Labour mit Erdrutschsieg, doch politische Kehrtwende nicht in Sicht

Bei den Wahlen in Großbritannien erzielte Labour zwar einen Erdrutschsieg, allerdings hatte die Partei vor allem von der Schwäche der Konservativen und der schottischen SNP profitiert. Massive politische Kehrtwenden hatte Parteichef Starmer ausgeschlossen – insbesondere in Bereichen wie EU und Migration.
Titelbild
Die Labour-Partei von Keir Starmer hat die britische Parlamentswahl gewonnen.Foto: Stefan Rousseau - WPA Pool/Getty Images
Von 5. Juli 2024

Die vorgezogenen Wahlen zum Unterhaus in Großbritannien am Donnerstag, 4. Juli, haben mit einem Erdrutschsieg der sozialdemokratischen Labour Party geendet. Es wird damit gerechnet, dass ihr Spitzenkandidat Keir Starmer bereits Mitte Juli sein Amt als neuer britischer Premierminister antreten wird. Bereits in fünf Tagen wird er am jährlichen NATO-Gipfel in Washington, D.C., teilnehmen. Bei dieser Gelegenheit wird er erstmals auch bilaterale Gespräche mit US-Präsident Joe Biden und dem türkischen Staatsoberhaupt Recep Tayyip Erdoğan führen.

Labour will Ukraine-Politik in Großbritannien beibehalten

In der Ukraine bereitet der Regierungswechsel in Großbritannien niemandem Kopfzerbrechen. Bereits im Vorfeld der Wahlen hatten Schattenaußenminister David Lammy und Schattenverteidigungsminister John Healey ihren Willen zur Unterstützung Kiews „mit eisener Faust“ deutlich gemacht. Außerdem wolle man der „russischen Aggression“ entgegentreten und „Putins Kriegsverbrechen“ ahnden.

Bereits jetzt erhofft man sich in Deutschland angesichts des Machtwechsels intensivere Beziehungen mit Großbritannien – was angesichts der ungleich schwierigeren Lage in Frankreich Erleichterung verspricht. Am Rande der Haushaltsberatungen am Freitag in Berlin hatte bereits Bundesarbeitsminister Hubertus Heil von einem „schönen Morgen“ gesprochen, an dem Keir Starmer als nächster britischer Premier feststehe.

Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat dem designierten neuen Premier schon gratuliert. Auf X hat sie ihrer Vorfreude auf eine „konstruktive Partnerschaft zur Bewältigung gemeinsamer Herausforderungen und zur Stärkung der europäischen Sicherheit“ Ausdruck gegeben.

Rückabwicklung des Brexits nicht zu erwarten

Die vereinzelt in dem sozialen Netzwerk von EU-Befürwortern bereits geäußerte Hoffnung, eine Labour-Regierung würde eine Rückkehr Großbritanniens in die Staatengemeinschaft vorbereiten, dürfte jedoch verfrüht sein. Führende Labour-Politiker hatten vor der Wahl deutlich gemacht, keine Kehrtwende in zentralen Fragen einzuleiten. Es bleibt jedoch offen, inwieweit die künftigen Beziehungen Westminsters zur EU von Kooperation mit Brüssel und von bilateralen Verträgen mit den Mitgliedstaaten geprägt sein werden.

Davon werden einige Weichenstellungen wie die Reisefreiheit britischer Staatsbürger zwischen 18 und 30 Jahren innerhalb der Staatengemeinschaft abhängen. Aus Sicht der EU-Kommission stellte die Bereitschaft, Großbritannien das zu ermöglichen, ein großes Entgegenkommen dar. Der scheidende Premier Rishi Sunak zeigte an der Frage jedoch nur geringes Interesse.

Ein Mandat für eine Umkehrung des Brexits ist aus dem Wahlergebnis ohnehin nicht herauszulesen. Labour hat zwar eine überwältigende Mehrheit von 64 Prozent der Sitze errungen, dabei aber weniger als 35 Prozent der Stimmen bei einer Wahlbeteiligung von 60 Prozent erzielt.

An den Rändern ausgefranst

Die Höhe des Sieges von Labour in Mandaten hatte mehrere Gründe, und nicht alle davon waren in einer Welle der Begeisterung über die Politik der Sozialdemokraten zu finden. In erster Linie wurden die Konservativen nach 14 Jahren an der Macht abgestraft. Ihre Niederlage fiel noch deutlicher aus, da sie mit der Reform Party auch einer Konkurrenz von rechts ausgesetzt waren. Diese errang nicht nur selbst sieben Sitze, sie konnte auch in vielen Stimmkreisen den zweiten Platz erobern.

Anders als unter der Führung Jeremy Corbyns konnte Labour nicht nur in den ohnehin sicheren Hochburgen zulegen, sondern dort punkten, wo die Stimmkreise umkämpft waren. Ein weiterer wesentlicher Faktor für den Erfolg der Sozialdemokraten war, dass die skandalgeschüttelten schottischen Nationalisten von der SNP einen beispiellosen Einbruch erlitten. Auch die Liberalen Demokraten konnten sich hauptsächlich in Stimmkreisen behaupten, die sie zuvor entweder selbst gehalten oder in denen sie nur knapp hinter den Konservativen gelandet waren.

An den Rändern geriet Labour unterdessen selbst unter Druck. In mehreren Stimmkreisen wie Dewsbury und Batley sowie in Blackburn, aber auch in Birmingham verloren die Parteikandidaten. Gewählt wurden stattdessen unabhängige, meist pro-palästinensische Kandidaten. In Islington North gewann der frühere Labour-Chef Jeremy Corbyn, der als unabhängiger Kandidat angetreten war. Auch die Grünen konnten die Zahl ihrer Sitze von einem auf vier ausbauen.

Labour will Oberflächenkorrekturen in der Migrationspolitik

Auf X weisen Nutzer darauf hin, dass Labour unter Starmer weniger abgegebene Stimmen auf sich vereinigen konnte als zuvor Corbyn. Allerdings hatte dieser auch in deutlich höherem Maße Gegner für die Konservativen mobilisiert.

Neben der Nahostpolitik wird zudem auch das Agieren Labours im Zusammenhang mit der Migration über die Langlebigkeit und Stabilität des neuen Kabinetts entscheiden. Hier hatte Schatteninnenministerin Yvette Cooper angekündigt, sie wolle die Ruanda-Politik der Tory-Regierung beenden. Allerdings kündigte sie auch an, sogenannte Rückführungspartnerschaften mit anderen Ländern anzustreben.

Umfragen zur Wahl ergaben, dass für 48 Prozent der befragten Wähler der Hauptgrund für die Wahl von Labour war, die Konservativen abzuwählen. 13 Prozent gaben an, einen Wechsel zu wollen. Nur fünf Prozent nannten die Zufriedenheit mit Labour als ihre Motivation. Von den Sachthemen wurde in erster Linie der Kampf gegen die Teuerung genannt.

 



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