„Lockdown-Files“ zeugen von der „Lust, die Bevölkerung zu drangsalieren“
Die Corona-Pandemie samt ihren rigiden Maßnahmen wie Lockdowns, Ausgangssperren, Impfkampagne und vielem mehr ist aus der öffentlichen Diskussion weitgehend verschwunden. Nun spült ein neuer Skandal die Erinnerungen vor allem in Großbritannien wieder an die Oberfläche.
Denn dort sind mehr als 100.000 private WhatsApp-Nachrichten des ehemaligen Gesundheitsministers Matt Hancock aufgetaucht. Die geleakten Mitteilungen hat die Journalistin Isabel Oakeshott dem „Telegraph“ zugespielt, der sie seinen Lesern nun häppchenweise präsentiert, schreibt die „Neue Zürcher Zeitung“.
Keine „robuste Logik“ für Einschränkung sozialer Kontakte
Die Nachrichten zeigen vor allem, dass Minister und Beamte viele Maßnahmen auf Basis sehr dünner wissenschaftlicher Erkenntnisse trafen. Auch politische Motive spielten eine Rolle. Mitunter schimmere gar „eine Lust durch, die Bevölkerung mit drakonischen Regeln zu drangsalieren“.
Großbritannien verhängte im Jahr 2020 im Vergleich zu anderen Ländern erst spät den ersten Lockdown. Auch lockerte die Regierung von Boris Johnson früher als andere die Maßnahmen. Doch waren diese nach den veröffentlichten „Files“ wohl ohne valide wissenschaftliche Grundlage.
So räumt eine Ministerin in den Chats unumwunden ein, dass es keine „robuste Logik“ zur Einschränkung der sozialen Kontakte auf sechs Personen gebe. Doch hinderte das die Minister nicht am Beschluss dieser Maßnahme. Auch für oder gegen das Tragen von Masken in Schulen gab es keine eindeutigen Argumente.
Das beweist ein langer Chat-Austausch zwischen wissenschaftlichen Beratern. Dennoch entschied die Johnson-Regierung sich am Ende für eine Tragepflicht. Einziger Grund: Sie wollte eine Diskrepanz zu strengen Regelungen seitens der schottischen Regionalpräsidentin Nicola Sturgeon vermeiden.
Johnson bezeichnete verhängte Strafen als „wunderbar“
Begleitet war die englische Corona-Politik von massiven und überaus strengen Kontrollen. So verhängte die Polizei selbst in Bagatellfällen hohe Bußen. In Nordwestengland verfärbten sie einmal gar eine Lagune mit schwarzer Tinte, um Besucher abzuschrecken. Die Textnachrichten zeigen nun, dass Regierungsmitglieder und Beamte das strenge Kontrollregime eigens beförderten.
So forderte Hancock, die Polizisten müssten mit „harter Hand“ durchgreifen, um Lockdown-Sünder zu bestrafen. Boris Johnson beantwortete die Nachricht, wonach ein von einer Reise nach Dubai zurückgekehrtes englisches Ehepaar zu einer Strafe von 20.000 Pfund (circa 22.500 Euro) verdonnert wurde, mit dem Kommentar „wunderbar“.
„Wie viele haben wir heute schon eingesperrt?“
Ein Berater von Hancock stellte die Frage in den Raum, ob man nicht den Brexit-Vorkämpfer und Lockdown-Kritiker Nigel Farage wegen eines mutmaßlich rechtswidrigen Pub-Besuchs „einbuchten“ könne. Ein hoher Beamter aus dem Umfeld Johnsons freute sich über die Einführung obligatorischer Quarantäne-Hotels, in die Reisende aus bestimmten Ländern eingesperrt wurden.
„Wir geben Großfamilien die Hotelsuiten und sperren Pop-Stars in die kleinen Zimmer“, schrieb Hancock im Chat. „Ich will die Gesichter der Ersteklassepassagiere sehen, die in einem Premier Inn Hotel in eine Schuhschachtel einquartiert werden“, entgegnete Johnsons Sekretär Simon Case. „Wie viele haben wir denn heute schon eingesperrt?“
Die massiven Regeln, die die Regierung der Bevölkerung auferlegte, standen im ebenso massiven Kontrast zum Verhalten der Entscheidungsträger. Gesundheitsminister Hancock musste zurücktreten, weil eine Kameraaufnahme zeigte, wie er seine Geliebte im Widerspruch zu den Corona-Regeln innig küsste. Seither machte der Politiker vor allem noch mit der Teilnahme an einer Reality-TV-Show im australischen Dschungel von sich reden.
Der damalige Premierminister Johnson stolperte über die Lockdown-Partys an der Downing Street Nummer 10, die nun ebenfalls wieder in die Schlagzeilen geraten. Eine parlamentarische Untersuchungskommission kam kürzlich zu dem Ergebnis, dass Johnson die Legislative in die Irre geführt haben könnte.
Basierte zweiter Lockdown auf falschen Daten?
Der grundsätzliche Umgang der Regierung mit der Pandemie untersucht derzeit eine unabhängige Kommission, die Zugang zu allen relevanten E-Mails und WhatsApp-Nachrichten hat. Offenbar will der „Daily Telegraph“ mit der Veröffentlichung der „Lockdown Files“ auch dafür sorgen, dass bei der Aufarbeitung nicht nur die Unterlassungen, sondern auch die behördlichen Überreaktionen ausreichend Beachtung finden.
Die Daten, die zum zweiten Lockdown führten, basierten wahrscheinlich auf falschen Daten. Wie die „Welt“ auf ihrer Internetseite schreibt, geht aus den Chats hervor, dass Johnson Bedenken an den Modellrechnungen äußerte. Die gingen von 4.000 Toten täglich aus und widersprachen damit einer Studie der Universität Cambridge, die von maximal 1.000 Opfern ausging. Premier Johnson teilte diese Studie mit seinen Kollegen.
Doch diese überzeugten ihn, den rigiden Kurs beizubehalten. Carl Heneghan, Epidemiologe der Universität Oxford, sagte dem „Telegraph“, es habe Daten gegeben, die den Lockdown unterstützten. Wenn sie falsch waren, habe das aber keine Rolle gespielt.
Corona-Tests zurückgehalten
Aus einem Austausch mit der Staatsministerin für Sozialfürsorge, Helen Whately, und dem damaligen Sonderberater des Gesundheitsministeriums, Allan Nixon, geht hervor, dass Hancock trotz anderslautender Ratschläge nur Pflegebedürftige, die aus Kliniken in ein Pflegeheim kamen, testen lassen wollte. Es würde „das Wasser trüben“, würde man auch die testen, die von zu Hause kamen.
Der ehemalige Gesundheitsminister erklärte, dass mehr Testungen in Heimen die verfügbare Testkapazität für die gesamte Bevölkerung nicht beeinträchtigen dürfe. Auf diese Weise wollte er offenbar einen Glaubwürdigkeitsverlust verhindern. Schon im Mai 2021 hatte Dominic Cummings, ehemaliger Top-Berater von Boris Johnson, vor einem parlamentarischen Ausschuss ausgesagt, dass Hancock Beamte angewiesen habe, Corona-Tests zurückzuhalten.
Mittlerweile ist bekannt, dass das Vorgehen des ehemaligen Ministers großen Schaden verursacht hat. Die Testquote von 100.000 wurde nie erreicht. Doch gleichzeitig hatte Großbritannien eine der höchsten Sterblichkeitsraten in Pflegeeinrichtungen in ganz Europa.
Kinder litten besonders unter Schulschließungen
Deutlich wird aus den „Lockdown-Files“ auch, dass Experten und Bildungsminister Gavin Williamson den Gesundheitsminister immer aufforderten, die Schulen wieder zu öffnen. „Wenn ich jetzt zurückblicke, frage ich mich, ob ich zu diesem Zeitpunkt hätte zurücktreten sollen“, zitiert der „Telegraph“ Williamson. Vor allem Kinder und Jugendliche aus sozial geschwächten Milieus hätten unter den Auswirkungen des Lockdowns gelitten. Viele waren häuslicher Gewalt ausgesetzt.
Die Regierung hatte zunächst beschlossen, den Schulbetrieb Anfang 2021 wieder aufzunehmen. Hancock versuchte, diesen Beschluss mit allen Mitteln rückgängig zu machen. Und das gelang ihm schließlich auch, wie die Leaks verdeutlichen. Am dritten Januar 2021 öffneten die Schulen zunächst, am Tag darauf nahm Johnson die Entscheidung zurück. Es dauerte bis Anfang März, bis ein geregelter Schulbetrieb wieder aufgenommen wurde.
Zahlreiche Kinderschutzorganisationen kritisierten seinerzeit die Lockdown-Politik für Bildungseinrichtungen. Sie bemängelten, dass Kinder in der gesamten Pandemie meistens an letzter Stelle gekommen seien. Neben gesundheitlichen und psychischen Folgen wie Übergewicht und Depression hätten viele Jungen und Mädchen auch unter den Folgen des Unterrichtsausfalls gelitten.
Chaotische Entscheidungsprozesse der Regierung
Die Aufarbeitung der Fehler der britischen Regierung stehen zwar erst am Anfang. Doch bereits die ersten Enthüllungen geben einen Einblick in die chaotischen Entscheidungsprozesse. Zudem zeigen sie, wie emotional es hinter den Kulissen zuging.
So gerieten Hancock und der damalige Schatzkanzler George Osborne aneinander. Letzterer machte Hancocks Teststrategie für den zweiten Lockdown verantwortlich, doch beharrte der Gesundheitsminister auf der Wirksamkeit seines Handelns. Auch die Gesprächskultur ließ sehr zu wünschen übrig. Abfällige Bemerkungen und heftige Beleidigungen waren an der Tagesordnung.
Ex-Minister spricht von „Anti-Lockdown-Agenda“
Hancock reagierte bereits kurz nach der Veröffentlichung der „Lockdown Files“. Nach Angaben der Journalistin Isabel Oakeshott drohte ihr der ehemalige Minister in einer Nachricht. Zum Inhalt machte sie allerdings keine Angaben. Hancock ließ in einer offiziellen Stellungnahme zudem verlauten, dass die Leaks „manipuliert“ seien. Die Berichterstattung darüber im „Telegraph“ bezeichnete er als „Anti-Lockdown-Agenda“.
Oakeshott hatte als Co-Autorin von Hancocks Buch „Pandemie Diaries: The Inside Story of Britain‘s Battle Against Covid“ mitgewirkt. Dafür hatte sie Zugriff auf die interne Kommunikation des damaligen Ministers. Ihre Kenntnisse nutzte sie nun für die Berichterstattung im „Telegraph“.
Sie betonte: „Es geht nicht darum, einzelne Politiker in Verlegenheit zu bringen, sondern dafür zu sorgen, dass sich diese Katastrophe nicht wiederholt.“ Es sei daher klar, dass „kein Journalist, der etwas auf sich hält, sich in so einer wichtigen und historischen Angelegenheit Informationen zurückhalten würde“.
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