Mehrheit ungewiss: Johnson kämpft in London um Zustimmung zu Brexit-Abkommen
Nach der Einigung auf ein Brexit-Abkommen zwischen der EU und Großbritannien richten sich alle Blicke auf London: Vor der entscheidenden Abstimmung im Unterhaus hat der britische Premierminister Boris Johnson am Freitag versucht, die Abgeordneten von der Vereinbarung mit Brüssel zu überzeugen. Eine Mehrheit für das Abkommen bei der historischen Sondersitzung am Samstag ist aber ungewiss.
Johnson hatte nach dem Durchbruch bei den Verhandlungen mit der EU am Donnerstagabend gesagt, er sei „sehr zuversichtlich“, dass die Parlamentarier in London diesem „großartigen neuen Deal“ zustimmen. Noch am Donnerstag telefonierte der Premierminister mit mehreren Abgeordneten, teilte Downing Street mit. Am Freitag will er demnach seine Charmoffensive fortsetzen, für den Nachmittag setzte er eine Kabinettssitzung an.
Die EU und Großbritannien hatten am Donnerstag einen Durchbruch in den Verhandlungen über den Austrittsvertrag erzielt und die hochumstrittene Frage des Status der britischen Provinz Nordirland geklärt.
Johnson muss aber noch eine Menge Überzeugungsarbeit leisten, da er im Unterhaus keine eigene Mehrheit hat. Seine konservativen Tories kommen auf maximal 287 Stimmen – wenn auch die Brexit-Hardliner mitziehen, die in der Gruppe ERG bei den Tories organisiert sind. Die absolute Mehrheit liegt bei 320 Stimmen im Unterhaus. Das Parlament hatte unter Johnsons Vorgängerin Theresa May schon drei Mal gegen Brexit-Vereinbarungen mit der EU gestimmt.
Die Oppositionsparteien kündigten bereits an, gegen die neue Vereinbarung mit der EU zu stimmen und auch die mit den Tories verbündete nordirische Partei DUP reagierte ablehnend. Die DUP kritisiert unter anderem, dass das nordirische Parlament in Belfast vor Inkrafttreten der neuen Regeln nicht dazu befragt werden soll.
„Ich kann Ihnen mit absoluter Gewissheit versichern, dass wir nicht für das Abkommen stimmen werden“, sagt der Brexit-Beauftragte der DUP, Sammy Wilson, am Freitag der BBC. Die Opposition dürfte darüber hinaus versuchen, Änderungsanträge einzubringen, etwa um ein Referendum über das Brexit-Abkommen durchzusetzen.
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker warnte vor den Folgen einer Ablehnung des Brexit-Abkommens im britischen Parlament. Wenn es in Westminister keine Zustimmung gebe, „dann sind wir in einer extrem komplizierten Situation“, sagte Juncker in der Nacht zum Freitag beim EU-Gipfel in Brüssel.
Sollte der Deal in Westminister durchfallen, stellt sich die Frage eines weiteren Aufschubs für den Brexit. Johnson will den EU-Austritt unter allen Umständen zum 31. Oktober, notfalls auch ohne Abkommen.
Das Parlament hatte allerdings im September ein Gesetz zur Verhinderung eines ungeregelten Brexit beschlossen. Demnach muss Johnson bei der EU eine erneute Brexit-Verschiebung beantragen, sollte bis Samstag kein Austrittsabkommen unter Dach und Fach ist. Der Premierminister bleibe bei seiner Haltung: „das neue Abkommen oder kein Abkommen, aber keine Verschiebung“, hieß es aus Regierungskreisen in London.
Sollte das Unterhaus dem Brexit-Vertrag zustimmen, müssten ihn auch die EU-Abgeordneten noch ratifizieren. Bereits am Donnerstag kommender Woche könnten es dazu eine Sitzung geben.
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) warb um eine Zustimmung des britischen Parlaments zum Brexit-Abkommen. „Das wäre ein gutes Signal für die Wirtschaft, denn ein Abkommen bedeutet Planbarkeit und Sicherheit für die Unternehmen“, sagte Altmaier den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland.
Die britische Regierung rief deutsche Unternehmen am Freitag in ganzseitigen Zeitungsanzeigen dazu auf, sich „jetzt“ auf den Brexit vorzubereiten. „Sie wollen nach dem Brexit weiterhin Waren mit dem Vereinigten Königreich handeln? Dann werden Sie jetzt aktiv!“ Die Unternehmen werden aufgefordert, die Website „gov.uk/brexit-eu-traders“ aufzurufen. Die britische Zollbehörde bietet dort Ratschläge für den Import und Export von Gütern an. (afp)
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