Machtkampf zwischen Johnson und Londoner Unterhaus steuert auf Höhepunkt zu
Nach einer schweren Abstimmungsniederlage im Londoner Unterhaus hat der konservative britische Premierminister Boris Johnson für den 15. Oktober vorgezogene Neuwahlen vorgeschlagen. Wenn Oppositionsführer Jeremy Corbyn ein Gesetz gegen die Strategie seiner Regierung in den Brexit-Verhandlungen unterstütze, müsse die Bevölkerung Großbritanniens „ihre Sichtweise“ zum Ausdruck bringen können, sagte Johnson am Mittwoch bei einer hitzigen Parlamentsdebatte.
Gegen Johnsons erklärten Willen entschieden die Abgeordneten in der Nacht mit 328 gegen 301 Stimmen, für Mittwoch eine Abstimmung über den Gesetzentwurf gegen einen „No Deal“-Brexit auf die Tagesordnung zu setzen. Sie wollen den Brexit-Hardliner Johnson daran hindern, den EU-Austritt zum 31. Oktober „ohne Wenn und Aber“ durchzuziehen, also notfalls auch ohne Abkommen mit der EU.
21 Abgeordnete von Johnsons konservativen Tories stimmten mit der Opposition dafür, den Gesetzentwurf auf die Tagesordnung zu setzen – und wurden dafür mit Parteiausschluss bestraft. Unter den Ausgeschlossenen sind Nicholas Soames, ein Enkel des legendären britischen Premierministers Winston Churchill, und der frühere Finanzminister Philip Hammond.
Der Austritt ohne Abkommen ist mit unkalkulierbaren wirtschaftlichen Risiken verknüpft; wichtige rechtliche Fragen des künftigen Umgangs zwischen dem ausgetretenen Königreich und den verbliebenen EU-Staaten wären ungeklärt.
Machtkampf geht in weitere Runde
Der Machtkampf sollte am Mittwoch in eine weitere Runde gehen – für 20.00 Uhr wurde die Abstimmung über die Verhinderung eines Brexits ohne Abkommen erwartet, für 22.00 Uhr dann voraussichtlich eine Entscheidung über die von Johnson zu beantragenden vorgezogenen Neuwahlen.
Bei der Abstimmung über den Gesetzentwurf wurde eine ähnliche Mehrheit wie bei der Abstimmung in der Nacht zum Mittwoch erwartet. Allerdings müssten alle drei erforderlichen drei Lesungen durchgezogen und die Zustimmung des Oberhauses eingeholt werden.
Johnson sagte, er werde dieses Gesetz „niemals zulassen“, da es auf „Kapitulation“ hinauslaufe. Das Gesetz sieht vor, den EU-Austritt bei einer fehlenden Einigung mit Brüssel nochmals bis zum 31. Januar 2020 zu verschieben.
Das „Niveau des Vertrauens in Johnson“ sei „sehr, sehr niedrig“, sagte Labour-Sprecher Keir Starmer. „Wenn er sagt, dass wir am 15. Oktober Wahlen haben, glaubt ihm niemand.“ Labour werde „heute nicht mit Johnson stimmen“. Zugleich wiederholte Starmer aber frühere Aussagen von Parteivertretern, nach denen Labour für Neuwahlen sei.
Johnson will nach Irland reisen
Johnson kündigte an, er wolle am kommenden Montag nach Irland reisen und dort mit dem irischen Regierungschef Leo Varadkar über die sogenannte „Backstop“-Regel sprechen, mit der die EU eine harte Grenze zwischen dem zu Großbritannien gehörenden Nordirland und Irland verhindern will.
Diese Regel würde Großbritannien auch nach einem Brexit bis auf Weiteres in einer Zollunion mit der EU halten, was Johnson ablehnt. Sie ist der Hauptstreitpunkt bei den Verhandlungen zwischen London und der EU. Brüssel beharrte am Mittwoch weiter auf dieser Regelung.
Johnsons Regierung kündigte zur Bewältigung der Brexit-Folgen zusätzliche Ausgaben in Höhe von zwei Milliarden Pfund (2,2 Milliarden Euro) an. Die Gelder sollen etwa in den Grenzschutz und die Infrastruktur von Häfen fließen.
Schottisches Gericht erklärte Zwangspause für zulässig
Ein Gericht im schottischen Edinburgh erklärte die von Johnson in der vergangenen Woche verhängte Zwangspause des britischen Parlaments für zulässig. Der Court of Session, das höchste schottische Zivilgericht, wies einen Antrag von 75 Abgeordneten zurück, die Zwangspause für unzulässig zu erklären.
Richter Raymond Doherty befand, Johnsons Entscheidung falle in den Bereich politischer Entscheidungen. Es sind noch zwei weitere juristische Verfahren gegen die Zwangspause anhängig, die Johnson nach Angaben seiner Gegner verhängte, um das Parlament im Brexit-Prozess zu behindern. (afp)
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