Kongo: WHO zahlt Opfern sexuellen Missbrauchs durch Mitarbeiter 250 US-Dollar

Mindestens 104 Frauen waren von den Misshandlungen betroffen. Als Gegenleistung für die „Entschädigung“ mussten sie Back- oder Schneiderkurse absolvieren. WHO entlässt lediglich fünf Beschuldigte.
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Kongolesische Frauen. (Symbolbild)Foto: ALEXIS HUGUET/AFP via Getty Images
Von 17. November 2023

Als im Oktober 2021 bekannt wurde, dass Mitarbeiter der Weltgesundheitsorganisation (WHO) im Kongo mehr als 100 Frauen sexuell missbraucht hatten, ging ein Aufschrei der Empörung durch viele Mitgliedsländer. Die USA und die Europäische Union (EU) forderten eine „Nulltoleranz“-Strategie gegenüber sexueller Gewalt bei der WHO, berichtete Epoch Times seinerzeit. In der Folge wurden fünf Mitarbeiter wegen Fehlverhalten entlassen, schreibt die Nachrichtenagentur „Associated Press“ (AP), die den Skandal damals aufgedeckt hatte.

Jüngstes Opfer war 13 Jahre alt

Aktuell berichtet AP, dass die WHO den Opfern – das jüngste war zum Tatzeitpunkt 13 Jahre – ein „Schmerzensgeld“ bezahlt hat. 250 US-Dollar hat demnach jede Frau bekommen, die von einem WHO-Mitarbeiter missbraucht wurde. Die Fälle ereigneten sich demnach in den Jahren 2018 bis 2020, als sich die WHO-Helfer wegen eines Ebola-Ausbruchs in dem afrikanischen Land aufhielten. Insgesamt sollen 83 Personen daran beteiligt gewesen sein, 21 standen in Diensten der WHO. Laut AP ist es der größte Missbrauchsskandal in der Geschichte der WHO. 104 Frauen wurden dem Bericht zufolge mit einem Betrag „entschädigt“, der die Lebenshaltungskosten nicht einmal für vier Monate im Kongo abdeckt.

Die Gesamtsumme von 26.000 US-Dollar, die die WHO den Opfern zur Verfügung gestellt hat, entspricht etwa einem Prozent des von der Organisation eingerichteten „Überlebenshilfefonds“ in Höhe von zwei Millionen US-Dollar für Opfer sexuellen Fehlverhaltens, vor allem im Kongo.

Sex gegen Jobversprechen

Die Nachrichtenagentur schildert das Schicksal von Alphonsine stellvertretend für andere Opfer, die Geschichten ähneln sich sehr. Ein WHO-Angehöriger zwang sie zum Sex, als Gegenleistung versprach er der heute 34-Jährigen einen Job als Infektionskontrolleurin im Ebolabekämpfungsteam in der ostkongolesischen Stadt Beni.

Alphonsine erhielt nach eigenen Angaben 250 US-Dollar von der WHO. Die Zahlungen erfolgten allerdings nicht ohne Gegenleistung. Um das Geld zu erhalten, mussten die Frauen Schulungen absolvieren, die ihnen helfen sollten, „einkommensschaffende Aktivitäten“ zu starten. In Alphonsines Fall war es ein Backkurs.

„Das Geld hat damals geholfen, aber es war nicht genug“, sagte die 34-Jährige. Sie sei später bankrottgegangen, lieber hätte sie ein Stück Land und genug Geld erhalten, um ein eigenes Unternehmen zu gründen.

Audia, 24, sagte gegenüber AP, dass sie von einem WHO-Beamten, der sie missbraucht hatte, schwanger geworden sei. Ihre Tochter ist heute fünf Jahre alt. Doch auch sie erhielt lediglich 250 US-Dollar, und die auch erst, nachdem sie Schneider- und Backkurse besucht habe. Sie macht sich Sorgen darüber, was in einer zukünftigen Gesundheitskrise im vom Konflikt betroffenen Ostkongo passieren könnte. Dort führen schlechte Infrastruktur und fehlende Ressourcen dazu, dass jede Notfallreaktion stark auf externe Hilfe der WHO und anderer angewiesen ist. „Ich kann der WHO nicht mehr vertrauen“, sagte sie. „Wenn sie dich in solchen Schwierigkeiten im Stich lassen und dich untätig zurücklassen, ist das unverantwortlich.“

250 US-Dollar „Perversion der Justiz“

Paula Donovan, Co-Leiterin der Code Blue-Kampagne zur Beseitigung der Straflosigkeit für sexuelles Fehlverhalten in den Vereinten Nationen, bezeichnet die Zahlungen der WHO an Opfer sexuellen Missbrauchs und sexueller Ausbeutung als eine „Perversion der Justiz“.

„Es ist nichts Ungewöhnliches, dass die UN Menschen Startkapital gibt, damit sie ihren Lebensunterhalt verbessern können. Aber dies mit einer Entschädigung für einen sexuellen Übergriff oder ein Verbrechen, das zur Geburt eines Kindes führt, zu verknüpfen, ist undenkbar“, sagte sie.

Gegenüber AP teilte die WHO mit, dass zu den Kriterien für die Bestimmung ihres „Opfer-Überlebenspakets“ die Lebensmittelkosten im Kongo und „globale Leitlinien dazu gehörten, nicht mehr Bargeld auszugeben, als für die Gemeinschaft angemessen wäre, um die Empfänger keinem weiteren Schaden auszusetzen“. Dies sei eine Begründung der niedrigen Zahlungen, die „konstruiert“ wirken, so der „Spiegel“.

Die WHO-Ärztin Dr. Gaya Gamhewage sagte, man folge damit den Empfehlungen von Experten lokaler Wohltätigkeitsorganisationen und anderer UN-Organisationen. „Offensichtlich haben wir nicht genug getan“, sagte Gamhewage. Sie fügte hinzu, dass die WHO die Überlebenden direkt fragen würde, welche weitere Unterstützung sie wünschten. Gamhewage verfasste nach einer Reise im März 2023 in den Kongo einen internen Bericht, aus dem unter anderem hervorgeht, dass eine der misshandelten Frauen, die sie traf, ein Baby mit „einer Fehlbildung, die eine spezielle medizinische Behandlung erforderte“, zur Welt brachte. Dies bedeute für die junge Mutter noch höhere Kosten. Die WHO habe dazu beigetragen, die medizinischen Kosten für 17 Kinder zu decken, die als Folge sexueller Ausbeutung und Missbrauchs geboren wurden, sagte sie.

Gates-Foundation größter Geldgeber des Kongo-Büros

Das Kongo-Büro der WHO verfügt über ein Gesamtbudget von etwa 174 Millionen US-Dollar. Größter Geldgeber ist laut AP die Bill & Melinda Gates Foundation. Für einen WHO-Mitarbeiter, der im Kongo arbeitet, liegt das übliche Tagesgeld zwischen etwa 144 und 480 US-Dollar. Einem internen Reisebericht zufolge erhielt Gamhewage während ihrer dreitägigen Reise in die kongolesische Hauptstadt Kinshasa 231 US-Dollar pro Tag.

Aus den internen Dokumenten geht hervor, dass die Personalkosten mehr als die Hälfte der 1,5 Millionen US-Dollar ausmachen, die die WHO für die Prävention sexuellen Fehlverhaltens im Kongo für den Zeitraum 2022 und 2023 bereitgestellt hat – also 821.856 US-Dollar. Weitere zwölf Prozent fließen in Präventionsmaßnahmen und 35 Prozent – oder 535.000 US-Dollar – in die „Opferunterstützung“, zu der laut Gamhewage Rechtsbeistand, Transport und psychologische Unterstützung gehören. Dieses Budget ist vom Zwei-Millionen-US-Dollar-Hinterbliebenenhilfefonds getrennt, der Opfer weltweit unterstützt.

Hochrangige Mitwisser sind weiter im Amt

Gamhewage schreibt in ihrem Bericht auch, dass die beiden Frauen sich wünschten, dass „die Täter zur Rechenschaft gezogen werden, damit sie niemandem mehr Schaden zufügen können“.

Dass dies geschehen werde, hatte auch WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus bereits vor zwei Jahren angekündigt, als er sich für die Vorgänge bei der Republik Kongo entschuldigte. Tedros nannte es „oberste Priorität, die Täter nicht zu entschuldigen, sondern zur Rechenschaft zu ziehen“, berichtete unter anderem die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (FAZ) seinerzeit. Doch außer den fünf bereits erwähnten Entlassungen hat es offenbar keine Konsequenzen gegeben. Das vermissen auch die Opfer: „Sie haben versprochen, uns Beweise vorzulegen, dass die Angelegenheit erledigt wurde, aber es gab keine Folgemaßnahmen“, sagt Denise, ein weiteres Missbrauchsopfer der WHO-Mitarbeiter.

AP zufolge seien keine leitenden Manager entlassen worden. Auch nicht die, die von den Misshandlungen wussten. Die kongolesischen Behörden haben erst „nach Jahren des Drucks“ eine Liste mit den Namen 16 mutmaßlicher Täter von der WHO erhalten.



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