Marine Le Pen und Parteifreunde wegen Verdachts der Veruntreuung vor Gericht

Am Montag hat in Paris ein Prozess gegen 27 Abgeordnete der damaligen Front National (FN), darunter auch Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen, begonnen. Die Angeklagten sollen Scheinarbeitsverträge zulasten des EU-Parlaments abgeschlossen haben. Angezeigt hatte dies Ex-SPD-Chef Martin Schulz.
Marine Le Pen wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder vor Gericht.
Marine Le Pen steht wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder vor Gericht.Foto: Louise Delmotte/AP/dpa
Von 30. September 2024

Mehr als 20 Jahre lang war Martin Schulz einer der einflussreichsten Politiker auf EU-Ebene. Als SPD-Chef und Kanzlerkandidat war er hingegen nur wenig erfolgreich, und mit seiner Wahlniederlage im September 2017 endete seine Karriere im politischen Rampenlicht. Eine Anzeige von 2015 bringt ihn jetzt wieder in die Nachrichten. Als damaliger Präsident des EU-Parlaments erstattete er Anzeige gegen Marine Le Pen und 26 Mitstreiter. Der Fall wird seit Montag, 30. September, in Paris verhandelt.

Wird die langjährige Chefin des heutigen Rassemblement National (RN), Marine Le Pen, verurteilt, drohen ihr auf dem Papier bis zu zehn Jahre Haft und eine Geldstrafe von bis zu einer Million Euro. Ein tatsächlicher Freiheitsentzug ist zwar unwahrscheinlich, allein schon aufgrund der Verfahrensdauer. Der ebenfalls drohende Ausspruch einer Nichtwählbarkeit in öffentlichen Ämtern wäre für Le Pen im Zweifel jedoch noch ungünstiger. Immerhin will die 56-Jährige 2027 im vierten Anlauf Präsidentin von Frankreich werden.

Hat Le Pen den Front National auf Kosten des EU-Parlaments saniert?

Die Anklage, die Ende des Jahres 2023 erhoben wurde, lautet auf „Veruntreuung europäischer Gelder“. Auf bis zu 6,8 Millionen Euro schätzt das EU-Parlament, das als Nebenkläger auftritt, einem Bericht von „Euractiv“ zufolge den Schaden. Eine Million soll die Partei bereits zurückgezahlt haben, um eine mögliche Kürzung von Ansprüchen der öffentlichen Parteienfinanzierung zu verhindern.

Angeklagt sind neun EU-Abgeordnete der früheren Front National (FN), zwölf damalige Assistenten und sechs weitere Mitarbeiter. Die Abgeordneten sollen sie offiziell als Mitarbeiter für ihre parlamentarische Tätigkeit in Straßburg und Brüssel eingestellt haben. Tatsächlich sollen sie jedoch für die Partei tätig gewesen sein und auf nationaler Ebene Arbeit geleistet haben – auch für Le Pen persönlich. Zudem soll ein Teil der Einkünfte als „Parteisteuer“ an den FN geflossen sein.

Die Partei sei damals, so das Motiv laut Anklage, in einer prekären finanziellen Situation gewesen und habe auf diese Weise einen Weg gesucht, sich zu sanieren. Bei der Verwendung von Mitteln des EU-Parlaments sei eine Vermischung zwischen Abgeordnetentätigkeit auf EU-Ebene und Parteiarbeit auf nationaler Ebene jedoch nicht statthaft.

Ermittler stützen sich auch auf eigene Aussagen von Partei und Mitarbeitern

Die Partei scheint dabei die Aufmerksamkeit auch von selbst auf sich gezogen zu haben. Den Anstoß für die Ermittlungen, die Schulz initiiert hatte, gab offenbar ein Organigramm, das der FN selbst veröffentlicht hatte. Dort fiel es auf, dass einige Personen in Funktionen erschienen, die mit ihrer Tätigkeit als parlamentarische Assistenten im EU-Parlament kaum vereinbar waren.

Thierry Légier, der erst für Jean-Marie Le Pen und dann für dessen Tochter Marine als Leibwächter tätig war, veröffentlichte ein Buch mit Anekdoten, von denen keine auf eine Tätigkeit im EU-Parlament hindeutete. Gegenüber den Ermittlern erklärte er, alle Verträge, die er von den Le Pens vorgelegt bekommen hatte, habe er im Vertrauen auf diese unterschrieben, ohne den Inhalt zu prüfen.

Ein Schriftstück des damaligen Schatzmeisters Wallerand de Saint-Just aus dem Jahr 2014 ist aus Sicht der Ermittler ebenfalls ein belastendes Indiz. Dieser habe damals explizit geschrieben, dass der FN sich lediglich von seinen finanziellen Engpässen erholen könne, weil er „dank des EU-Parlaments erhebliche Einsparungen“ mache.

Le Pen spricht von „politisch motiviertem Prozess“

Die Sekretärin und phasenweise Schwägerin Le Pens, Catherine Griset soll der Auswertung ihrer Zugangskarte zufolge als Assistentin im EU-Parlament nur etwa anderthalb Arbeitstage dort verbracht haben. Sie selbst gibt an, regelmäßig auch ohne Einstempeln ins Parlament gekommen zu sein, weil sie Le Pen begleitet habe. Der Abgeordnete Louis Aliot soll mit seinem Assistenten während der gesamten Vertragsdauer nur eine SMS und nicht einmal eine E-Mail ausgetauscht haben.

Die Politikerin spricht von einem „politischen Prozess“ der Staatsanwaltschaft. Bereits Schulz habe aus politischen Gründen seine Anzeige erstattet. Der Anwalt der Politikerin kündigte an, sie werde während der Verhandlung präsent sein und „die Dinge klarstellen“.

Allerdings soll der Umfang der Akte einem Bericht der linksgerichteten Zeitung „Libération“ zufolge insgesamt 2.500 Seiten umfassen. Auch der derzeitige Parteichef Jordan Bardella soll jüngst in den Verdacht geraten sein, nachträglich Unterlagen über eine parlamentarische Tätigkeit „frisiert“ zu haben.

Macron-Partei ebenfalls ins Visier der Ermittler geraten

Es ist ungewiss, wie sich die Vorwürfe der Anklage nach der langen Zeit beweisen lassen sollen, zumal es kaum üblich sein dürfte, dass parlamentarische Mitarbeiter täglich ein umfangreiches Protokoll über ihre Tätigkeit anfertigen. Le Pen selbst macht deutlich, die Mitarbeiter seien keine Angestellten des EU-Parlaments. Sie arbeiteten für Abgeordnete, die einer politischen Partei angehörten. Daher sei es „selbstverständlich“, dass diese sich auch politisch engagierten.

Andererseits deutet einiges darauf hin, dass es in politischen Kreisen zum guten Ton gehört, mit Blick auf das Zuwendungssystem für Abgeordnete fallweise zu Tricks zu greifen. Im Februar gab es Bewährungsstrafen gegen mehrere Mitglieder der ehemaligen Macron-Partei Modem wegen zweckfremder Beschäftigung parlamentarischer Mitarbeiter.

Schulz kassierte 2017 selbst Rüge des EU-Parlaments

Pikanterie am Rande: Martin Schulz selbst hatte 2017 im Rahmen des Entlastungsbeschlusses eine Rüge des Europäischen Parlaments kassiert. Es ging dabei um zwei von ihm als Parlamentspräsident zu verantwortende Personalangelegenheiten.

So soll ein Mitarbeiter der Parlamentsverwaltung von diesen Auslandszulagen von etwa 20.000 Euro für eine zehnmonatige Tätigkeit in Berlin erhalten haben. Dies, obwohl dort ohnehin sein Lebensmittelpunkt gewesen sei. Der Betreffende soll später sogar der Wahlkampfleiter von Schulz gewesen sein.

Zum anderen soll er mittels eines Präsidentenbeschlusses ungerechtfertigte Beförderungen enger Mitarbeiter und damit verbundene, hoch dotierte Dienstposten abgesegnet haben. Schulz witterte hinter den Vorwürfen eine Kampagne durch „Anti-Europäer, Konservative und Grüne“. Das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung leitete in seinem Fall kein Ermittlungsverfahren ein.



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