Protest gegen Gesetz: Mehr als 60 Festnahmen in Tiflis
Die Polizei im EU-Beitrittskandidat Georgien hat nach eigenen Angaben 63 Teilnehmer an regierungskritischen Massenprotesten festgenommen. Das sagte der Vizeinnenminister der Republik im Südkaukasus, Alexander Darachwelidse, in der Hauptstadt Tiflis.
In der Nacht waren die Sicherheitskräfte mit Tränengas, Wasserwerfern und Schlagstöcken gegen die Zehntausende Menschen zählende Menge vorgegangen. Seit Wochen protestiert die Bevölkerung gegen ein Gesetz, das angeblichen ausländischen Einfluss auf die georgische Zivilgesellschaft einzudämmen soll.
Kritiker sehen Parallelen zum Gesetz gegen „ausländische Agenten“ in Russland, das es den dortigen Behörden erlaubt, massiv gegen kritische Medien und Organisationen vorzugehen. Die Abgeordneten im Parlament der Ex-Sowjetrepublik haben die zweite Lesung des umstrittenen Gesetzes inzwischen fortgesetzt.
Das Innenministerium teilte mit, 63 Demonstranten seien nach dem Polizeieinsatz wegen „Ungehorsams gegenüber der Polizei und Rowdytums“ festgenommen worden. Die Polizei habe „legitime Gewalt“ angewendet, nachdem die Proteste „gewalttätig geworden und Demonstranten in eine verbale und physische Konfrontation mit den Ordnungskräften eingetreten waren“. Mehrere Journalisten wurden trotz eindeutiger Kennzeichnung angegriffen.
Vorsitzender der größten Oppositionspartei verletzt
Zu den Festgenommenen zählte auch Lewan Chabeischwili, der Vorsitzende der größten Oppositionspartei Vereinte Nationalbewegung UNM. Der Vorsitzende der größten Oppositionspartei, die pro-westliche Vereinte Nationalbewegung des inhaftierten Ex-Präsidenten Michail Saakaschwili, musste medizinisch versorgt werden.
Örtliche Fernsehsender zeigten Aufnahmen, in denen das Gesicht von Lewan Chabeischwili mit fehlenden Zähnen zu sehen war.
Er selbst veröffentlichte ein Foto, das ihn mit blutig geschwollenem Gesicht zeigt. Er erklärte, von der Polizei misshandelt worden zu sein. Die Sicherheitskräfte waren am Dienstagabend mit Gewalt gegen die Demonstranten vorgegangen und hatten sie vom Parlamentsgebäude weggedrängt. Erst in der Nacht beruhigte sich die Lage.
Präsidentin fordert Innenminister auf, Einsatz von Gewalt zu beenden
Die pro-europäische Präsidentin Salome Surabischwili, die der Regierungspartei sehr kritisch gegenübersteht, rief den Innenminister auf, das harte Vorgehen gegen die friedliche Demonstration und „den Einsatz unverhältnismäßiger Gewalt“ sofort zu beenden. Die Demonstration vor dem Parlament wurde trotz Wasserwerfern und Tränengas bis nach Mitternacht fortsetzt.
Demonstranten blockierten den Verkehr auf dem Rustaweli-Boulevard vor dem georgischen Parlament sowie auf mehreren weiteren wichtigen Straßen der Stadt. Nach Abzug der Polizei errichteten Demonstranten am frühen Mittwochmorgen Barrikaden vor dem Parlamentsgebäude. Gegen 10:00 Uhr endete die Zusammenkunft. Für den Abend wurden weitere Demonstrationen erwartet.
Die Regierungspartei hatte Anfang April angekündigt, den vor einem Jahr nach Massenprotesten mit Zehntausenden Teilnehmern zurückgezogenen Gesetzentwurf in geänderter Fassung erneut zur Abstimmung zu bringen. Mitte April wurde die Vorlage in erster Lesung angenommen.
Gesetz gegen „ausländische Agenten“
Der Gesetzentwurf sieht vor, dass sich Organisationen, die zu mindestens 20 Prozent aus dem Ausland finanziert werden, behördlich registrieren lassen müssen. Viele Projekte zur Demokratieförderung in der Ex-Sowjetrepublik arbeiten mit Geld aus EU-Staaten oder den USA. Die Regierungspartei Georgischer Traum spricht von größerer Transparenz.
Das neue Gesetzesvorhaben löste erneut Massenproteste in der früheren Sowjetrepublik aus. Auch die EU forderte Tiflis dazu auf, das Gesetz fallen zu lassen. Die frühere Sowjetrepublik ist seit Dezember offiziell EU-Beitrittskandidat.
Die seit 2012 regierende Partei Georgischer Traum tritt vor der Parlamentswahl im Herbst zunehmend autoritär auf. Die proeuropäischen Demonstranten fürchten, dass dieser Kurs den erhofften Beitritt zur EU gefährdet.
Der Gesetzesentwurf muss insgesamt drei Lesungen im Parlament durchlaufen. Am Mittwoch sollte mit der zweiten Lesung fortgefahren werden. Zwar kann Präsidentin Surabischwili ihr Veto einlegen, doch verfügen die regierungstreuen Abgeordneten im Parlament in Tiflis über eine ausreichende Mehrheit, um das Veto der Präsidentin zu überstimmen.
Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell kritisierte den Polizeieinsatz gegen friedliche Demonstranten. „Georgien ist EU-Beitrittskandidat. Ich rufe die Behörden auf, das Recht auf friedliche Versammlungen zu gewährleisten“, schrieb er im sozialen Netzwerk X (früher Twitter). „Der Einsatz von Gewalt, um dieses zu unterdrücken, ist inakzeptabel.“ (afp/dpa/red)
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