EU-Länder schotten sich ab und manche wollen Grenzkontrollen verlängern

De Maizière hatte bereits vor einigen Tagen erklärt, er halte eine Verlängerung auf unbestimmte Zeit für notwendig: „Ich sehe keinen Zeitpunkt voraus, wo wir das beenden können.“
Titelbild
Die EU hatte der Türkei zur Bewältigung der Flüchtlingskrise drei Milliarden Euro zugesagt und verlangt im Gegenzug, dass das Land syrische Bürgerkriegsflüchtlinge stärker am Zug in die EU hindert.Foto: Gtty Images
Epoch Times23. Januar 2016

Brüssel/Berlin (dpa) – Mehrere EU-Staaten wollen angesichts des anhaltenden Flüchtlingszustroms über die Türkei womöglich ebenso wie Deutschland die Grenzkontrollen im Schengen-Raum deutlich verlängern.

Länder wie Österreich, Belgien, Schweden und Dänemark seien für eine Ausweitung der vorübergehenden Personenkontrollen über die derzeit vorgesehen Fristen hinaus, berichtete die „Welt am Sonntag“ unter Berufung auf hochrangige EU-Diplomaten. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hat bereits angekündigt, dass er die Kontrollen auf unbestimmte Zeit verlängern will.

Solche Kontrollen könnten dem Blatt zufolge dann gar bis Ende 2017 gelten. Die ersten Schritte in diese Richtung sollten bereits bei einem informellen Treffen der EU-Innenminister an diesem Montag in Amsterdam eingeleitet werden, berichtet die Zeitung weiter.

Das Schengener Abkommen garantiert seit 1985 Reisefreiheit zwischen den Mitgliedstaaten in Europa. Voraussetzung dafür ist eine wirksame Kontrolle der EU-Außengrenzen. Nationale Grenzkontrollen sind zwischen den 26 Schengen-Staaten nur bei besonderen Anlässen erlaubt – in der Regel allerdings höchstens für ein halbes Jahr.

Aus Ärger über Griechenland wollen die EU-Staaten ihre Grenzen jedoch bis zu zwei Jahre lang wieder kontrollieren: Anfang Dezember hatten sich die EU-Innenminister in Brüssel darauf verständigt, dass es möglich sein müsse, „bei erheblichen Mängeln beim Schutz der Außengrenzen (…) auch über die sechs Monate hinaus an bestimmten Abschnitten die Grenzen zu kontrollieren“. Für solche längerfristigen Kontrollen ist jedoch eine Empfehlung der EU-Kommission nötig.

Deutschland hat nach Angaben der EU-Kommission bislang nach Artikel 24 des Schengen-Kodexes vorübergehende Grenzkontrollen bis zum 13. Februar beantragt. Diese Kontrollen könnten zunächst nur bis höchstens Mai verlängert werden, sagte eine Kommissionssprecherin. Für längerfristigen Kontrollen müsste zunächst festgestellt werden, dass es „dauerhafte“ Defizite beim Schutz der EU-Außengrenze gibt.

De Maizière hatte bereits vor einigen Tagen erklärt, er halte eine Verlängerung auf unbestimmte Zeit für notwendig: „Ich sehe keinen Zeitpunkt voraus, wo wir das beenden können.“

In den vergangenen Wochen war die Kritik an Griechenland lauter geworden. Nach wie vor kommen Tausende von Flüchtlingen aus der Türkei über die Ägäis nach Griechenland. Die meisten reisen dann über die Balkanroute weiter in Richtung Österreich und Deutschland.

Eine Ausweitung von Kontrollen innerhalb der EU bedroht nach Ansicht von Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer die deutsche Wirtschaft. „Das kann böse enden – politisch und wirtschaftlich“, sagte er der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. „Vieles, was wir produzieren, wird vorher in Einzelteilen aus dem Ausland angeliefert. Wenn es nun wieder kilometerlange Staus an den Grenzen geben sollte, wenn Lkw wieder tagelang stehen, bis sie abgefertigt werden, dann ist das auch ökonomisch ein GAU.“ Alle EU-Staaten müssten den Schutz der Außengrenzen mitfinanzieren und die Länder Südeuropas stärker unterstützen.

Der Vorsitzende des Bundestags-Europaausschusses, Gunther Krichbaum (CDU), will weiteren Geldforderungen aus der Türkei nicht nachkommen. „Europa will die Nachbarländer Syriens entlasten“, sagte er der „Bild“-Zeitung. „Aber wir sind nicht auf einem Basar in Istanbul.“

Die EU hatte der Türkei zur Bewältigung der Flüchtlingskrise drei Milliarden Euro zugesagt und verlangt im Gegenzug, dass das Land syrische Bürgerkriegsflüchtlinge stärker am Zug in die EU hindert. Ministerpräsident Ahmet Davutoglu hatte der Deutschen Presse-Agentur gesagt, die bisherigen Zusagen an Ankara seien „nur dazu da, den politischen Willen zur Lastenteilung zu zeigen“. Niemand könne von der Türkei erwarten, „die gesamte Last alleine zu tragen“.

Die Linken-Europaabgeordnete Cornelia Ernst verurteilte den Kurs von EU und Türkei in der Flüchtlingskrise scharf. „Das ist ein billiges Gepoker“, sagte die asylpolitische Sprecherin ihrer Partei im EU-Parlament der dpa. „Es ist amoralisch, einem Land Geld zuzuschustern, nur um Leute loszuwerden – obwohl in diesem ein knallharter Bürgerkrieg mit Hunderten Toten geführt wird.“

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat vorgeschlagen, den nächsten EU-Gipfelt am 18./19. Februar um einen halben Tag zu verlängern. Ziel sei es, genug Zeit für die Diskussion über die Flüchtlingskrise und die Umsetzung der Vereinbarungen mit der Türkei dazu zu haben, sagte eine Kommissionssprecherin am Samstag.

Hintergrund: Wie sich EU-Staaten abschotten

Im Ringen um eine europäische Lösung in der Flüchtlingsfrage wird es um Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) einsamer. Auch für die Betroffenen wird die Lage schwieriger – vor allem auf der Balkanroute. Wie sich europäische Länder abschotten:

Die BALKANSTAATEN verstehen sich als Transitländer, die keine größere Zahl von Flüchtlingen über längere Zeit aufnehmen können. Der erste Zaun auf der Balkanroute steht bei der mazedonischen Stadt Gevgeljija an der Grenze zu Griechenland. Von dort werden die Flüchtlinge erst mit Zügen, in Serbien dann mit Bussen und in Kroatien wieder mit Zügen nach Slowenien gebracht.

UNGARN hat an den für die Fluchtbewegungen relevanten Grenzen zu Serbien und Kroatien Zäune mit Nato-Stacheldraht errichtet. Die rechts-nationale Führung des Landes will einen solchen Zaun auch an der Grenze zu Rumänien errichten, falls die Flüchtlinge irgendwann einmal über Rumänien kommen sollten. Die Obergrenze liegt für Ministerpräsident Viktor Orban bei Null. Im Rahmen der EU-Quote will Ungarn keinen einzigen Flüchtling aufnehmen.

BULGARIEN wehrt illegale Migration an der Grenze zur Türkei – eine EU-Außengrenze – mit einem Zaun an den kritischsten Abschnitten ab. Der im Juli 2014 fertiggestellte, 30 Kilometer lange und drei Meter hohe Zaun mit Stacheldraht wird derzeit ausgebaut. Zur Jahresmitte soll er 161 Kilometer lang werden und fast zwei Drittel der 271 Kilometer langen bulgarisch-türkischen Grenze schützen. Migranten sollen durch die Grenzübergänge einreisen, wo sie registriert werden.

RUMÄNIEN ist bislang vom Flüchtlingszustrom kaum betroffen, aus geografischen Gründen: Der Weg nach Westeuropa ist kürzer über Serbien und Kroatien, ein Schlenker über Rumänien wäre ein Umweg. Dennoch hat Bukarest die Überwachung der grünen Grenze zu Serbien seit dem Bau der ungarischen Grenzzäune im letzten Herbst verstärkt. Zwischen Ungarn und Rumänien gibt es noch keinen Zaun, Budapest hat aber jetzt erneut gedroht, einen zu bauen.

TSCHECHIEN: Die Polizei zeigt wieder verstärkt Präsenz an der Grenze zu Österreich. Die Regierung beobachtet die Entscheidungen in den Nachbarländern Österreich und Deutschland sehr aufmerksam, weil sie eine Ausweichbewegung befürchtet. Bisher führt der Flüchtlingsstrom an Tschechien vorbei. Sogenannte illegal Eingereiste werden zunächst in Einrichtungen untergebracht, die sie nicht verlassen können. Dort müssen sie für Aufenthalt und Verpflegung zahlen.

GRIECHENLAND hat Ende 2012 an der Landgrenze zur Türkei einen gut zehn Kilometer langen, drei Meter hohen doppelten Zaun mit Stacheldraht fertiggestellt. Der Rest der knapp 200 Kilometer langen Landesgrenze verläuft entlang des Flusses Evros. Grenzschützer überwachen diesen Abschnitt. Restriktionen wie die Beschlagnahmung von Geld und Wertgegenständen gibt es nicht.

DÄNEMARK: Um Flüchtlinge fernzuhalten, verschärft die dänische Regierung laufend die Asylregeln. Aktuell diskutiert das Parlament einen Vorschlag, nach dem manche Asylbewerber länger auf ihre Familien warten müssen. Die Zusammenführung sollen alle künftig selbst bezahlen. Auch „Flüchtlingsdörfer“, in denen Asylbewerber gesammelt untergebracht werden sollen, stehen zur Diskussion. Mit Anzeigen in libanesischen Zeitungen rieten die Dänen Flüchtlingen von der Reise ab.

GROSSBRITANNIEN gehört nicht zum Schengen-Raum und kontrolliert bei der Einreise Personalausweis, Reisepass oder Visum. Die meisten illegal einreisenden Flüchtlinge kommen durch den Tunnel unterm Ärmelkanal. Diesen Grenzübergang lassen die Briten in Frankreich bewachen, was etwa die Bürgermeisterin der nordfranzösischen Stadt Calais kritisiert. Großbritannien hat erst kürzlich die Zäune dort ausgebaut und mehr Grenzschützer entsandt.

FRANKREICH: In Calais leben Tausende Flüchtlinge, die auf eine Chance hoffen, nach Großbritannien zu kommen. Im Sommer 2015 hat Paris zudem die Grenze nach Italien am Mittelmeer bei Ventimiglia zeitweise für Flüchtlinge dichtgemacht. Grund waren Flüchtlinge, die entgegen bestehender Abkommen aus Italien nach Frankreich weiterreisen wollten.

In SPANIEN ist die Staatsgrenze nur in den Exklaven Ceuta und Melilla an der Küste Nordafrikas durch Zäune und Stacheldraht gesichert. Die Grenzanlagen wurden in den vergangenen Jahren ausgebaut und die Zäune auf bis zu sechs Meter erhöht. Die Flüchtlinge, die von Afrika nach Spanien gelangen wollen, sind in der Regel keine politisch Verfolgten, die Asylanträge stellen wollen, sondern Menschen, die vor dem Elend in ihrer Heimat flüchten.

NIEDERLANDE: Zäune, Mauern oder Stacheldraht gibt es an den Grenzen nicht. Asylsuchende müssen persönliche Wertgegenstände auch nicht abgeben. Die Regierung will jedoch versuchen, den Zustrom mit strengeren Regeln abzuschwächen. Schon nach Ankunft wird streng selektiert. Wer kaum Chancen auf einen Flüchtlingsstatus hat, soll schnell abgeschoben werden. Die übrigen müssen nun bis zu einem Jahr warten, bis über ihren Antrag entschieden ist.



Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion