London schätzt Brexit-Rechnung auf 40 bis 45 Milliarden Euro – Brüssel geht von 60 Milliarden aus
Die britische Regierung schätzt die Höhe der Brexit-Rechnung auf 40 bis 45 Milliarden Euro. Das erklärte der Sprecher von Premierministerin Theresa May am Freitag am Regierungssitz in Downing Street. In Brüssel wird die Summe der Finanzforderungen auf bis zu 60 Milliarden Euro geschätzt, eine offizielle Zahl wurde aber bislang nicht genannt.
Die EU verlangt, dass Großbritannien alle während der Mitgliedschaft eingegangenen finanziellen Verpflichtungen erfüllt – selbst über das Austrittsdatum Ende März 2019 hinaus. Das liegt am mehrjährigen Finanzrahmen der EU, der noch bis Ende 2020 läuft.
Eine Einigung über eine konkrete Summe wurde bislang noch nicht erzielt. Vereinbart wurden lediglich Grundsätze, wie die Brexit-Rechnung erstellt wird. London wird dabei 2019 und 2020 weiter wie bisher seine jährlichen Mitgliedsbeiträge zahlen.
Die britische Regierung sicherte auch zu, für ihren Anteil an Garantien bei der Europäischen Investitionsbank (EIB) oder den EU-Afrika-Fonds einzustehen. Der Anteil an den Pensionszahlungen für EU-Beamte wird erst Ende 2020 berechnet.
Beginn der zweiten Verhandlungsphase
„Es wurden genügend Fortschritte erzielt, damit wir jetzt in die zweite Phase der Verhandlungen eintreten können“, sagte Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit May in Brüssel.
Offiziell entscheiden müssen noch die Staats- und Regierungschefs beim EU-Gipfel kommende Woche. EU-Ratspräsident Donald Tusk warnte die britische Regierung davor, die zweite Phase der Brexit-Verhandlungen zu unterschätzen. Für ihn steht „die schwierigste Herausforderung noch bevor“.
Die Bundesregierung wertete die Einigung als einen „Schritt nach vorne“. Es liege aber noch viel Arbeit vor den Verhandlungsführern. Sollten die Staats- und Regierungschefs beim EU-Gipfel am kommenden Freitag der Empfehlung der EU-Kommission folgen, beginne eine „hochkomplexe Verhandlungsphase“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin.
Keine „harte Grenze“ zu Nordirland
Knackpunkt in den Verhandlungen war die Nordirland-Frage. May sicherte am Freitag zu, dass es durch den Brexit „keine harte Grenze“ mit strengen Pass- und Zollkontrollen zwischen Irland und Nordirland geben werde. Auch am Karfreitagsabkommen, das 1998 den blutigen Nordirlandkonflikt beendet hatte, werde festgehalten.
Der irische Premierminister Leo Varadkar begrüßte die Einigung und sprach von einem „sehr wichtigen Tag“. EU-Verhandlungsführer Michel Barnier sagte, auch in den beiden anderen wichtigen Austrittsfragen von Phase eins seien „ausreichende Fortschritte“ erzielt worden. Dabei geht es um die künftigen Rechte der 3,2 Millionen EU-Bürger in Großbritannien und die milliardenschweren Finanzforderungen an London.
So könnten EU-Bürger nach dem Brexit in Großbritannien „wie heute weiter wohnen, arbeiten, studieren“, sagte Barnier. Bei der lange umstrittenen Frage, ob die Rechte auch beim Europäischen Gerichtshof eingeklagt werden können, gab es einen Kompromiss: Britische Richter können den Gerichtshof anrufen, wenn es aus ihrer Sicht Rechtslücken gibt. Dies gilt aber nur für acht Jahre.
Auf eine Summe bei den Finanzforderungen verständigten sich beide Seiten wie erwartet noch nicht. In Brüssel wird diese auf bis zu 60 Milliarden Euro geschätzt. Vereinbart wurden nun lediglich Grundsätze, wie die Summe berechnet werden soll. Ein Sprecher Mays erklärte am Freitag, London schätze die Höhe der Brexit-Rechnung auf 40 bis 45 Milliarden Euro.
Nun geht es um die künftigen Handelsbeziehungen
In ihrer Heimat steht May trotz der Einigung weiter unter großem Druck. Brexit-Hardliner verurteilten den mit Brüssel vereinbarten Kompromiss. Die „Leave.EU“-Kampagne warf der Regierungschefin eine „vollständige Kapitulation“ vor. Auch der frühere Chef der EU-feindlichen Ukip-Partei, Nigel Farage, kritisierte die Einigung.
Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) zeigte sich derweil „erleichtert über den Durchbruch“. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) bezeichnete die Einigung als „ein verspätetes Nikolausgeschenk“. Ähnlich äußerte sich der britische Unternehmerverband CBI.
In Phase zwei geht es um die künftigen Handelsbeziehungen, nachdem Großbritannien auch aus dem EU-Binnenmarkt und der Zollunion austreten will. Um Turbulenzen in den engen Wirtschaftsbeziehungen zu verhindern, hat May vorschlagen, in einer rund zweijährigen Übergangsphase im Wirtschaftsbereich alles so zu belassen wie es ist.
Tusk stellte dafür aber Bedingungen, die für Brexit-Hardliner in Großbritannien schwer zu akzeptieren sein dürften. Großbritannien müsse während dieser Zeit das gesamte EU-Recht einschließlich neuer Gesetzgebung respektieren.
Da London nicht mehr an der Freizügigkeit im EU-Binnenmarkt teilnehmen will, sieht Barnier als einzige Möglichkeit ein Freihandelsabkommen. Dies hat May aber bisher eigentlich ausgeschlossen. (afp)
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