Libanon: Pager waren mit Sprengstoff bestückt – militärisches Hisbollah-Kommandosystem betroffen
Die zeitgleich und zu Hunderten im Libanon explodierten Funkempfänger sind Medienberichten zufolge vermutlich von israelischen Agenten vorher mit Sprengstoff präpariert worden. Die Verletzten gehören zur Hisbollah – kein anderer hatte derartige Funkgeräte. Darunter sind auch Mitglieder der Elitetruppe Radwan.
Die Explosionen trafen am Dienstagnachmittag mehrere Hochburgen der Hisbollah im Libanon. Es habe „gleichzeitige“ Detonationen in den Bastionen der Miliz im Süden der Hauptstadt Beirut, im Südlibanon und der östlichen Bekaa-Ebene gegeben, gab eine Quelle der Miliz an. Mehr als 200 Verletzte schwebten laut Angaben des libanesischen Gesundheitsminister Firass Abiad in Lebensgefahr.
Dem iranischen Staatsfernsehen zufolge wurde auch der iranische Botschafter in Beirut, Modschtaba Amani, bei den Pager-Explosionen verletzt. Die Verletzungen des 61-Jährigen seien aber nur „oberflächlich“, hieß es.
Gezielter Schlag gegen die Hisbollah
Die libanesische Miliz habe die Pager in Taiwan bestellt, berichtete die „New York Times“ unter Berufung auf mehrere US-Vertreter und Informanten aus anderen Ländern. Dem israelischen Geheimdienst sei es gelungen, die Lieferung abzufangen und in den Pagern Sprengstoff zu platzieren.
Laut dem Bericht der „New York Times“ habe die Hisbollah etwa 3.000 Pager des Herstellers Gold Apollo bestellt. Das Unternehmen wies die Angaben jedoch zurück und erklärte, bei den explodierten Pagern handele es sich „nicht um unsere Produkte“. Israel hat sich bislang nicht zu den Explosionen geäußert.
Sprengstofftypische Wirkung
Israelische Agenten hätten die in Taiwan hergestellten Geräte vor der Ankunft im Libanon abgefangen und mit jeweils etwa 25 bis 50 Gramm Sprengstoff bestückt, berichtete die „New York Times“ unter Berufung auf amerikanische und andere Behördenvertreter, die über die Operation informiert worden seien.
Höchstwahrscheinlich sei an der Batterie eine kleine Menge Plastiksprengstoff eingebaut worden, das durch einen Telefonanruf oder ein Funksignal zur Explosion gebracht werden konnte, sagt auch Charles Lister von der US-Denkfabrik Middle East Institute. Der israelische Geheimdienst habe offenbar die Lieferkette „infiltriert“.
Es sei zwar möglich, dass Hacker die Batterien in den Pagern mit Schadsoftware durch Erhitzen zum Explodieren brachten, zitierte das „Wall Street Journal“ den Geschäftsführer einer US-Firma für Cybersicherheit. Aber das wäre sehr schwierig. Die Hacker müssten nicht nur die Marke und das Modell genau kennen, auch wäre der Effekt nicht so heftig gewesen, wie es Videos der Explosionen vermuten lassen.
Wahrscheinlicher sei auch seiner Einschätzung nach, dass eine Lieferung der Pager auf dem Weg vom Hersteller zum Bestimmungsort abgefangen und mit Sprengstoff samt einem Code versehen wurde.
Hisbollah-Kommando- und Kontrollsystem teilweise lahmgelegt
Bei den gleichzeitigen Explosionen wurden im Libanon nach Angaben des dortigen Gesundheitsministeriums rund 2.750 Mitglieder der Hisbollah verletzt und neun Menschen getötet. Arabische Tweets in den sozialen Medien sprechen von mehr Betroffenen.
Nach Informationen des US-Nachrichtenportals „Axios“ legten die Explosionen auch einen wesentlichen Teil des militärischen Kommando- und Kontrollsystems der Hisbollah lahm.
In den sozialen Medien wird darauf hingewiesen, dass die Hisbollah seit Monaten täglich Israel angreift, unter anderem mit Drohnen und Raketen. Nun sei klar, wer zur Hisbollah gehört.
Hisbollah hat Israel den Krieg erklärt und will deren Auslöschung. Man kann kaum präziser gegen Terroristen vorgehen, die sich zwischen Zivilisten verstecken wie es Israel jetzt tat. Ich unterstelle: egal wie Israel sich verteidigt, es passt Ihnen nicht.
— roaring Ehrenbürg (@usuallynerdy) September 18, 2024
Der von Israel ausgeführte Angriff habe darauf abgezielt, die Hisbollah zu verunsichern und in den Reihen der Miliz das Gefühl zu erwecken, dass sie vollständig von israelischen Geheimdiensten durchdrungen sei, zitierte „Axios“ eine nicht näher beschriebene Quelle.
Die Hisbollah hatte ihre Mitglieder nach Beginn des Gaza-Krieges angewiesen, Mobiltelefone zu meiden und stattdessen auf ihr eigenes Telekommunikationssystem zurückzugreifen, um israelische Übergriffe zu verhindern.
Pager ermöglichen den Empfang unter anderem von Nachrichten über ihre eigene Funkfrequenz und damit ohne die Nutzung von Mobilfunknetzen.
USA war nicht informiert
Die Hisbollah-Miliz wies Israel die Verantwortung für die „kriminelle Aggression“ im Libanon zu und kündigte an, ihren Kampf „zur Unterstützung von Gaza“ fortzusetzen. Zudem drohte sie, dass Israel für die Angriffe „sicherlich seine gerechte Strafe“ erhalten werde.
Das US-Außenamt bestritt, daran beteiligt gewesen oder im Vorfeld informiert worden zu sein.
Zugleich mahnte die US-Regierung den Iran, nichts zu tun, was die derzeit angespannte Lage verschärft. Teheran unterstützt die Hisbollah im Libanon, die nach dem Beginn des Gaza-Krieges ihre Angriffe auf Israel intensiviert hatte.
Die UN-Sonderkoordinatorin für den Libanon, Jeanine Hennis-Plasschaert, sprach von einer „äußerst beunruhigenden Eskalation“. Sie forderte „alle beteiligten Parteien auf, von weiteren Aktionen (…) abzusehen, die einen größeren Flächenbrand auslösen könnten“.
Lufthansa setzt Flüge aus
Die Lufthansa setzte wegen der Explosionen ihre Flüge nach Tel Aviv und in die iranische Hauptstadt Teheran aus. In beiden Fällen gelte dies zunächst bis einschließlich Donnerstag, teilte der Konzern mit. Air France kündigte an, im gleichen Zeitraum die Flüge nach Tel Aviv sowie in die libanesische Hauptstadt Beirut auszusetzen.
Die israelische Regierung hatte am Dienstag mitgeteilt, dass sie ihre Kriegsziele auf den Konflikt mit der Hisbollah im Libanon ausgeweitet habe. Seit dem Beginn des Krieges im Gazastreifen haben auch die Kämpfe zwischen der israelischen Armee und der mit der Hamas verbündeten Hisbollah im Libanon zugenommen.
Zehntausende Menschen auf beiden Seiten der Grenze mussten fliehen. Der israelische Verteidigungsminister Joav Gallant hatte am Montag erklärt, „militärisches Handeln“ sei „der einzige verbliebene Weg, die Rückkehr der nordisraelischen Gemeinden sicherzustellen“. (dpa/red)
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