Machtdemonstration in Syrien: Wollte der IS Tausende Kämpfer befreien?

Seit mehreren Tagen versucht der IS im nordostsyrischen Hasakeh Tausende seiner Kämpfer aus einem Gefängnis zu befreien. Inzwischen sind die Dschihadisten eingeschlossen. Doch die prekären Verhältnisse in Syrien begünstigen die Rekrutierungsversuche der Terrororganisation im Land. Gleich mehrere Faktoren scheinen ihnen in die Karten zu spielen.
Titelbild
Eine Patrouille der Syrian Democratic Forces (SDF) am 23. Januar 2022 in den Straßen von Hasakeh im Nordosten Syriens.Foto: AFP via Getty Images
Von 26. Januar 2022

3.500 IS-Kämpfer wurden im Sina’a-Gefängnis von Hasakeh (Al-Hasaka) im Nordosten Syriens gefangen gehalten, als in der Nacht zum 20. Januar 2022 der Befreiungsangriff der Terrororganisation stattfand. Truppen des Militärbündnisses „Syrian Democratic Forces“ (SDF) umstellten das ganze Stadtviertel. Auch waren amerikanische Panzer im Einsatz sowie britische Eliteeinheiten, berichtet die „Neue Zürcher Zeitung“.

Aus der Luft sicherten US-Kampfjets und Hubschrauber den Kampf gegen die Islamisteneinheiten. Generalmajor John W. Brennan jr., Befehlshaber der amerikanischen Anti-IS-Koalition, erklärte, dass man sich große Mühe gegeben habe, für eine humanitäre Behandlung der IS-Kämpfer zu sorgen. Als sie jedoch zu den Waffen griffen, seien sie „zu einer aktiven Bedrohung“ geworden. Man musste dann auch aus der Luft angreifen.

„Werden IS-Reste beseitigen“

Das Generalkommando der SDF kündigte nach Angaben der syrischen Presseagentur „North Press Agency“ seine Entschlossenheit im Kampf gegen die Dschihadisten an:

Wir werden die Überreste der Terrororganisation beseitigen, sie vollständig ausrotten und die Welt von diesem Übel befreien.“

Die Antwort auf den IS-Angriff werde entsprechend sein, hieß es. Mehrere Tage lang gab es heftige Kämpfe, bei denen nach Agenturmeldungen zwischen 160 und 260 Menschen starben, darunter auch 45 Sicherheitskräfte. Mittlerweile wird der Kreis um die Haftanstalt immer enger.

Obwohl schon Teile des Gefängnisses befreit worden sind, sind die im Gefängnis sich verschanzenden Dschihadisten noch nicht endgültig besiegt. Bisher sollen sich rund 850 IS-Angreifer und IS-Häftlinge ergeben haben. Sie wurden in ein Gefängnis tiefer im Landesinneren gebracht. Wie viele der in Hasakeh eingesessenen Terrorkämpfer im Tumult der Kämpfe entkommen konnten, ist ungewiss.

According to @syriahr, 114 ISIS members have been killed since January 20.

Additionally, 9 prison staff were freed yesterday. The prison was airstriked 11 times yesterday & 5 times this morning. At 13:30 today, SDF stated they had taken control of a block of 8 dormitories.

Wie „Bild“ berichtete, wurden die Angriffe der IS-Kämpfer im Inneren des Gefängnisses von einem koordinierten Aufstand begleitet. Häftlinge hätten mit Matratzen und Decken Feuer gelegt, um Panik und Verwirrung anzustiften. Gleichzeitig griffen von außen Selbstmordattentäter die Außenstellen des Gefängniskomplexes an, gefolgt von IS-Söldnern. Die Wachmannschaften wurden demnach von zwei Seiten attackiert.

Die kurdische Regionalregierung riegelte daraufhin den betroffenen Stadtteil ab, evakuierte die Anwohner und durchsuchte Straßen und Häuser nach ausgebrochenen Gefangenen. Angaben zufolge hatten IS-Leute im Vorfeld den Stadtteil um das Gefängnis herum infiltriert. Angaben des SDF zufolge hätten die Islamisten Hunderte von Minderjährigen aus inhaftierten IS-Familien als menschliche Schutzschilde missbraucht. 600 solcher Minderjährigen soll es im Gefängnis gegeben haben, rund 150 aus dem Ausland, viele sogar aus Europa.

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IS weiter in Syrien am Werk

Das kurdische Rojava-Informationszentrum (RIC) berichtete von mehreren Aufständen im Sina’a-Gefängnis in Hasakeh, Syrien, in den vergangenen zwei Jahren. Allein 2020 wurde dreimal ein Aufstand durchgeführt. Häftlinge versuchten zu fliehen. Im Mai 2021 wurde zerstörte Überwachungstechnik im Gefängnis entdeckt, um einen Fluchtversuch zu ermöglichen. Bei einer anschließenden Razzia fanden die Sicherheitskräfte ein großes Lager handgefertigter Waffen.

Im November gelang Anti-Terror-Kräften ein Schlag gegen IS-Schläfer, die einen Befreiungsangriff geplant hatten. Dabei wurden 37 Kalaschnikow-Sturmgewehre mit 6.000 Schuss Munition, zwei Kalaschnikow-Maschinengewehre mit 5.000 Schuss Munition, eine Panzerfaust mit 42 Raketen, 62 Granaten und elf Sprengkörper sichergestellt.

Um Weihnachten wurde dann bei einer Razzia ein IS-Chefplaner festgenommen, der für die entsprechenden Planungen zuständig war. Dennoch führten die Dschihadisten nun diesen koordinierten Innen- und Außenangriff auf Sina’a aus, um im besten Fall Tausende ihrer Kämpfer zu befreien.

Jassim Mohamad, Direktor des „European Center for Counterterrorism and Intelligence Studies“ (ECCIS), erklärte: Der IS könne zwar nicht mehr wie früher ganze Städte kontrollieren, aber „in einigen entlegenen Wüsten- oder Gebirgsgegenden hat er immer noch Rückzugsgebiete“. In dem Angriff auf das Gefängnis sieht der Experte eine Machtdemonstration.

Zudem erkennt er darin einen Strategiewechsel. Der IS greife mittlerweile vor allem staatliche Einrichtungen wie Gefängnisse und Kasernen an. „Dafür verzichtet er auf Angriffe auf zivile Ziele, die durch den zehnjährigen Krieg allerdings zu großen Teilen ohnehin bereits zerstört sind. Damit will er vermeiden, die Bevölkerung gegen sich aufzubringen“, sagte Jassim Mohamad der „Deutschen Welle“.

IS-Rekrutierung begünstigt

Die Rekrutierungschancen für den IS-Nachwuchs seien derzeit in Syrien gut. Die anhaltende Dürre im Land ist die schlimmste seit 70 Jahren. Flüsse versiegten, Trinkwasser sei knapp, so die „DW“. Die Lage ist angesichts einer fehlenden ordnenden Staatsgewalt unsicher. Wirtschaft und Gesellschaft seien durch den Zusammenbruch der Währung und die internationalen Sanktionen gegen die Herrschaft von Machthaber Assad und seine sozialistische Bath-Partei. Die Dschihadisten würden unter Armen und Unzufriedenen leicht rekrutieren können.

Vor zwei Jahren wurde bekannt, dass zu diesem Zeitpunkt im Sina’a-Gefängnis rund 5.000 IS-Kämpfer aus 33 Ländern waren. Damals wurden auch mit dort inhaftierten deutschen IS-Kämpfern Interviews gemacht. Laut einem Bericht der „FAZ“ habe einer von ihnen, ein polizeibekannter Gewalttäter aus Berlin, im Verlauf des Gesprächs immer mehr die Maske des frommen Dissidenten fallen gelassen. Hieß es anfangs noch, er habe mit den Gräueltaten nichts zu tun gehabt, prophezeite er am Ende die Rückkehr des IS: „Der ,Islamische Staat‘ wird auch wieder zurückkommen, stärker und brutaler.“



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