Massaker am 4. Juni 1989: Fotograf veröffentlicht nie zuvor gesehene Fotos der Tiananmen-Proteste

Im Vorfeld des 30. Jahrestags des Massakers am "Platz des Himmlischen Friedens" in Peking sind jetzt neue Fotos von den Geschehnissen aufgetaucht. Ein Fotograf hatte die Bilder 30 Jahre versteckt gehalten.
Titelbild
Eines der nach 30 Jahren erstmals veröffentlichten Fotos von Fotograf Liu Jian: Lehrer aus Pekinger Mittelschulen unterstützen die Studentenproteste im Juni 1989.Foto: zur Verfügung gestellt von Liu Jian/The Epoch Times
Epoch Times3. Juni 2019

Ein Fotograf veröffentlichte zum ersten Mal Fotos von den Protesten am „Platz des Himmlischen Friedens“ („Tiananmen“) zum Gedenken an den bevorstehenden 30. Jahrestag des Massakers an chinesischen Studenten am 4. Juni 1989.

Alle 2.000 Fotos wurden über drei Jahrzehnte hinweg versteckt.

Der Fotograf Liu Jian hofft, dass die chinesischen Bürger nicht die Wichtigkeit dieses Massakers vergessen werden und dass sie zukünftigen Generationen durch diese Fotos von ihrer Vorgeschichte erfahren.

„Der Tiananmen-Platz ist immer noch da. Menschen, die das Massaker erlebt haben, sind immer noch am Leben. Aber die jungen Chinesen wissen davon nichts“, sagte Liu der chinesischsprachigen Ausgabe von Epoch Times am 7. Mai.

Anfang dieses Jahres hat er bei seiner Tochter diesbezüglich nachgefragt. Sie hatte keine Ahnung von den Protesten und dem Massaker, das sich am 4. Juni im Jahre 1989 ereignet hatte. Ähnliche Rückmeldungen erhielt er von anderen Jugendlichen.

„Ich war sehr geschockt. Es ist eine Angelegenheit von großer Bedeutung, aber viele wissen davon nichts mehr – dabei war es erst vor dreißig Jahren“, so Liu.

Er teilte seine Fotos in der Hoffnung, dass andere Menschen mehr von der historischen Wichtigkeit dieses Ereignisses lernen können, und dass diejenigen, die es vergessen haben, sich wieder daran erinnern.

60 Fotorollen schlummerten in der Schublade

Liu war zu der Zeit ein 19-jähriger Student. Als professioneller Fotograf machte er auf 60 Fotorollen Fotos von dem Protest der Studenten und der Unterstützung der Bürger, und entwickelte die Fotos selbst.

Er druckte die Bilder jedoch nicht und behielt einfach nur die entwickelten Negative. Vor kurzem aber druckte er sie aus und teilte sie mit der chinesischsprachigen Ausgabe von The Epoch Times und dem New Tang Dynasty (NTD) TV-Sender, einer unzensierten chinesischen Medienquelle der Epoch Media Group mit Sitz in den USA.

Fotokameras waren 1989 bei den Geschehnissen am Tiananmen recht weit verbreitet, allerdings, so erklärte Liu, verschwanden die Rollen mit den festgehaltenen Geschehnissen, nachdem Fotografen sie zum Entwickeln und Drucken in Fotostudios geschickt hatten; das chinesische Regime hatte diese nämlich dazu gezwungen, jegliche Filme mit Abbildungen von dem Protest und dem Massaker zu vernichten.

Er sagte, dass 80 Prozent der Filme, die die Proteste am Tiananmen-Platz einfingen, vom chinesischen Regime zerstört wurden – was seine Fotos nur noch wertvoller macht.

Studentenproteste begannen nach dem Tod von Reformer Hu

Liu fing am 16. April 1989 an, Bilder von den Protesten zu schießen, als die Studenten ein Porträt des ehemaligen Anführer der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) Hu Yaobang malten.

Hu hatte in den 1980er Jahren eine Reihe von wirtschaftlichen und politischen Reformen durchgeführt, wurde 1987 jedoch gezwungen, zurückzutreten. Die Mehrzahl der leitenden KPCh-Beamten unterstützte seine Politik nicht. Hu starb am 15. April 1989, und die Demokratie und Reformen unterstützenden Studenten betrauerten seinen Tod am Tiananmen-Platz – dies kennzeichnete den Beginn der Proteste.

Studenten vor dem Porträt von Hu Yaobang, dem ehemaligen KPCh-Führer, am Tiananmen-Platz im Juni 1989.Foto: Zur Verfügung gestellt von Liu Jian/The Epoch Times

Liu begann, dieses Ereignis durch Fotografien aufzuzeichnen. Anders als die meisten Reporter blieb Liu bei den Studenten, die auf dem Tiananmen-Platz und auf anderen Straßen Pekings protestierten, und den Bürgern, die die Studenten unterstützten.

„Wenn die Polizisten nicht da waren, waren es die Studenten, die Ordnung bewahrten und die Straßen sauber hielten. Kein Diebstahl, kein Verbrechen. Die Bürger unterstützten die Studenten und brachten ihnen sogar Getränke, Essen und warme Klamotten“, erinnert sich Liu.

Verhängnisvoller Umzug entlang der Pekinger Chang’an-Avenue

Am 27. April 1989 organisierten die Studenten einen riesigen Umzug entlang der Hauptstraße Pekings Chang’an Avenue. Viele Bürger schlossen sich ihnen an, unter ihnen waren auch Geschäftsmänner auf Dreirädern und Motorrädern.

Studenten der Zentralakademie der Schönen Künste Pekings marschieren im Juni 1989 auf den Straßen Pekings. Foto: Zur Verfügung gestellt von Liu Jian/The Epoch Times

„Zu der Zeit war das Statussymbol eines Geschäftsmannes das Fahren auf einem Dreirad. Am Abend fuhren Dreiräder und Motorräder durch die Straßen [, um ihre Unterstützung zu zeigen]. Das war sehr ermutigend“, schildert Liu die Ereignisse.

Bis zum 4. Juni schoss er fortlaufend Fotos. Als das Militär am Abend des 3. Junis auf die Protestierenden feuerte, fotografierte er viele Leichen am Wasserressourcen-Krankenhaus, das sich weniger als vier Kilometer vom Tiananmen-Platz befindet.

„Ich habe am Morgen des 4. Juni das kleine Krankenhaus betreten, das mit dem chinesischen Ministerium für Wasserressourcen verbunden ist. Die Leichen, die ich fotografiert habe, hatten Schusswunden“, sagte Liu. „In einem anderen Raum hatten die Leichen Schusswunden in den Köpfen. Es war schrecklich. Ich konnte keine weiteren Fotos machen.“

Als jemand, der noch nie echte Leichen gesehen hatte, war er schockiert, so viele tote Menschen auf einmal zu sehen.

„Es war ein Albtraum. Wer kann sich ausmalen, dass die Regierung Studenten erschießt, die lediglich Demokratie in China gefordert hatten? Die Studenten wollten einfach nur China zu einem besseren Land machen. Aber sogar die Feldarmee kam nach Peking und unterdrückte die Studenten.“, erzählte Liu.

Liu kann sich an Schüsse vor dem Krankenhaus erinnern, die ihn damals dazu veranlassten, schleunigst das Gebäude zu verlassen und nach Hause zu rennen.

Die Rückkehr der vergessen geglaubten Vergangenheit

Nach dem Tiananmen-Massaker entwickelte Liu Zuhause alle 60 Filmrollen, versteckte sie – und versuchte sie zu vergessen. Denn wenn das chinesische Regime seine Fotos gefunden hätte, ist Liu überzeugt, wäre er wie auch seine Familie hart bestraft worden. Geldstrafen, Inhaftierung und der Verlust des Arbeitsplatzes wären wahrscheinlich gewesen.

„[Die KPCh] gestattet dir nicht, dass du selbst die ganze Verantwortung übernimmst, selbst wenn du es allein getan hast – deine ganzen Familienangehörigen und Verwandten werden deinetwegen auch bestraft“, erklärte Liu.

Der Fotograf schilderte, dass das Massaker von allen vergessen wurde – einschließlich von ihm selbst.

„Wir Chinesen haben den Tiananmen-Protest vergessen. Es ist wahr. Wir wurden von der CCP einer Gehirnwäsche unterzogen, um es zu vergessen. Es ist eine Tragödie.“

Ein Student der Chinesischen Universität für Politikwissenschaften und Recht in einem Hungerstreik im Juni 1989 Foto: Zur Verfügung gestellt von Liu Jian/The Epoch Times

In den Jahrzehnten nach der Tragödie war Liu selbst damit beschäftigt gewesen, eine private Firma zu führen und Geld zu verdienen. Die Partei fördert solche persönlichen Bestrebungen, damit sich die Menschen nicht auf soziale Fragen und Politik konzentrieren, sagt er.

„[Die KPCh ermutigt dich] jegliche Art von Essen und Freuden [zu genießen]. Die Menschen achten nicht auf die Politik. Sie verreisen lieber, streben nach Reichtum und einem komfortablen Lebensstil“, meinte Liu.

Entscheidender Moment der Geschichte

Liu sagte, er habe Glück gehabt, Fotos zu haben, die einen entscheidenden Moment in der Geschichte Chinas dokumentieren.

„Ich glaubte, dass es zu meinen Verpflichtungen gehört, diese Fotos zu veröffentlichen, damit die Kinder und noch mehr Menschen wissen, was die Studenten damals getan haben, wie die Gesellschaft darauf reagiert hat und wie sich die Soldaten benommen haben“, führt Liu aus.

Nach dem Massaker haben sich viele Professoren und Lehrer die Rede des damaligen KPCh-Führer angesehen, in der er sagte: „[Es lohnt sich] im Austausch für 20 Jahre Stabilität, 200.000 Menschen zu töten.

Jetzt sind dreißig Jahre vergangen. Liu schließt an die Veröffentlichung seiner Bilder die Bitte an: „Vergesst dieses Geschehnis nicht!“

Artikel im Original auf EET: „Photographer Releases Never-Before-Seen Tiananmen Protest Photos“ 



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