautoritären Staates“. Allein schon der Umstand, dass er dem Staat keine weitreichenden Befugnisse einräumen wolle, zeige, dass die vielfach in Europa versuchte Stigmatisierung Mileis als „ultrarechts“ widersinnig sei.

Dass in Argentinien die Staatsmacht dennoch gegen Demonstranten zum Einsatz komme, sei ein Zustand, den man hierzulande auch kenne. Man erwarte auch in Deutschland, dass Demonstrationen im gesetzlich vorgesehenen Rahmen verliefen.

Mileis Reformkurs nütze vor allem den Ärmeren in Argentinien. Reiche könnten im Angesicht der ökonomischen Krise des Landes ihren Reichtum ins Ausland schaffen. Diese Möglichkeit hätten ärmere Bürger in Argentinien nicht. Diesen bleibe nur noch die Auswanderung – und der Neubeginn bei null.

Inflation und Armut weiter hoch – Milei rechnet allerdings mit signifikanter Trendwende

Zum Zeitpunkt des Amtsantritts von Milei im Dezember 2023 hatte die Inflationsrate in dem lateinamerikanischen Land 211,4 Prozent betragen. In den darauffolgenden Monaten stieg sie weiter auf 289,4 Prozent im April 2024 an. Im Mai ging sie erstmals wieder zurück, liegt allerdings nach wie vor bei 276,4 Prozent.

Das nationale Statistikamt des Landes hält einen drastischen Rückgang der Teuerung bis 2029 in einem einstelligen Bereich für wahrscheinlich. Internationale Institutionen wie der IWF sind deutlich weniger optimistisch – auch wenn sie dem Reformkurs Mileis ein intaktes Erfolgspotenzial zusinnen.

Auch die Armut ist seit dem Regierungsantritt Mileis weiter angestiegen. Derzeit gelten nach Berechnungen der Universidad Católica Argentina 55,5 Prozent der argentinischen Bevölkerung als arm und 17,5 Prozent als „extrem arm“. Allerdings hatten die entsprechenden Quoten bereits im Dezember 2023 bei 44,7 beziehungsweise 9,6 Prozent gelegen – wobei sich insbesondere die Corona-Maßnahmen als treibender Faktor gezeigt hatten.

Der Konsum von Milchprodukten sei seit Jahresbeginn um ein Fünftel geschrumpft, der Fleischverbrauch sei der niedrigste seit 30 Jahren. Unter anderem im Norden des Landes komme es zu Unruhen, denen die Regierung mit der Drohung nach Streichung von Sozialleistungen für Teilnehmer gegenzusteuern versuche.

Konsolidierung des Staatshaushalts im Rekordtempo

Auf der anderen Seite attestieren selbst Gegner Mileis Erfolge bei der Stabilisierung des Staatshaushalts. Bereits im Januar 2024 sei es dem neuen Präsidenten gelungen, den ersten Haushalt ohne Neuverschuldung in Argentinien seit zwölf Jahren vorzulegen.

Zu den Kernelementen seines Sparprogramms gehören die Abschaffung des größten Teils zuvor bestehender Ministerien und bürokratischer Strukturen. Die Privatisierung der meisten öffentlichen Betriebe war ein weiterer Schwerpunkt des Konsolidierungsprogramms. Noch im Jahr 2022 hatte die Verschuldung der öffentlichen Haushalte in Argentinien bei umgerechnet 481 Milliarden Euro gelegen, was etwa 10.400 Euro pro Kopf bedeutete.

Was kurzfristig die bereits zuvor prekäre Lage verschärft, ist, dass Milei Subventionen auf Energie, Wasser und Tickets für den öffentlichen Nahverkehr kürzte. Gleichzeitig versucht er, durch weitreichende Vergünstigungen bei Steuern, Zoll und Wechselkursen sowie eine massive Deregulierung Großinvestitionen ins Land zu bringen.

Erfolgsaussichten nicht absehbar – Misserfolg der Vorgänger schon jetzt evident

Unbestritten ist vor dem Hintergrund der Wirtschaftsdaten und ihrer Entwicklung, dass das einst wohlhabende Argentinien Jahrzehnte eines massiven Niedergangs hinter sich hat. Gewachsen sind in dieser Zeit vor allem der Staatsapparat, die Verschuldung, die Inflation sowie Korruption und Schattenwirtschaft.

Gleichzeitig zogen sich Investoren zurück, die Produktivität der Industrie sank und die Kaufkraft der Währung fiel ins Bodenlose – weshalb Milei offiziell die Dollarisierung des Landes anstrebt. Bereits jetzt wickelt, wer dazu in der Lage ist, seine täglichen Geschäfte in der US-Währung ab. So unklar die Erfolgsaussichten des Reformprogramms Mileis nach wie vor sein mögen: Dass ihm 56 Prozent der Wähler dafür ein Mandat verliehen hatten, galt als Ausdruck eines Konsenses, dass die Politik des zuvor tonangebenden Kirchner-Clans gescheitert war.

Wirtschaftsthemen auf der Tagesordnung

Bereits am Freitag empfing Madrids konservative Regionalpräsidentin Isabel Díaz Ayuso den argentinischen Präsidenten. Zwischen den Regierungen von Argentinien und Spanien hatte es zuletzt diplomatische Verwicklungen gegeben. Milei hatte auf einer Veranstaltung der rechten VOX in Madrid Andeutungen losgelassen, welche die Frau von Ministerpräsident Pedro Sánchez in die Nähe der Korruption rückten.

Am Sonntag wird Milei in Berlin mit Bundeskanzler Olaf Scholz zusammentreffen. Viel wird die Öffentlichkeit davon allerdings nicht mitbekommen: Die ursprünglich angekündigte Begrüßung mit militärischen Ehren wurde ebenso kurzfristig abgesagt wie eine gemeinsame Pressekonferenz. Geblieben ist ein kurzer Fototermin zum Auftakt des Gesprächs, das lediglich eine Stunde dauern soll – auf Wunsch Mileis, wie es von deutscher Seite heißt. Die direkte Konfrontation mit Journalisten liegt dem argentinischen Staatschef nicht: Auch in seiner Heimat gibt er praktisch nie Pressekonferenzen.

Bei dem Treffen im Kanzleramt dürfte es vor allem um Wirtschaftsthemen gehen. Argentinien verfügt über viele Rohstoffe wie beispielsweise Lithium, das in Deutschland dringend gebraucht wird. Zudem sind die Gespräche über ein Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und dem südamerikanischen Wirtschaftsbund Mercosur weiterhin festgefahren.

Mit einem Besuch in Tschechien wird Mileis Europareise am Montag enden.



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