Krisentreffen in Berlin: Außenminister der EU-Gründerstaaten versuchen Neuanfang
Die Ressortchefs der sechs „Gründerstaaten“ – Deutschland, Frankreich, Italien und die Benelux-Länder – berieten über die komplizierten Folgen des EU-Referendums in Großbritannien. Einen Anfang vom Ende der EU durch den Brexit sah EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker „mit Sicherheit nicht“, wie er der „Bild-Zeitung (Samstag) sagte.
Deutschland und Frankreich wollen gemeinsame Vorschläge zur Weiterentwicklung der EU vorlegen. Im Entwurf für eine gemeinsame Berliner Erklärung ist von einer „flexiblen Union“ die Rede, die Raum lassen soll für Partnerländer, die weitere Integrationsschritte noch nicht mitgehen können oder wollen. So soll eine Entwicklung wie in Großbritannien in anderen EU-Staaten verhindert werden. Die sechs Staaten hatten 1957 die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) gegründet, die Vorläuferorganisation der EU.
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker befürchtete unterdessen weitere Austritts-Referenden in anderen Ländern. Derartiges sei nicht auszuschließen, „da Populisten in der Regel keine Gelegenheit auslassen, um mit viel Lärm für ihre Anti-Europa-Politik zu werben“, sagte Juncker in einem Interview mit der „Bild“-Zeitung (Samstag). Allerdings könnten die Auswirkungen des britischen Referendums „solch plumper Hetze“ schnell ein Ende bereiten. „Es dürfte sich nämlich rasch zeigen, dass es Großbritannien in der EU besser ging – wirtschaftlich, sozial und außenpolitisch“, sagte Juncker.
Bundesjustizminister Heiko Maas schließt derweil für Deutschland eine Abstimmung wie in Großbritannien aus. „Das deutsche Grundgesetz sieht ein Referendum über die Mitgliedschaft in der EU nicht vor“, sagte der SPD-Politiker dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (Samstag). Allerdings müsse die Politik auch „keine Angst vor einer solchen Abstimmung in Deutschland zu haben“, denn die Haltung der Menschen sei hierzulande „zumindest momentan deutlich proeuropäischer“.
EU-Kommissar Günther Oettinger lehnt rasche Änderungen der EU-Verträge ab. „In den nächsten vier Jahren sehe ich keine Chance, das Primärrecht zu ändern“, sagte Oettinger der Deutschen Presse-Agentur. Mit Primärrecht sind die EU-Verträge gemeint. „Das wäre für Rechtspopulisten eine Steilvorlage, um das Projekt Europa zu demontieren“, argumentierte Oettinger.
Als Reaktion auf das britische Referendum wurden bereits Rufe nach einem neuen EU-Vertrag laut. So sprach sich Frankreichs konservativer Parteichef und Ex-Präsident Nicolas Sarkozy für eine weitreichende Neugründung der EU aus.
Mitten in der schwersten Krise der EU hatte die Mehrheit der Briten am Donnerstag für den Austritt gestimmt. Nach einem erbitterten Wahlkampf entschieden sich 51,9 Prozent für den Bruch mit Brüssel. Die Angst vor weiterer Zuwanderung und die Sorge um die nationale Souveränität hatten dem Brexit-Lager starken Zulauf beschert. Premierminister David Cameron, der für einen Verbleib geworben hatte, kündigte am Freitag seinen Rücktritt bis spätestens Oktober an. Er versicherte zugleich, dass Regierung und Parlament den Volkswillen respektieren und mit der EU den Austritt aushandeln werden.
Juncker übte heftige Kritik an Cameron wegen dessen Rolle bei dem Referendum. „Denn wenn jemand von Montag bis Samstag über Europa schimpft, dann nimmt man ihm auch am Sonntag nicht ab, dass er überzeugter Europäer ist“, sagte Juncker der „Bild“.
Am Rande des Brüsseler EU-Gipfels am Dienstag und Mittwoch soll es ein „informelles Treffen“ der 27 verbleibenden EU-Staaten geben – dann also erstmals ohne Großbritannien. Für Montag lädt Kanzlerin Angela Merkel zu Gesprächen nach Berlin ein. Im Kanzleramt werden Frankreichs Präsident François Hollande, Italiens Regierungschef Matteo Renzi sowie EU-Ratspräsident Donald Tusk erwartet.
Die EU erlebt angesichts von Finanzkrisen und Flüchtlingsandrang sowie Arbeitslosigkeit und schlechter Wirtschaftslage in vielen Ländern die schwerste Belastungsprobe ihrer Geschichte. Hinzu kam in den vergangenen Monaten das Erstarken rechtspopulistischer und europakritischer Kräfte. Diese Rechtsparteien bejubeln das Votum der Briten. Deren Wahlbeteiligung lag bei 72 Prozent. Insgesamt stimmten 17,4 Millionen Wähler für den Brexit, 16,1 Millionen dagegen. (dpa)
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