Korruption und Kreativität: Wie wehrpflichtige Ukrainer vor der Einberufung fliehen

Seit mehr als einem Jahr singen in der Ukraine die Waffen. Viele Männer auf beiden Seiten wollen jedoch nicht im Krieg sterben und fliehen vor der Einberufung. Im Folgenden ein Blick auf die Wehrpflichtigen in der Ukraine.
Titelbild
Die ukrainische Armee braucht Soldaten. Doch viele Männer entziehen sich auf verschiedene Weise dem Kriegsdienst.Foto: iStock
Von 3. Mai 2023

Während in Russland die Einberufung künftig über ein Internetportal erfolgen soll, geht sie in der Ukraine genauso weiter wie bisher. Der Großteil der Männer bekommt den Aufruf in Briefform zugesandt und muss sich innerhalb der im Schreiben gesetzten Frist beim Militärkommissariat melden.

Mitarbeiter des Militärkommissariats können den Wehrpflichtigen die Vorladung zudem am Arbeitsplatz überreichen. Oft verteilen sie Vorladungen auch spontan auf der Straße oder an Straßensperren, wie das ukrainische Nachrichtenportal „Fakty“ berichtete. 

Dabei gehen die Mitarbeiter des Militärkommissariats manchmal rabiat vor: In der gleichen Manier wie in Russland greifen sie Männer auf der Straße auf und fahren sie ins Musterungsbüro. Im Internet kursieren etliche Videos, in denen Ukrainisch sprechende Männer in Uniform Spaziergänger mit Gewalt in Fahrzeuge zerren. Die Videos lassen sich nicht unabhängig überprüfen. Auch die „Tagesschau“ berichtete darüber.

Bis zu fünf Jahre Gefängnis für Kriegsdienstverweigerer 

Wer in der Ukraine die Vorladung ignoriert und den Kriegsdienst verweigert, muss mit einer Geld- und Gefängnisstrafe von drei bis fünf Jahren rechnen. Von Januar bis Juli 2022 ermittelten ukrainische Gerichte bereits gegen 5.000 Männer wegen Kriegsdienstverweigerung (Artikel 335, 336, 409 des ukrainischen Strafgesetzbuches), schreibt der Verein Connection e. V. Der Verein setzt sich für das Recht auf Kriegsdienstverweigerung ein und unterstützt Kriegsdienstverweigerer und Deserteure.

Am 2. Mai 2022 erklärte Roman Gorbatsch, Leiter der Personalabteilung des Kommandos Landstreitkräfte der ukrainischen Armee: „Was die Wehrpflichtigen anbelangt, die eine Vorladung erhalten haben: Wenn sich herausstellt, dass sie sich illegal ins Ausland begeben haben, dann haben sie den Kriegsdienst verweigert. Nach der geltenden Gesetzgebung sind sie strafrechtlich zu ahnden. Das heißt, diese Personen werden gemäß ukrainischen Gesetzen strafrechtlich verfolgt werden.“

Ausreisesperre für Männer lässt Korruption sprießen

Als der Ukraine-Krieg am 24. Februar 2022 begann, setzte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj das Kriegsrecht in Kraft und befahl eine allgemeine Mobilmachung. Ab diesem Zeitpunkt durften Männer zwischen 18 und 60 Jahren das Land nicht mehr verlassen. 

Die Grenzpolizisten sollten allen männlichen Staatsbürgern im wehrfähigen Alter eine Vorladung überreichen und an die Front schicken. Oft vereitelte jedoch die Korruption die Pläne der ukrainischen Regierung: Männer, die es sich leisten konnten, bestachen die Polizisten an der Grenze. 

Andere ließen sich Dokumente fälschen. „Studienbescheinigungen, Bescheinigungen über die Untauglichkeit zum Wehrdienst, Behindertenausweise. [Die Männer] lassen Geburtsurkunden fälschen und werden zu kinderreichen Vätern [ab drei Kindern]“, hieß es aus der Zentrale der westlichen Regionalabteilung des ukrainischen Grenzdienstes zu den Fluchtversuchen der Männer. Die ukrainische Nachrichtenagentur „Unian“ berichtete.

Laut der ukrainischen Onlinezeitung „Strana.ua“ kosten Fälschungen um die 3.000 bis 10.000 US-Dollar. Ähnlich hoch dürften die Bestechungsgelder für Grenzpolizisten sein.

Die Korruption ist nicht verwunderlich. Dem Korruptionsindex der Statistikseite „Trading Economics“ zufolge ist die Ukraine nach Russland das korrupteste Land Europas.

Schmiergelder beim Freiwilligennetzwerk für Fahrer

Eine andere sehr bequeme und sichere Möglichkeit, die Ukraine zu verlassen, ist das Freiwilligenprogramm „Schljach“ („Weg“). Das ist ein Netzwerk, in das sich Fahrer eintragen lassen können, die ehrenamtlich Güter für ukrainische Streitkräfte oder humanitäre Hilfe und Medikamente aus dem Ausland transportieren möchten.  

Wer dem Netzwerk beitreten möchte, muss sich an die Armee, medizinische Einrichtungen oder Hilfsorganisationen wenden. Diese senden dann einen Antrag an das Verkehrsministerium oder die regionale Militärverwaltung. Schließlich bekommt der Fahrer eine Genehmigung; er kann mit ihr das Land verlassen und soll innerhalb von 30 Tagen zurückkehren, schreibt das ukrainische juristische Informationsportal „Juriditschnyj Fakt“.

Nach Angaben von Opendatabot erteilten ukrainische Behörden bis März 2023 mehr als 1,27 Millionen Ausreisegenehmigungen für „Schljach“-Fahrer. Opendatabot ist ein ukrainisches Unternehmen, das offizielle Daten aus den wichtigsten öffentlichen Datenbanken der Ukraine sammelt.

Das Unternehmen bemängelt die Transparenz von „Schljach“. So führen weder die Grenzpolizisten noch das Innenministerium eine Statistik, wie viele Fahrer fristgerecht zurückkehrten oder im Ausland blieben. 

Auch existieren bei der Antragstellung viele Lücken. Wie ein ukrainischer Wehrpflichtiger in Polen der BBC erzählte, überprüfe niemand die Personalien der potenziellen Fahrer. Man brauche auch gar keinen Führerschein, um in das System eingetragen zu werden – nur die Formulare müssten richtig ausgefüllt werden. Der Eintrag koste zwischen 2.000 und 3.000 US-Dollar.

Kreative Fluchtversuche

Viele Wehrpflichtige, die keine Unsummen bezahlen wollten oder konnten, wurden bei ihrer Flucht kreativ. Viele verkleiden sich als Frauen. So griff die ukrainische Grenzpolizei im März vergangenen Jahres einen Mann auf, der mit dem Reisepass seiner Frau die ukrainisch-rumänische Grenze überqueren wollte. Dabei trug er Perücke und Schminke, hatte sein Kleinkind im Kinderwagen mit und seine Oberweite ausgestopft.

Um aus dem Land zu kommen, verstecken sich Männer auch oft in Kofferräumen, unter den Rückbänken von Autos, in Koffern oder Boxen oder sogar in Belüftungsschächten von Zügen.

Lebensgefahr bei Grenzüberquerung

Ferner wagen viele Männer den Fußmarsch: Um keine Grenzpunkte überqueren zu müssen, nehmen sie den gefährlichen Weg durch Moore und Berge auf sich oder schwimmen durch Grenzflüsse. Dabei besteht das Risiko, zu verhungern, zu erfrieren oder zu ertrinken.

Wie das ukrainische Touristenportal „Visit Ukraine Today“ berichtete, versuchten drei Männer im Mai vergangenen Jahres über Transkarpatien nach Rumänien zu fliehen. Als sie von Grenzbeamten entdeckt wurden, stürzten sie sich in den Grenzfluss Theiß. Einer ertrank; einer wurde von den Fluten mitgerissen und konnte nicht mehr aufgefunden werden.

Wegen der Grenzpolizisten und der Lebensgefahr bezahlen viele flüchtige Männer hohe Summen an Schleuser. So würden diese um die 5.000 Euro pro Person verlangen, erzählte ein Flüchtling der BBC. Die gleiche Summe nannte auch ein geflüchteter Wehrpflichtiger in Deutschland der „Deutschen Welle“.

Wehrfähige Ukrainer in Deutschland

Wie viele wehrfähige Männer die Ukraine verlassen haben, lässt sich momentan nicht genau ermitteln. Zum 31. August 2022 befanden sich 162.654 ukrainische Männer im Alter zwischen 18 und 60 Jahren in Deutschland. Vor dem russischen Angriff lag diese Zahl bei rund 40.000 Männern. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der AfD im Oktober hervor. 

Die Bundesregierung führt keine Statistik darüber, wie viele dieser Männer wehrdienstuntauglich sind. Auch ist nicht klar, wie viele von ihnen Deutschland wieder verlassen haben.



Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion