Jagdszenen, Massaker und Hinrichtungen in Syrien – Wer steckt dahinter?

In Syrien verübten Einsatzkräfte der neuen Machthaber Massaker an hunderten Zivilisten. Alawiten und Christen wurden regelrecht gejagt. Zu Assad-Zeiten stellten die Alawiten einen großen Teil der syrischen Armee und schützten Christen. USA und Russland haben den UN-Sicherheitsrat angerufen, US-Außenminister Marco Rubio macht „radikale islamistische Terroristen“ verantwortlich.
Titelbild
Ein gepanzertes Fahrzeug von Sicherheitskräften der Übergangsregierung am 9. März 2025 auf einer Straße in der westlichen syrischen Stadt Latakia.Foto: Omar Hat Kadour/AFP via Getty Images
Von 10. März 2025

Drei Monate nach dem Sturz des syrischen Machthabers Baschar al-Assad haben Einsatzkräfte der neuen islamistischen Machthaber nach übereinstimmenden Berichten Massaker an hunderten Zivilisten verübt.

Die USA und Russland haben den UN-Sicherheitsrat in New York um eine Sondersitzung gebeten, um die Ereignisse zu besprechen. Die Sitzung findet heute um 11 Uhr (MEZ 17 Uhr) statt.

Mehr als 1.300 Tote

Seit Donnerstag wurden laut Aussagen der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte im Nordwesten des Landes mehr als 1.300 Menschen getötet, darunter mindestens 830 Angehörige der alawitischen Minderheit. Laut der neuen Führung in Syrien begann diese am 7. März einen Großeinsatz gegen „die Überreste von Assads Milizen und deren Unterstützer“.

Augenzeugen berichteten am Wochenende von regelrechten Jagdszenen, „Massakern“ und „Hinrichtungen“, bei denen auch Kinder getötet worden seien. Die Opfer würden aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu den Alawiten oder ihres Wohnorts ausgesucht. Patriarch Johannes X. sprach von Massakern auch an Christen.

„Den Massakern ging ein öffentlicher Aufruf zum Dschihad voraus, als wäre es eine Kriegsschlacht“, sagte Ramy Abdulrahman, Leiter der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte der ARD. „Es gibt Videoaufnahmen, in denen gesagt wird: ‚Wir sind gekommen, um die Alawiten zu töten.‘ Sie sagten nicht: ‚Wir sind gekommen, um die Assad-Anhänger zu töten.‘ Das zeigt, dass es sich um eine ethnische Säuberung handelt.“

Der Beobachtungsstelle zufolge sind die „Tötungen, Exekutionen vor Ort und ethnischen Säuberungsaktionen“ noch nicht vorbei.

EU macht pro-Assad-Gruppen verantwortlich

Syrien-Experte Karam Shaar schrieb bei X, die Regierung habe durch die Gewalt an den Alawiten viele Fortschritte der vergangenen Monate zurückgedreht. Forderungen der Übergangsregierung an die EU und die USA, Sanktionen umgehend aufzuheben, seien damit weniger glaubhaft.

Der Auswärtige Dienst der EU teilte dagegen mit, „pro-Assad-Elemente“ hätten laut Berichten in syrischen Küstengebieten Angriffe auf Kräfte der Übergangsregierung verübt. Die EU rief auch dazu auf, dass die Zivilbevölkerung unter allen Umständen geschützt werden müsse.

Im Internet wurde die EU-Stellungnahme teilweise vehement kritisiert. Für den niederländischen Europaabgeordneten Sander Smit vom Mitte-Rechts-Bündnis EVP handelt es sich um eine „beschämende Aussage“, die angepasste werden muss.

Wer die Massaker an Alawiten und Christen verübt hat, bleibt bei der EU offen. Diese werden nicht erwähnt.

Die EU hatte nach dem Sturz Assads rasch diplomatische Kontakte zu den neuen Machthabern aufgebaut und hat auch eine schrittweise Lockerung von Sanktionen beschlossen.

Rubio: „Radikale islamische Terroristen“ verantwortlich

US-Außenminister Marco Rubio machte am Sonntag „radikale islamistische Terroristen“ für die „Massaker“ verantwortlich.

Das US State Department schreibt am 9. März: „Die Vereinigten Staaten verurteilen die radikalen islamistischen Terroristen, darunter ausländische Dschihadisten, die in den letzten Tagen Menschen im Westen Syriens ermordet haben. Die Vereinigten Staaten stehen zu den religiösen und ethnischen Minderheiten Syriens, einschließlich der christlichen, drusischen, alawitischen und kurdischen Gemeinschaften, und sprechen den Opfern und ihren Familien ihr Beileid aus. Syriens Übergangsbehörden müssen die Täter dieser Massaker gegen Syriens Minderheitengemeinschaften zur Rechenschaft ziehen.“

Mitglieder der Sicherheitskräfte, die der syrischen Übergangsregierung treu sind, posieren an der Mittelmeerküste in Syriens westlicher Stadt Latakia am 9. März 2025. Foto: Omar Hat Kadour/AFP via Getty Images

Auch das Auswärtige Amt in Berlin forderte die Übergangsregierung auf, „weitere Übergriffe zu verhindern, die Vorfälle aufzuklären und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen“.

Alawiten stellten einen Großteil der Assad-Armee

Ein Blick in die Geschichte: Die frühere syrische Herrscherfamilie Assad wies zu ihrer Regierungszeit den verschiedenen Volksgruppen des Landes unterschiedliche Aufgaben in der Gesellschaft zu.

Die Alawiten, zu denen auch die Assad-Familie gehört, stellten einen großen Teil der Offiziere und Soldaten in der syrischen Armee. Sie sollten die Macht des Regimes absichern und die Loyalität innerhalb des Militärs gewährleisten. Sie haben schiitische Wurzeln. Doch bei strenggläubigen Sunniten gelten sie als Ketzer und waren im Laufe der Jahrhunderte schwersten Verfolgungen ausgesetzt.

Epoch Times analysierte schon nach der Machtübernahme im Dezember 2024: Das brennende Mausoleum von Hafiz al-Assad ist ein schlimmes Omen für die Zukunft der Alawiten in der Region.

Christen waren hingegen zu Assads Zeiten oft im Bildungs- und Gesundheitswesen tätig, viele gehörten der Mittel- und Oberschicht an. Sie standen bisher unter dem Schutz des Assad-Clans.

Die neue syrische Übergangsregierung wird von Sunniten dominiert. Zu Assads Zeiten waren Sunniten häufig im Handel und als Unternehmer tätig. Von politischen und militärischen Schlüsselpositionen blieben sie weitgehend ausgeschlossen.

Es gibt weitere Minderheiten wie Kurden, Drusen und Jesiden, die wenig nationalen Einfluss hatten und deren politischer Einfluss weiterhin stark eingeschränkt ist.

Syriens Übergangsregierung sichert Bestrafung der Verantwortlichen zu

Übergangspräsident al-Scharaa, dessen islamistische Regierung sich seit dem Sturz von Machthaber Baschar al-Assad gemäßigt gibt, hat eine Bestrafung aller Verantwortlichen zugesichert. Er kündigte die Einsetzung eines Komitees an, das den „zivilen Frieden“ im Land gewährleisten soll.

Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums in Damaskus kündigte an, dass „Überbleibsel und Offiziere des nicht mehr bestehenden Assad-Regimes auf dem Land und in den Bergen“ verfolgt würden.

Die Regierung der halbautonomen Kurdenregierung im Nordosten Syriens verurteilte am Sonntag die Gewalt und warnte in einer Erklärung vor einer Rückkehr „in eine dunkle Zeit, welche die Syrer nicht noch einmal erleben wollen“.

In Damaskus lösten Sicherheitskräfte einen Schweigemarsch für die Opfer auf, nachdem es zu Zusammenstößen mit Gegendemonstranten gekommen war. Die Teilnehmer wurden mit Warnschüssen vertrieben.

Auch Christen getötet

Der Patriarch der christlich-orthodoxen Kirche von Antiochien, Johannes X., sprach in seiner Predigt am Sonntag auch von „zahlreichen unschuldigen Christen“, die getötet worden seien. Er forderte den syrischen Übergangspräsidenten Ahmed al-Scharaa auf, die „Massaker“ im Westen des Landes zu beenden.

In der Nähe des syrischen Konsulats in Istanbul am 9. März 2025 protestieren türkische alawitische zivilgesellschaftliche Organisationen gegen die neue syrische Regierung und ihren Großeinsatz gegen die Alawiten. Auf dem Plakat steht: „Kein Übergang zu sektiererischer Aggression“. Foto: Yasin Akgul/AFP via Getty Images

Die Opferzahlen lassen sich nicht unabhängig überprüfen. Die Syrische Beobachtungsstelle mit Sitz in London verfolgt das Geschehen in Syrien mit einem Netz aus eigenen Informanten. Bisher veröffentlichte die Übergangsregierung keine Opferzahlen.

Die HTS, die derzeit in Syrien die Macht übernommen hat, ist von den USA nicht mehr offiziell als Terrororganisation eingestuft. Nach der Machtübernahme und der Etablierung einer Übergangsregierung löste die HTS ihre militärischen Strukturen auf und integrierte die Mitglieder in staatliche Institutionen.

(Mit Material der Nachrichtenagenturen)

 



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