Kritik an Ungarn wegen Notstandsgesetz – UPDATE: EU leitet Untersuchungen ein
UPDATE: EU-Kommission untersucht das Notstandsgesetz
Die EU-Kommission wird das Notstandsgesetz untersuchen, teilte Erik Mamer, Sprecher der Kommission bei einer Online-Pressekonferenz laut der ungarischen Nachrichtenagentur „MTI“ mit. Der Sprecher wies auf die Punkte im Gesetz hin, welche die Presse- und Meinungsfreiheit und die Bestrafung der Verbreitung sogenannter Desinformationen (Fake-News) betreffen.
Mamer gab bei der Pressekonferenz eine Erklärung der Präsidentin der EU-Kommission bekannt. Ursula von der Leyen betonte, dass die Länder schnelle und effektive Methoden zur Bekämpfung der Ausbreitung ergreifen sollten, andererseits sollte es weiterhin wichtig sein, dass diese Maßnahmen der festgelegten EU-Grundprinzipien und -werten entsprechen.
„Es ist wichtiger, denn je, dass die Journalisten ihre Arbeit frei und genau verrichten, um den Kampf gegen Desinformationen und den Informationsfluss zur Bevölkerung zu sichern“, stellte die Präsidentin in der Erklärung klar.
Zum Schluss der Pressekonferenz gab Mamer bekannt, dass die Kommissare heutigen Mittwoch (1.4.) die Maßnahmen gegen die Bekämpfung der Virusausbreitung aller Mitgliedsstaaten untersuchen werden.
David Sassoli, EU-Abgeordneter, gab am Dienstagabend ebenfalls eine Erklärung bekannt, in welcher er die Funktion der Parlamente und die Pressefreiheit betonte.
„Die Krise sollte man so bewältigen, dass die Demokratie heil bleibt“, stand in seiner Erklärung. Laut Sassoli hat das Europa Parlament „die Hüterin der Verträge der Union“, die EU-Kommission, darum gebeten den Gesetzentwurf aus Ungarn zu untersuchen, ob der Entwurf den Verträgen entspricht.
„Keiner darf die Pandemie für die Sabotage der demokratischen Freiheitsrechte ausnutzen“, betonte der Abgeordnete.
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Der internationale „liberale Mainstream hat Ungarn unter Beschuss“ genommen, sagte Ungarns Außenminister Péter Szijjártó am Dienstagmorgen (31.3.) in einem Facebook-Beitrag.
Kritisiert wird Ungarn wegen des Notstandsgesetzes, das gestern (30.3.) vom ungarischen Parlament verabschiedet wurde. Das Parlament in Budapest billigte mit deutlicher Mehrheit den Gesetzentwurf der Regierung. Der Entwurf ermöglicht es Orbán, im Rahmen eines Notstands von unbegrenzter Dauer per Dekret zu regieren. Kritiker in Ungarn und im Ausland werfen Orbán vor, die Corona-Pandemie als Vorwand zu nutzen, um die Machtstellung seiner nationalkonservativen Regierung noch weiter auszubauen.
Der „linksorientierte Mainstream“ greift Ungarn an
Ungarns Außenminister zählte die Kritiker des Gesetzes auf: „der ehemalige linke Ministerpräsident Italiens; der ewige kleine Bruder der Großen Koalition in Deutschland, die SPD; die österreichischen Grünen, welche nie die Wahlen gewonnen haben und die Kommunisten aus Luxemburg; sowie die extrem intoleranten Liberalen aus dem Norden“. Der Angriff von diesen Parteien sei keine Überraschung gewesen. Denn „jedes Mal, wenn wir die ungarischen Menschen von Unheil schützen wollen, werden wir von ihnen angegriffen“, schrieb Szijjártó auf Facebook.
„Wir wurden auch vor zehn Jahren angegriffen, als wir den IWF nach Hause geschickt haben, weil wir statt Einschränkungen Steuersenkung verhängt und statt Sozialhilfe Arbeit gegeben haben. So haben wir Ungarn vor dem finanziellen Ruin beschützt“, fuhr der ungarische Politiker fort.
Er beklagte die Kritik vom „liberalen Mainstream“ bezogen auf die Maßnahmen, die Ungarn im Kampf gegen die Ausbreitung des COVID-19 unternimmt. Diese „Parteien und Politiker sind frustriert und neidisch“. Sie seien „tief antidemokratisch, weil sie den Willen der Ungarn nicht beachten und infrage stellen“, so der Außenminister weiter.
EU-Abgeordnete verurteilen das Gesetz in Ungarn
„Die EU-Kommission bewertet die von den Mitgliedstaaten ergriffenen Notfallmaßnahmen im Hinblick auf die Grundrechte. Dies gilt insbesondere für das heute in Ungarn verabschiedete Gesetz über den Ausnahmezustand und neue strafrechtliche Sanktionen für die Verbreitung falscher Informationen“, schrieb Didier Reynders, belgischer Politiker und Kommissar für Justiz und Rechtsstaatlichkeit in einem Tweet.
Michael Roth (SPD), EU-Abgeordneter reagierte auf die neuesten Entwicklungen auf Twitter so: „Corona bekämpft man mit mehr Achtsamkeit, strenger Hygiene, einem guten Gesundheitswesen, aber nicht mit weniger Demokratie. Die EU darf keinen Zweifel daran lassen, dass sie auch in dieser Krise das bleibt, was sie immer war: eine Wertegemeinschaft!“
Katarina Barley (SPD) postete auf Twitter ein Foto mit der Aufschrift „#NoQuarantineForDemocracy“ mit folgender Botschaft dazu: „Heute setzt Orbán die Demokratie in Ungarn auf unbestimmte Zeit außer Kraft. Teilt #NoQuarantineForDemocracy für Solidarität mit der Ungarischen Bevölkerung. Gemeinsam können wir die EU-Kommission zum Handeln bewegen, um das ungarische Notstandsgesetz zu stoppen.“
Die S&D-Fraktion (Progressive Allianz der Sozialdemokraten) hat ebenfalls Orbáns Vorgehensweise in der Krise kritisiert. Die Fraktion sieht die Demokratie in Gefahr: „Mit COVID-19 als Tarnung demontiert Premierminister Orbán die Demokratie vor unseren Augen. Ist eine unbefristete Regelung per Dekret oder die Einschränkung der Medienfreiheit eine angemessene Reaktion? In unserem Haus nicht.“ Die Fraktion fordert die Kommission „als Hüterin der EU-Werte [dazu auf], auf die heutige Abstimmung im ungarischen Parlament zu reagieren“.
Auf Twitter hat die Fraktion zu dieser Stellungnahme auch ein Poster veröffentlicht mit der Botschaft: „Das ist nicht Orbáns Land.“
Romana Strugariu, EU-Abgeordnete von der Renew Europe Fraktion hat in ihrem Tweet ebenfalls auf die Maßnahmen Ungarns reagiert und auf eine Petition aufmerksam gemacht, welche zur „Verteidigung unserer Demokratie in der Corona-Krise“ aufruft.
Bernie Sanders, US-Senator verurteilte das Notstaatsgesetz auf Twitter: „Im Laufe der Geschichte haben autoritäre Führer Momente der Krise genutzt, um ungehindert die Macht zu ergreifen. Der ungarische Orbán ist das jüngste Beispiel. Jetzt müssen wir mehr denn je für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit einstehen.“
Zuspruch aus Italien: Salvini begrüßt den Gesetzentwurf
Aber es gibt nicht nur kritische Stimmen zum Gesetzentwurf des ungarischen Parlaments.
Matteo Salvini, ehemaliger Innenminister Italiens, begrüßt die Abstimmung des ungarischen Parlaments in der Corona-Krise. Auf Twitter hat der italienische Politiker seine Unterstützung kundgetan: „Sondervollmachten an Orbán zur Bekämpfung des Virus? Ich begrüße die freie Wahl des ungarischen Parlaments (137 Stimmen dafür und 53 dagegen), welches von den Bürgern demokratisch gewählt wurde. Ich wünsche meinem Freund Viktor Orbán gute Arbeit und allen Menschen in Ungarn viel Glück.“
Wie die regierungsnahe ungarische Zeitschrift „Magyar Nemzet“ berichtet, hat sich ein weiterer italienischer Politiker neutral zum Gesetzentwurf geäußert. Antonio Tajani, ehemaliger Präsident des Europäischen Parlamentes, „zeigte sich objektiv“ gegenüber dem Entwurf.
Nach Angaben des Blattes hat Tajani auf das Fehlen der einheitlichen europäischen Regelungen in der Krise hingewiesen. „Die nationalen Parlamente, wie auch das ungarische, sind souverän“, sagte Tajani. Damit ist für den italienischen Politiker die Diskussion um das Virus-Gesetz herum eine innenpolitische Angelegenheit.
Seiner Meinung nach braucht man Einheit und Proaktivität, um den Notstand zu lösen. Tajani übt an der EU Kritik, da es keine einheitliche Führung in der Krise gebe, weswegen die Verantwortung auf die Mitgliedsstaaten fällt.
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