Libanon-Deal: EU-Geld gegen Flüchtlingsstrom – ein Pakt mit Tücken

Die EU will dem Libanon eine Milliarde Euro zur Verfügung stellen, um Wirtschaft, Institutionen und reguläre Streitkräfte zu stärken. Im Gegenzug soll der Libanon die syrischen Flüchtlinge im Land an der Weiterreise nach Zypern hindern. Am Ende könnte die Hisbollah das letzte Wort haben.
In das Gebiet von Wadi Khaled an der libanesisch-syrischen Grenze im Nordlibanon flüchten täglich Hunderte Menschen.
In das Gebiet von Wadi Khaled an der libanesisch-syrischen Grenze im Nordlibanon flüchten täglich Hunderte Menschen.Foto: Marwan Naamani/dpa
Von 3. Mai 2024

Mit einem nicht risikoarmen Angebot sind EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Zyperns Präsident Nikos Christodoulidis am Donnerstag, 2.5., nach Beirut gereist. Wie Christodoulidis bereits vor wenigen Wochen angekündigt hatte, stand ein Treffen mit dem Ministerpräsidenten des Libanon, Nadschib Mikati, auf dem Programm. Dieser soll von der EU bis 2027 zusätzliche Finanzhilfen erhalten. Im Gegenzug soll der Libanon Flüchtlinge davon abhalten, über den Seeweg Zypern anzusteuern.

EU will Libanon zur Stärkung des Grenzschutzes motivieren

Zuletzt hatte die steigende Anzahl an Schutzsuchenden für Besorgnis auf Zypern gesorgt. Im vergangenen Jahr hatte die Anzahl der Asylsuchenden mit syrischem Pass im Süden der geteilten Insel von 4.088 auf 6.148 zugenommen. Im ersten Quartal 2024 hatte es ebenfalls ein Plus von etwa 1.000 Asylsuchenden gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres gegeben.

Angesichts des Umstandes, dass die Insel selbst nur 1,25 Millionen Einwohner hat und die Lager bereits überfüllt sind, befürchtet man auf Zypern eine Überforderung. Dies umso mehr, als das Potenzial für weitere Anlandungen erheblich ist. Offiziell befinden sich 1,5 Millionen Flüchtlinge aus Syrien im Libanon. Inoffiziell geht man von einer doppelt so hohen Anzahl aus.

Gemessen an der Gesamtbevölkerungszahl von fünf Millionen ist der Libanon weltweit das Land mit den prozentual gesehen meisten Schutzsuchenden aus dem seit 2011 tobenden Bürgerkrieg. Die prekäre Wirtschaftslage und die latente Kriegsgefahr zwischen Israel und der vom Iran gesteuerten Hisbollah im Süden des Landes erschwert die Lage zusätzlich.

Hisbollah und Korruption als Unsicherheitsfaktoren

Die Hisbollah bildet im Libanon längst einen Staat im Staate. Darüber hinaus sind die offiziellen Institutionen geschwächt. Nach Jahrzehnten des Bürgerkriegs im eigenen Land gibt es – ähnlich wie in Bosnien und Herzegowina – ein striktes Proporzsystem zwischen den Bevölkerungsgruppen. Dieses hat zur Folge, dass jedem ein Anteil an gut dotierten Posten zusteht. Weit verbreitete Korruption war die Konsequenz.

Nun soll das Land eine Milliarde Euro aus Brüssel erhalten. Damit soll Beirut die Möglichkeit bekommen, die eigene Wirtschaft zu stärken, die Institutionen zu stabilisieren und die Streitkräfte besser auszustatten. Dass diese weiter im Schatten der Hisbollah stehen werden, erscheint als absehbar.

Dennoch geht die EU davon aus, dass der Deal mit dem labilen Staat Bestand haben und Erfolge bewirken könnte. Vorbilder für die angestrebte Vereinbarung sind die bereits im Vorjahr geschlossenen Flüchtlingsdeals mit Tunesien und Ägypten. Selbst mit Libyen gibt es eine Vereinbarung zum Grenzschutz. Diese wird trotz – oder möglicherweise gar aufgrund – der faktischen Aufteilung des Landes zwischen rivalisierenden Akteuren eingehalten. Dass Fluchtversuche dabei notfalls auch mit brachialen Methoden unterbunden werden, klammert man in Brüssel nur allzu gerne aus.

Libanon wird sich um Einhaltung des Deals bemühen

Bereits seit Beginn des syrischen Bürgerkriegs im Jahr 2011 hatte sich auch die EU an der internationalen Unterstützung für den Libanon beteiligt. Für die Versorgung syrischer Schutzsuchender bezahlte man jährlich 1,6 Milliarden Euro, dazu kamen 860 Millionen Euro für humanitäre Zwecke.

Deutschland bezahlte aufgrund eines bilateralen Abkommens seit 2012 zusätzlich 1,7 Milliarden Euro für die genannten Zwecke. Wie die „Welt“ berichtete, hatte Brüssel seine Mittel für Humanitäres im Vorjahr auf 67 Millionen Euro gekürzt. Dass in weiterer Folge die Anzahl der auf Zypern eingetroffenen Flüchtlinge deutlich angestiegen war, wurde als Wink mit dem Zaunpfahl wahrgenommen.

Wahrscheinlich wird der Libanon sich bemühen, den Deal zumindest hinsichtlich der Zurückhaltung der Flüchtlinge einzuhalten, doch die Vorgehensweise wird dabei kaum rechtsstaatlicher sein als in Libyen. Das aus Brüssel fließende Geld kann das Land gut gebrauchen. Experten bezeichnen den Libanon mittlerweile als „Entwicklungsland auf niedrigster Stufe“, heißt es in einem ARTE-Beitrag.

Möglicher Krieg zwischen Israel und Hisbollah schafft Restrisiko für EU

Die Regierung in Libyen wird auch Programme auflegen, um die syrischen Flüchtlinge zur Rückkehr zu bewegen. Allerdings besteht vonseiten des Regimes von Baschar al-Assad kaum eine Motivation, sie zurückzunehmen. Unter den Geflüchteten befinden sich zahlreiche frühere Rebellen sowie einige Deserteure.

Für sie wäre eine Rückkehr mit einem hohen Risiko verbunden. Eine Rückkehr ins syrische Idlib – dem letzten größeren Rückzugsort der oppositionellen Kräfte – besteht für Betroffene ebenfalls nicht: Alle syrischen Gebiete jenseits der gemeinsamen Grenze werden von Assad kontrolliert.

Ein Restrisiko besteht auch für die EU. Sollte ein Krieg zwischen der Hisbollah und Israel ausbrechen, könnte der Libanon zusammenbrechen – und die iranisch gesteuerte Miliz könnte für eine Öffnung der Grenzen sorgen. Derzeit bleibt es jedoch noch bei einigen niedrigschwelligen Gefechten.



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