Mehrheit der EU-Staaten befürwortet eine Audio-Chatkontrolle
Eine Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten ist offenbar für die Ausweitung des Scannens privater Nachrichten auf Audionachrichten. Das berichtet das Portal „Euractiv“ und beruft sich auf ein ihm vorliegendes Dokument. Ein Hauptargument sei dabei, dass mit dieser Maßnahme Material zum sexuellen Missbrauch von Kindern besser aufgespürt werden könne.
Anordnungen an „WhatsApp“ und Co.
Vergangene Woche enthüllte „Euractiv“ ein Rechtsgutachten von internen Juristen des EU-Rates. Sie übten Kritik an diesem EU-Vorschlag zur Bekämpfung von „Materialien über den sexuellen Missbrauch von Kindern“ (CSAM). Justizbehörden wären dann befugt, Aufdeckungsanordnungen an Anbieter von Kommunikationsdiensten zu richten, bei denen ein erhebliches Risiko besteht, dass sie für die Verbreitung dieser Art von illegalen Inhalten genutzt werden.
Dienste wie „Gmail“ oder „WhatsApp“ wären dann verpflichtet, KI-gestützte Tools zu implementieren, die private E-Mails oder Texte automatisch scannen, um verdächtige Inhalte zu erkennen. In einer Studie äußerte der Europäische Datenschutzbeauftragte bedenken. Demnach würde die Privatsphäre der Menschen unverhältnismäßig stark beeinträchtigt, da potenziell jede Person, die den Dienst nutze, betroffen sein könnte.
KI-gestützte Werkzeuge
Die schwedische Ratspräsidentschaft hat daraufhin die EU-Länder um ihre Positionen zu vier Schlüsselfragen gebeten: Aufspürungsanordnungen, freiwillige Aufspürung, End-to-End-Verschlüsselung und den Anwendungsbereich des Vorschlags, das heißt, ob der Gesetzentwurf auch Audiokommunikation abdecken soll.
Bis auf drei Mitgliedstaaten haben laut Ratsvorsitz alle Länder Stellung genommen. Es gebe eine „klare Mehrheit“, die die Einbeziehung der Audiokommunikation in den Anwendungsbereich der Verordnung unterstütze.
Überwachung auch von Telefonaten?
Diensteanbieter könnten dazu verpflichtet werden, KI-gestützte Werkzeuge zur Erkennung von bekanntem missbräuchlichem Material, neuem Material und Grooming, das heißt dem Versuch eines Täters, ein Kind zu locken, einzusetzen. Es gebe laut schwedischem Ratsvorsitz eine starke Unterstützung für Aufdeckungsanordnungen, die sich auf bekanntes Material beziehen. Doch seien die Positionen der Mitgliedstaaten für die beiden anderen Arten von Inhalten, die nach Ansicht von Experten schwieriger zu erkennen sind, „differenzierter“.
Die Ausweitung des Anwendungsbereichs auf Audioinhalte sei potenziell weitreichend. So sei unter anderem noch zu klären, ob die Überwachung auch für Sprachnachrichten oder Telefonanrufe gelte.
„Euractiv“ zitiert hierzu eine anonyme Quelle aus der Telekommunikationsbranche, die die Einbeziehung von Audiokommunikation kritisierte. Demnach würde die Kontrolle nicht nur die Privatsphäre tangieren, sondern auch die Sicherheit des gesamten Netzwerks negativ beeinflussen.
Anordnung ein Widerspruch zur End-to-End-Verschlüsselung
Des Weiteren unterscheidet das Dokument nicht zwischen nummernunabhängigen Kommunikationsdiensten, wie etwa Instant-Messaging-Apps wie den Messenger von Meta (früher Facebook Messenger) und nummernbasierten Diensten, über die Nutzer internationale und nationale Nummern anrufen können. Letztere waren zuvor in einem Kompromisstext von den Scanning-Regeln noch ausgenommen worden.
„Ergebnislos“ sind laut schwedischem Rat die Diskussionen zum umstrittensten Aspekt des Gesetzentwurfs verlaufen. So stünden die Aufdeckungsanordnungen im Widerspruch zur End-to-End-Verschlüsselung. Diese Technologie ermöglicht es nur den Empfängern der Kommunikation, deren Inhalt zu entschlüsseln. Messenger-Dienste wie WhatsApp, Signal oder Threema nutzen diese Technologie.
Die EU-Botschafter müssen nun drei Entscheidungen treffen. So sollen sie bestimmen, ob die zwischenmenschliche Kommunikation überwacht werden soll. Wenn sie sich dafür aussprechen, ist festzulegen, ob die Aufdeckungsanordnung für bekanntes und unbekanntes Material, Grooming und auch Audiokommunikation gelten soll.
Des Weiteren müssen die EU-Diplomaten politische Leitlinien für die Aufdeckungsanordnung in Hinblick auf zwischenmenschliche Kommunikation ausarbeiten. Dabei sind die „Auswirkungen auf die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung“ zu berücksichtigen.
Gleichzeitig stellt das Dokument fest, dass mehrere Länder teilweise oder generelle Prüfungsvorbehalte angemeldet haben. Dies bedeutet, dass sie dem Text nicht formell zustimmen können, bis sie weitere Anweisungen von ihren Regierungen erhalten.
Ständige „Live“-Überwachung
Der Europäische Datenschutzausschuss (EDSA) und der EU-Datenschutzbeauftragte Wojciech Wiewiórowski warnten schon 2022 in einer gemeinsamen Stellungnahme vor diesem tief in die Grundrechte einschneidenden Schritt. Wie „Heise“ berichtet, erforderte der Einbezug von Audiokommunikation eine ständige „Live“-Überwachung. Zudem hoben die Kontrolleure hervor, dass die Privatheit des gesprochenen Wortes in einigen Mitgliedstaaten einen besonderen Schutz genießt.
Die zwei FDP-geführten Bundesministerien für Digitales und Justiz bezeichneten schon im Sommer 2022 ein Durchleuchten von Audionachrichten als ein Überschreiten ihrer roten Linien. Doch bei dem Thema gibt es einen Widerspruch zwischen FDP und dem Innenministerium von Nancy Faeser (SPD). Zwar hatte die Bundesregierung sich jüngst in einer Stellungnahme gegen eine Chatkontrolle mithilfe von sogenanntem Client-Side-Scanning (CSS) ausgesprochen. Die von Bundesministerin Nancy Faeser geforderte Überwachung privater Kommunikation sei jedoch noch nicht vom Tisch, wie der EU-Abgeordnete Patrick Breyer (Piratenpartei) erklärt hat. Faesers Forderung beziehe sich auf serverseitiges Scannen von Chats und persönlichen Cloud-Speichern.
Da offenbar eine klare Mehrheit der EU-Staaten umfassende Kontrollen befürwortet, könnte das zaghafte Veto aus Deutschland die Einführung des Gesetzes nicht verhindern.
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