Linksbündnis überholt RN – kein Lager in Mehrheitsnähe: Frankreich droht Unregierbarkeit
Am Sonntag, 7. Juli, hat Frankreich in Stichwahlen in 500 Wahlkreisen seine Abgeordneten für die Große Nationalversammlung gewählt. In 77 Wahlkreisen konnten Kandidaten bereits im ersten Wahlgang eine ausreichende Mehrheit erzielen. Mit mehr als 33 Prozent hatten der rechte Rassemblement National (RN) und seine Verbündeten die meisten Stimmen geholt. In etwa 220 Stimmkreisen kam es zu Absprachen zwischen dem Linksbündnis und dem Lager von Präsident Emmanuel Macron, um RN-Erfolge zu verhindern.
Le Pen und der RN in Frankreich weiterhin nicht mehrheitsfähig
Was das Letztgenannte anbelangt, hat der „republikanische Reflex“, wie dieses Vorgehen in Frankreich benannt wird, sein Ziel erreicht. Zwar gelang es dem RN, sei Ergebnis von 2022 von 89 Sitzen deutlich auszubauen und auf 126 Sitze zu kommen. Verbündete kommen dazu auf 17 Mandate, was in Summe 143 Sitze für das Le-Pen-Lager bedeutet.
Von Ergebnissen bis zu 270 Sitzen oder gar der absoluten Mehrheit, wie einige Umfrageinstitute dies für möglich gehalten hatten, konnte jedoch keine Rede sein. Die Absprachen sorgten sogar dafür, dass das im ersten Durchgang auf den dritten Platz zurückgefallene Macron-Lager mit 158 gewählten Parlamentariern an den Rechten vorbeiziehen kann. Die Republikaner und nahestehende Mitte-Rechts-Parteien kommen auf 67 Sitze.
In der Tendenz können der RN und seine Verbündeten wie Ex-Republikaner-Chef Éric Ciotti aus Nizza seine Hochburgen im Süden und im Nordosten des Landes halten. Hingegen blieben die Ergebnisse in Paris zum Teil deutlich unter 20 Prozent. Dort hatte die Linke ihre stärksten Bastionen.
Kräfteverhältnisse innerhalb des siegreichen linken Lagers verschoben
Diese ist der klare Gewinner des zweiten Wahlgangs. Das Linksbündnis Neue Volksfront wird auf 180 Sitze in der Großen Nationalversammlung kommen. Der Führer der linken La France insoumise, Jean-Luc Mélenchon, hat Präsident Macron bereits dazu aufgefordert, der Linken den Auftrag zur Regierungsbildung zu erteilen.
Ein Problem, das in diesem Kontext entstehen könnte, ist, dass das Linksbündnis im Vorfeld der Wahlen kurzfristig zusammengezimmert wurde. Darüber hinaus gibt es zwischen seinen Hauptprotagonisten – Insoumise, den Sozialisten, den Grünen und den Kommunisten – deutliche inhaltliche Differenzen. Im Fall einer Regierungsbildung würden diese voraussichtlich schnell zum Tragen kommen. Dies gilt umso mehr, als die Kräfteverhältnisse zwischen den führenden Protagonisten der Linken komplexer geworden sind.
Nach dem ersten Wahlgang war Insoumise die eindeutig dominierende Kraft. Mittlerweile haben die Sozialisten aufgeholt. Insoumise wird mit 71 Mandatsträger weiterhin die relative Mehrheit der linken Abgeordneten stellen. Mit 64 Sitzen haben die Sozialisten jedoch aufschließen können. Zusätzliches Selbstvertrauen gibt ihnen, dass ein alter Bekannter aus der französischen Politik am Sonntag sein Comeback gegeben hat. Auf Kandidaten der Grünen entfallen 33 Sitze, was den Einfluss von Insoumise im Bündnis weiter verringert. Neun Sitze gehen an die Kommunisten, drei an sonstige Linke innerhalb der Neuen Volksfront.
In den Reihen der Sozialisten hofft man auf ein Comeback von François Hollande
Mit etwas mehr als 43 Prozent ist es dem früheren Staatspräsidenten François Hollande gelungen, seinen alten Wahlkreis in Corrèze erobern – gegen die Kandidaten des RN und der Republikaner. In Teilen der Linken gilt er jetzt schon wieder als möglicher Hoffnungsträger. Da er lediglich eine Periode im höchsten Amt des Staates gedient hatte, wäre es Hollande möglich, 2027 noch einmal für die Präsidentschaft zu kandidieren.
Dass er 2017 nicht mehr angetreten war, weil Umfrageergebnisse ihn als den mit Abstand unbeliebtesten Präsidenten der Fünften Republik auswiesen, ist mittlerweile weitgehend vergessen. Mit seiner Teilnahme am „Marsch gegen Antisemitismus“ in Paris im November 2023 hatte Hollande sich ins politische Leben zurückgemeldet.
Ostentativ nicht an diesem beteiligt hatte sich Insoumise. Aus ihren Reihen hatte es geheißen, dass sich dort Verteidiger des „Völkermordes in Gaza“ einfänden. Insoumise hatte bereits vor dem Massaker der terroristischen Hamas in israelischen Grenzorten am 7. Oktober 2023 im Nahostkonflikt einseitig zugunsten der Palästinenser Partei ergriffen.
Linksbündnis in Frankreich heterogen und in vielen Fragen uneins
Israel ist nicht das einzige Thema, das Konfliktpotenzial innerhalb der Linken schafft. Man ist sich zwar in für die Linke zentralen innenpolitischen Fragen wie Mindestlohn, einer Abschaffung von Macrons Rentenreform oder einem Ausbau der sozialen Fürsorge einig. Auch bei höheren Steuern für „Superreiche“ und auf „Supergewinne“ und dem Erhalt des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist man sich einig. Parlamentarische Mehrheiten dafür zeichnen sich nicht ab.
Darüber hinaus trennen Insoumise und Sozialisten beziehungsweise Grüne jedoch teils Welten. Mélenchon hält beispielsweise die NATO für nicht mehr zeitgemäß. Zudem ist er ein vehementer Gegner einer weiteren Unterstützung der Ukraine. Der Insoumise-Führer hatte erklärt, als Sozialist zwar in Russland die Linksopposition zu Präsident Putin zu unterstützen, allerdings bezeichnete er den Machtwechsel 2014 in der Ukraine als „Putsch“ und kritisierte den Einfluss neonationalsozialistischer Elemente innerhalb der politischen Elite des Landes.
Mélenchon gilt zudem als Gegner des „deutschen Modells“ in der Politik. Im Jahr 2014 riet er der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel, als diese die wirtschaftliche Reformpolitik in Frankreich als „unzureichend“ bezeichnet hatte, diese möge „das Maul halten“. Frankreich sei „ein freies Land“.
Im Endeffekt weist die Politik von Insoumise und Jean-Luc Mélenchon einige Ähnlichkeiten mit jener von Sahra Wagenknechts BSW in Deutschland auf. Ein wesentlicher Unterschied ist jedoch, dass Mélenchon eine ökosozialistische Politik befürwortet. Zudem ist er ein entschiedener Befürworter linksidentitärer Positionen und des Konzepts der multikulturellen Gesellschaft. Eine Assimilationspolitik von Einwanderern unter dem Banner „republikanischer“ Werte lehnt er ab. Im BSW ist dies umstritten.
Macron auf schwieriger Suche nach Ad-hoc-Mehrheiten
Infolge des Wahlergebnisses hat der amtierende Premierminister Gabriel Attal seinen Rücktritt angeboten. Ob Präsident Macron ihn annehmen wird, ist noch offen. Sollte Attal im Amt bleiben, wäre es absehbar, dass dieser mit wechselnden Mehrheiten regieren müsste. Es ist davon auszugehen, dass es solche für zentrale Vorhaben der Politik von Präsident Macron nicht geben wird.
Es wird auch schon über ein mögliches Expertenkabinett spekuliert, das Macron bis zur Präsidentenwahl 2027 im Amt lassen könnte. Dieses würde jedoch vor einem ähnlichen Problem stehen. Theoretisch wäre es auch möglich, dass der Präsident versucht, eine „Koalition der Willigen“ für eine Reihe politischer Anliegen zu finden. Gewänne er dafür die Republikaner, würde das für eine Mehrheit nicht ausreichen. Ein Arbeitsübereinkommen mit der Linken würde diese jedoch vor eine Zerreißprobe stellen.
Würde Macron die Linke mit einer Regierungsbildung beauftragen und diese an der Aufgabe scheitern, wäre diese potenziell geschwächt. Dies könnte wiederum jedoch dem RN nutzen.
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