Länderanalyse: Wo rechtsnationale Parteien wirklich zulegen konnten

Nach der Europawahl machen Schlagzeilen über einen vermeintlichen „Rechtsruck“ die Runde und malen ein düsteres Bild für die Zukunft der EU. Doch eine genaue Betrachtung der Zahlen und Trends aus verschiedenen Ländern relativiert diese Aussage und offenbart eine komplexere politische Landschaft, als es einfache Pauschalisierungen suggerieren.
Titelbild
Marine Le Pen und der „Rassemblement National“ waren am letzten Sonntag die Wahlgewinner in Frankreich. Europaweit kann von einem „Rechtsruck“ aber nicht die Rede sein.Foto: JULIEN DE ROSA/AFP via Getty Images
Von 11. Juni 2024

Nach der Europawahl wird nun immer wieder in verschiedenen Medien von einem „Rechtsruck“ geschrieben. Das ist eine Pauschalisierung des Wahlergebnisses. Um das Phänomen vom Sonntag einzuordnen, muss man etwas genauer auf die Ergebnisse und die einzelnen Parteien schauen.

Die Parteien, die zum rechten Rand gezählt werden, waren bei der Wahl am Sonntag unterschiedlich erfolgreich und lassen sich nicht so einfach über einen Kamm scheren. Von einer gemeinsamen Strategie waren die Parteien, die teilweise sogar eine gegenseitige Abneigung zueinander pflegen, schon im letzten Parlament weit entfernt. Dafür, dass dies in der neuen Legislatur anders sein könnte, gibt es im Moment keine Anzeichen.

Von einer Mehrheit weit entfernt

Auch wenn sich im neuen Europaparlament alle rechten Parteien zusammenschließen, kämen sie vermutlich auf weniger als 200 Sitze. Die Mehrheit im Parlament liegt aber bei 361 Sitzen. Davon wären die Rechtsparteien weit entfernt. 

Nach dem vorläufigen Endergebnis käme die Fraktion „Europäische Konservative und Reformer“ (EKR) auf 73 Sitze. Das wären vier Sitze mehr. Die zweite Rechtsfraktion „Identität und Demokratie“ (ID) käme auf 58 Sitze, was neun Sitze mehr wären als im bisherigen Parlament. Hinzugerechnet werden müssten dann noch die 15 Sitze der AfD, die in dieser Rechnung nicht berücksichtigt sind, da kurz vor der Wahl die AfD-Delegation aus der ID-Fraktion ausgeschlossen wurde.

Insgesamt würden die rechten Parteien also 146 von 720 Abgeordneten im Europaparlament stellen. Diese Zahlenarithmetik bestätigt die verbreitete Annahme eines „Rechtsrucks in Europa“ nicht. Dominierende Kraft wird in den kommenden fünf Jahren weiterhin die Fraktion „Europäische Volkspartei“ (EVP) sein, zu der auch die CDU und CSU aus Deutschland gehören, die voraussichtlich 186 Abgeordnete im Parlament stellen wird. 

Vier Länder mit erheblichen Zuwächsen

Wegreden lässt sich nicht, dass es in einigen Ländern, allen voran die beiden größten EU-Länder Frankreich und Deutschland, teilweise erhebliche Zuwächse für rechtsnationale Parteien gegeben hat. Laut dem vorläufigen Ergebnis konnte die AfD ihre Sitze um fast ein Drittel von elf auf 15 erhöhen. In Frankreich verzeichneten die rechtsnationalen Parteien „Rassemblement National“ (RN) und „Reconquête“ (REC) einen ähnlichen Zuwachs, wobei sie zusammen von 21 Sitzen im Jahr 2019 auf 35 Sitze anstiegen. 

„Reconquête“ ist eine vom damaligen Präsidentschaftskandidat Éric Zemmours 2021 gegründete Partei. Der Parteiname ist die französische Übersetzung für „Reconquista“, wörtlich übersetzt Rückeroberung. Sie erhielt vor allem aus dem „Rassemblement National“, Anhängern der sogenannten „Identitären“ und rechtsgerichteten Mitgliedern von „Les Républicains“, Frankreichs größter Partei, die sich 2002 aus verschiedenen Parteien des mitte-rechts-Spektrums zusammengeschlossen hat, Zulauf. 

Während der „Rassemblement National“ im neuen EU-Parlament 30 Abgeordnete stellen wird, wird die „Reconquête“ zukünftig mit fünf Abgeordneten vertreten sein. 

In Österreich ist die „Freiheitliche Partei Österreichs“ (FPÖ) stärkste Kraft geworden. Mit vorläufig 25,7 Prozent zog sie an der „Österreichischen Volkspartei“ (ÖVP) vorbei, die 24,7 Prozent der abgegebenen Stimmen auf sich vereinigen kann. Zukünftig wird die FPÖ sechs Abgeordnete statt bisher drei ins Europaparlament senden können. 

Die VOX in Spanien konnte mit 9,62 Prozent der Stimmen ebenfalls ihr Ergebnis von 2019 (6,2 Prozent) leicht verbessern. Statt bisher vier Abgeordnete wird die VOX nun voraussichtlich sechs Abgeordnete nach Brüssel schicken können. 

Betrachtet man das Wahlergebnis gesamteuropäisch, dann sind es tatsächlich mit Deutschland, Frankreich, Spanien und Österreich nur diese vier Länder, die Zugewinne für rechtsnationale Parteien verzeichnen können. 

Erwähnenswert wäre in diesem Zusammenhang noch Portugal. Hier trat die Partei „Chega“ erstmalig zur Europawahl an und erreichte 9,79 Prozent der Stimmen. Zukünftig dürfen die portugiesischen Rechten nun zwei Abgeordnete nach Brüssel schicken. Schaut man allerdings auf das Gesamtergebnis in Portugal, dann lagen die Rechten dort weit hinter den Sozialisten von der „Partido Socialista“ (PS), die mit 32,10 Prozent stärkste Kraft wurden, und den Konservativen von der „Aliança Democrática“, die auf 31,12 Prozent der Stimmen erhielten, zurück. 

Scheinsiege in den Niederlanden und Italien

In Schweden zeigt sich Stagnation statt eines „Rechtsrucks“: Die „Schwedendemokraten“ (SD) konnten ihr Ergebnis kaum steigern und bleiben bei drei Abgeordneten. Konnte die Partei noch bei der letzten Europawahl 15,4 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen, waren es am vergangenen Sonntag nur 13,2 Prozent. 

In den Niederlanden entpuppt sich der Stimmenzuwachs einer rechten Partei bei genauer Draufsicht nur als Scheinsieg. Geert Wilders „Partij voor de Vrijheid“ (PVV) erreichte am letzten Sonntag 17,7 Prozent der Stimmen. Stärker als Wilders Partei konnten allerdings die niederländischen Sozialdemokraten der „Partij van de Arbeid“ (PvdA) bei den Wählern punkten und erreichten 21,6 Prozent.

Wilders PVV kann nun statt bisher einen Abgeordneten fünf nach Europa entsenden. Das ist aber für rechte Parteien am Ende ein Nullsummenspiel, da die rechtsnationale „Forum voor Democratie“ (FvD) des Wilders-Rivalen Thierry Baudet inzwischen bedeutungslos geworden ist. Konnte die Partei in der noch laufenden Legislaturperiode vier Abgeordnete stellen, wird sie im kommenden Europaparlament nicht mehr vertreten sein. Nur 2,5 Prozent der Wähler entschieden sich am Sonntag für Baudets Partei. 

Ähnlich ist die Situation auch in Italien. Die „Fratelli d’Italia“ von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni wurde mit 28,77 Prozent die stärkste Kraft im Land und stellt zukünftig 24 Abgeordnete. Bisher waren es nur sechs Abgeordnete. Die rechte „Lega Salvini Premier“ (Lega) um den ehemaligen italienischen Innenminister Matteo Salvini verzeichnete allerdings einen katastrophalen Stimmeneinbruch.

Konnte die Partei 2019 noch stärkste Kraft mit 34,33 Prozent der Stimmen werden, erreichte sie dieses Mal nur 8,98 Prozent. Statt wie bisher 29 Europaabgeordnete werden im neuen Parlament nur noch acht Abgeordnete der Salvini-Partei vertreten sein. Rechnet man die Abgeordneten beider Parteien zusammen, so sitzen zukünftig 32 rechte Abgeordnete aus Italien im Parlament. Bisher sind es 35 – Italien verzeichnet also ein Minus von drei Abgeordneten. 

Verluste in Polen und Finnland

Nicht nur die italienischen Rechtsnationalen verbuchen Verluste. Auch in Finnland erleidet die Partei „Perussuomalaiset“ (zu Deutsch: Wahre Finnen), die Teil der aktuellen Regierung ist, Einbußen und stellt nun nur noch einen statt bisher zwei Abgeordneten im EU-Parlament. Erreichte die Partei 2019 noch 13,8 Prozent, waren es dieses Mal nur noch 7,6 Prozent. 

Auch die polnische „Prawo i Sprawiedliwość“ (PiS) musste dieses Mal Verluste hinnehmen. Stimmten 2019 noch 45,4 Prozent der Polen für die damalige Regierungspartei, waren es dieses Mal nur 36,16 Prozent, die der inzwischen in die Opposition geschickten PiS ihre Stimme gaben. Die Partei büßt sechs Sitze ein und sitzt künftig nur noch mit 20 Abgeordneten im EU-Parlament.

Die These von „Rechtsruck durch Europa“ lässt sich angesichts der Zahlen nicht aufrechterhalten. Rechte Parteien sind Teil der Realität im europäischen Parteiengefüge. Sie treten in Regierungen ein und erleiden aber, genau wie andere Parteien, auch Niederlagen. Das kann bis hin in die Bedeutungslosigkeit führen. Ein Beispiel dafür ist Dänemark und die „Dänische Volkspartei“ (DP). 

Nach Höhenflug schnell abgestürzt

Zur Europawahl 2014 wurde die Partei mit 26,6 Prozent die stärkste Kraft im Land. Vier Abgeordnete schickte sie damals nach Brüssel. Fünf Jahre später verlor die Partei fast 16 Prozent ihrer Wähler und erreichte nur noch 10,8 Prozent. Am letzten Sonntag ging es für die DP mit nur noch 6,4 Prozent weiter abwärts. In der letzten Legislatur war sie mit einem Abgeordneten im EU-Parlament vertreten. 

Ein wesentlicher Faktor für den Niedergang der DP auf dem Zenit ihres Erfolgs lag in der Fähigkeit der dänischen Sozialdemokratie, Wähler von der rechten Seite, insbesondere von der DP selbst, anzuziehen. Obwohl der Stimmenanteil der Sozialdemokraten bei der Parlamentswahl 2019 leicht sank, gelang es der Partei dennoch, genügend Stimmen von rechts zu gewinnen, um eine Regierung zu bilden, die von zwei linken Parteien und einer liberalen Zentrumspartei parlamentarisch unterstützt wurde.

Unter der Führung von Mette Frederiksens hatten die Sozialdemokraten, die in früheren Jahren für ein offenes und multikulturelles Dänemark einstanden, damals Positionen übernommen, die früher von den politischen Rechten wie eben der DP vertreten wurden. So sprachen sich die Sozialdemokraten beispielsweise für eine restriktive Asylpolitik aus und forderten, dass Einwanderer sich an die dänische Kultur assimilieren sollten.



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