Machtwechsel in Syrien: Chancen für Trump und Scholz

Ein Jahrzehnt des Bürgerkriegs mit über 500.000 Toten und Millionen Vertriebenen endet bis auf Weiteres abrupt. Innerhalb von zwei Wochen ist das Assad-Regime in Syrien zusammengebrochen. Rebellen ziehen in Damaskus ein.
Kämpfer der oppositionellen Milizen setzen in Damaskus nach der Einnahme der Stadt ein Militärgericht in Brand.
Rebellen der oppositionellen Milizen setzen in Damaskus nach der Einnahme der Stadt ein Militärgericht in Brand.Foto: Hussein Malla/AP/dpa
Von 8. Dezember 2024

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Mehr als ein Jahrzehnt tobte seit den ersten Demonstrationen im Zuge des sogenannten Arabischen Frühlings in Syrien ein blutiger Bürgerkrieg. Die Zahl der Todesopfer wird auf mehr als 500.000 geschätzt. Etwa 12 Millionen Syrer haben ihre Heimat verloren und sind entweder innerhalb des eigenen Landes, in Länder wie den Libanon, die Türkei oder in die EU geflohen.

Nun ist das Regime des Assad-Clans, das über 60 Jahre das Land regiert hatte, innerhalb von 14 Tagen zusammengebrochen. Inwieweit die fünf Geheimdienste, auf die sich die Führung in all den Jahrzehnten gestützt hatte, die Entwicklung vorausgesehen hatten, ist ungewiss. Auch, welche diplomatischen Initiativen im Hintergrund stattgefunden hatten, um einen bislang geordneten Übergang zu ermöglichen.

Bat Assad Israel um Hilfe gegen die vorrückenden Rebellen?

Saudi-arabischen Quellen zufolge soll Assad sich in den vergangenen Tagen an Israel gewendet haben, um vom jüdischen Staat Hilfe gegen die dschihadistisch dominierten Rebellen zu erbitten. Im Gegenzug soll er angeboten haben, Hisbollah und die proiranischen Proxys des Landes zu verweisen. Zudem habe er in Aussicht gestellt, iranische Waffenlieferungen durch sein Land zu unterbinden.

Offizielle Bestätigungen für diese Anfrage gibt es nicht. Es sprach auch wenig dafür, dass die Regierung in Jerusalem die Annahme eines solchen Angebots ernsthaft erwogen hätte.

Im bisherigen Verlauf des syrischen Bürgerkrieges hatte sich Israel neutral verhalten – das Assad-Regime galt als „Feind, den man kannte“ und der als berechenbar erschien. Israel ging bisweilen gegen proiranische Truppen und gegen Anlagen vor, die diese für den Waffenumschlag nutzten.

Im Vorfeld stimmte man sich dabei regelmäßig mit Russland ab. Neben dem iranischen Regime war der Kreml die zweite Schutzmacht, die den Verbleib Assads an der Macht garantierte. Ein wesentlicher Faktor für den nunmehrigen Sturz Assads war, dass es Israel jüngst gelungen war, die Hisbollah und weitere proiranische Milizen zu schwächen, die in der Region operierten.

Syrien nicht mehr das Kerninteresse des Kremls

Russland wiederum scheint Syrien nicht mehr als außenpolitische Priorität betrachtet zu haben. Zwar war der Zugang zum Mittelmeer, den der Hafen von Tartus bot, strategisch wichtig für die logistische Unterstützung von Aktivitäten in der Golfregion oder in Afrika.

Die Stabilisierung von Gebieten, die man im Ukrainekrieg unter Kontrolle gebracht hatte, war für Präsident Wladimir Putin allerdings bedeutsamer. Außerdem deutet die geringe Gegenwehr, die den Rebellen auf ihrem Vormarsch entgegengebracht wurde, darauf hin, dass die Akzeptanz Assads in Bevölkerung und Militär geschwunden ist.

Unbestätigten Meldungen zufolge sollen erste russische Schiffe und Militärflugzeuge Syrien verlassen haben. Eine Bestätigung aus Russland, dessen Präsenz in Syrien durch bilaterale Verträge abgesichert ist, gibt es jedoch nicht.

Der stellvertretende Präsident der Staatsduma, Konstantin Kosatschjow, erklärte jedoch „Interfax“ zufolge, die Syrer müssten „mit einem voll entfalteten Bürgerkrieg allein fertig werden“. Derzeit, so heißt es aus dem Kreml, sehe man jedoch keine Gefahren für eigene Militärbasen.

Israel soll unterdessen die Zugänge zu den seit 1967 von den eigenen Streitkräften kontrollierten Golanhöhen abgeriegelt und die dortigen Truppen verstärkt haben. Wie der „Kurier“ berichtete, hatten Rebellen am Samstag die Stadt Quneitra nahe dem Golan erobert.

„Kernideologie“ der Rebellen weckt Sorge in Israel

Wie „Haaretz“ schreibt, sind Armee und Geheimdienste überrascht über die Geschwindigkeit, mit der den Rebellen die Einnahme der größten Städte des Landes gelungen sei. Es bleibe abzuwarten, wie die künftige Regierung in Syrien aussehen werde.

Allerdings sei Israel in Sorge angesichts der „Kernideologie“ der Rebellen. Man werde deshalb alle Anstrengungen unternehmen, um zu verhindern, dass gefährliche Waffensysteme in die falschen Hände fielen.

Aus den Reihen der Rebellen kamen am Samstagabend Ankündigungen, wonach man die Institutionen des Landes intakt lassen wolle. Man wolle nicht den Fehler der USA im Irak begehen, Sicherheitskräfte und Militär aufzulösen. Diese hatte im Irak nach dem Sturz von Machthaber Saddam Hussein zu einem blutigen Bürgerkrieg und zum Aufstieg der Terrormiliz IS geführt.

Der in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) erscheinenden Plattform „The National“ zufolge steht der amtierende Premierminister Muhammad Al Dschalali mit Rebellenkommandant Abu Mohammad Al Dscholani in Gesprächen. Al Dschalali erklärte, er sei bereit, mit jeder Führung, die das syrische Volk gewählt habe, an einem Übergangsprozess zu arbeiten.

Türkei mahnt Rebellen zum Aufbau einer „inklusiven“ Regierung

Die Türkei hat unterdessen betont, die neuen Machthaber müssten eine „inklusive“ Regierung anstreben. Vor allem unter Minderheiten ist die Angst vor der Miliz Hajat Tahrir al-Scham (HTS) und Al Dscholani groß.

Im syrischen Bürgerkrieg traten sie bisher durch extreme Brutalität und zahlreiche Kriegsverbrechen in Erscheinung.

Der türkische Außenminister Hakan Fidan erklärte auf einer Pressekonferenz in Doha, das syrische Volk sei derzeit nicht in der Position, um selbst und in Eigenregie das Land wiederaufbauen zu können.

Internationale Akteure und regionale Mächte müssten nun die territoriale Integrität des Landes sichern. Es dürfe „terroristischen Organisationen“ nicht erlaubt werden, die Situation auszunutzen. Fidan spielte damit auf den IS, aber auch auf die PKK an. Die Türkei kämpft im Norden des Landes gegen kurdische Milizen, die dieser nahestehen.

In Israel ist das Vertrauen in die moderaten Ankündigungen gering. Dort ist man besorgt angesichts der starken dschihadistischen Prägung der vorrückenden Rebellen und ihres Führers Al Dscholani.

Israel in Alarmbereitschaft: Bedrohung durch Iran durch eine aus Ankara ersetzt?

Vor allem aber will man in Jerusalem verhindern, dass die Bedrohung durch den Iran lediglich durch eine aus Ankara ersetzt wird. Der Einfluss der Türkei auf die syrischen Rebellen ist mindestens so groß wie jener Teherans auf seine Proxys. In sozialen Medien finden sich Beiträge türkischer Nationalisten, in denen auf Aussagen von Präsident Recep Tayyip Erdoğan eingegangen wird.

In diesen hatte er sich unter anderem als „Befreier Jerusalems“ dargestellt. Mit einer Machtübernahme durch die Rebellen in ganz Syrien hätte die Türkei nun de facto eine gemeinsame Grenze mit dem jüdischen Staat, so die Schlussfolgerung. Nach dem Massaker der Hamas vom 7. Oktober 2023 ist die Rhetorik Erdoğans gegenüber Israel immer aggressiver geworden.

Kurzfristig dürften jedoch für die Türkei der Kampf gegen die Kurdenmilizen und die Entspannung der innenpolitischen Lage im Vordergrund stehen. Die Regierung in Ankara dürfte einen Machtwechsel in Syrien zum Anlass nehmen, eine Rückführung des größten Teils der syrischen Flüchtlinge zu forcieren. Seit Beginn des Bürgerkrieges hatten mehr als drei Millionen Syrer in der Türkei Zuflucht gefunden.

Entwicklungen in Syrien als taktische Chance für Scholz

Syrien nach Assad zu stabilisieren und eine Rückkehr des Bürgerkrieges zu verhindern, wird die Verantwortung der neuen Machthaber, aber auch der Regionalmächte sein, die ein gemeinsames Interesse an der Begrenzung des iranischen Einflusses haben. Dieses verbindet trotz aller Differenzen Israel, die Türkei und einflussreiche Golfstaaten von Saudi-Arabien über Katar bis hin zu den Vereinigten Arabischen Emiraten.

Der designierte US-Präsident Donald Trump, der bereits am Samstag einer strikten Einmischung der USA in die Entwicklung in Syrien das Wort geredet hatte, könnte dies zur Wiederbelebung und Weiterentwicklung der Abraham Accords nutzen.

Die USA hätten davon den Nutzen, dass es eine Chance auf einen stabileren Nahen Osten gibt. Gleichzeitig würden die Regionalmächte ebenso wie Russland davon profitieren, dass der europäische Einfluss minimiert würde.

Eine Chance bietet der Machtwechsel in Syrien auch für Bundeskanzler Olaf Scholz mit Blick auf die Bundestagswahl.

Er könnte zum einen die diplomatischen Beziehungen zu Syrien wiederaufnehmen und mit den neuen Machthabern über Rückkehroptionen für syrische Flüchtlinge reden. Damit könnte er eigene Akzente in der Migrationspolitik setzen und würde es Union und AfD schwerer machen, sich damit im Wahlkampf zu profilieren.

Zum anderen könnte er – wenn es bei diesem bleibt – den verhältnismäßig unblutigen und geordneten Machtwechsel in dem Land zur Rechtfertigung der Forderung nach Friedensverhandlungen in der Ukraine heranziehen.

Damit würde die SPD an die auch innenpolitisch erfolgreiche Schröder-Doktrin von 2002 anknüpfen, dass Krieg und revolutionäre Machtwechsel keine tauglichen Instrumente seien, um eigene Interessen zur Geltung zu bringen. Die späteren Entwicklungen im Irak, in Libyen, in Syrien und in der Ukraine hatten den Altkanzler in seiner Einschätzung bestätigt.



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