Kippt die Brandmauer? CDU/CSU-Abgeordnete stimmen für AfD-Antrag im EU-Parlament

Eigentlich war das Europaparlament am Mittwoch zusammengekommen, um den EU-Haushalt 2025 zu debattieren. Ein Änderungsantrag der rechten Fraktion ESN, der Zäune an den Außengrenzen forderte und überraschend Unterstützung von der EVP erhielt, hat nun eine politische Krise ausgelöst.
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Nachdem die EVP für einen Änderungsantrag der ESN-Fraktion gestimmt hat, kam es im Europaparlament in Straßburg zum Eklat.Foto: Patrick Seeger/dpa
Von 26. Oktober 2024

Eigentlich sollte es im Europaparlament am vergangenen Mittwoch um die politischen Leitlinien für den europäischen Haushalt 2025 gehen. Die Frage, über die an diesem Tag debattiert werden sollte, war eigentlich, welches Geld wie ausgegeben werden soll und welche Prioritäten das EU-Parlament legen möchte. Ein Änderungsantrag brachte diesen Debatten-Fokus zu Fall und ins Zentrum ist seit Mittwoch die Frage gerückt: Fängt die Brandmauer gegen rechts im Parlament an zu bröckeln? Was ist passiert?

EVP stimmt für AfD-Antrag

Es ging um Zäune an den europäischen Außengrenzen. In einem Änderungsantrag hatte die Fraktion der ESN (Europa der Souveränen Nationen), zu der auch die AfD-Delegation im Europaparlament gehört, eine „angemessene Finanzierung“ für Zäune an der Außengrenze gefordert. Der Änderungsantrag fand mit Unterstützung der beiden anderen rechten Fraktionen “Patrioten für Europa“ und den „Europäischen Konservativen und Reformer“ breite Zustimmung. Angenommen wurde der Antrag allerdings, weil auch die Abgeordneten der „Europäischen Volkspartei“ (EVP), zu der auch die CDU/CSU gehört, dem Änderungsantrag zugestimmt hatten. 

Für die liberalen und linken Parteien im Parlament war die EVP-Zustimmung ein Affront: Sie kippten den gesamten Haushaltsantrag, indem sie ihre Zustimmung verweigerten. Somit gibt es im Moment keinen Haushalt.

Nach Angaben des Europaabgeordneten Erik Marquardt, der Leiter der grünen Abgeordnetengruppe ist, hätten 23 der 29 Abgeordneten der CDU und der CSU für diesen Antrag gestimmt. Gegen den Antrag stimmten aus den Reihen der Union demnach die Abgeordneten Dennis Radke, David McAllister und Niclas Herbst. Alexandra Mehnert und Peter Liese hätten an diesem Tag nicht abgestimmt. 

Auf X schrieb Marquardt weiter:

Sowohl die linken als auch die liberalen Kräfte im EU-Parlament kritisieren, dass die Zustimmung zu einem ESN-Änderungsantrag ein Verstoß gegen die Vereinbarung, nicht mit den sogenannten “rechtspopulistischen“ Parteien zusammenzuarbeiten, sei.

Das Konzept dahinter heißt in Brüssel „cordon sanitaire“, auf Deutsch „Sperrgürtel“. Ursprünglich stammt dieser Begriff aus dem Seuchenschutz und gilt in Brüssel vor allem der Fraktion „Patrioten für Europa“, die maßgeblich vom französischen „Rassemblement National“ (RN) und Victor Orbáns Partei „Fidesz“ aus Ungarn dominiert wird, und der „Fraktion Europa der Souveränen Nationen“. Dagegen wird die rechte EKR‑Fraktion von Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni nicht ausgeschlossen. In Deutschland ist dieses Konzept als „Brandmauer“ bekannt.

Die liberale Fraktion „Renew“ erklärte in einer Pressemitteilung:  

Eine Provokation der Rechtspopulisten, die leider von einem großen Teil der Konservativen unterstützt wurde, hat es Renew nicht ermöglicht, heute für die parlamentarische Entschließung zum Entwurf des EU-Haushalts 2025 zu stimmen.“

Die französische Abgeordnete Fabienne Keller (Renew) sieht die EVP als Schuldige für die Vorgänge am Mittwoch:

Wir hatten mit der EVP, den Sozialisten und den Grünen einen guten Kompromiss ausgearbeitet, den die EVP jedoch ablehnte, um sich der alternativen rechten Mehrheit anzuschließen.“

Der grüne Europaabgeordnete Michael Bloss kommentierte den Vorgang auf X mit den Worten:

AfD jubelt: „Brandmauer abgetragen“

Der Vorsitzende der ESN-Fraktion, René Aust, Europaabgeordneter der AfD, spricht auf X von einem „großartigen Erfolg“: „Die Brandmauer ist heute im EU-Parlament weiter abgetragen worden.” 

„Die Linken dachten, indem sie gegen den eigenen Haushalt stimmen, würden sie die AfD- bzw. ESN-Anträge rückgängig machen. De facto haben sie der ganzen Welt den Beweis geliefert: Wir geben im EU-Parlament den Takt vor. Wir setzen die Themen. Wir bestimmen und verschieben den Diskurs”, so Aust auf X weiter. 

Politischen Überzeugungen folgen

EVP-Vorsitzender, Manfred Weber, der für die CSU im Europaparlament sitzt, kann nicht erkennen, dass seine Partei die Brandmauer eingerissen hätte. Gegenüber „ZDF heute“ sagte der Politiker:  „Wir haben unsere Brandmauer klar definiert“. Und Weber weiter:

Es gibt keine Zusammenarbeit mit Radikalen, die auch nur eines unserer drei Grundprinzipien – pro-Ukraine, pro-Europa, pro-Rechtsstaat – ablehnen oder verletzen. Das gilt für rechte und linke Parteien.“

Weber betonte weiter, dass die EVP ihren „politischen und programmatischen Überzeugungen“ folgen werde. Das bedeutet für den EVP-Chef: Keine Kompromisse, keine parlamentarische Zusammenarbeit, keine Verhandlungen mit den Rechten – das sei die Brandmauer.

Die nun im EU-Parlament gescheiterte Abstimmung über den Haushalt zeigt, wie schwierig die Machtverhältnisse nach der Wahl im Juni im Parlament sind. Zwar stellt die EVP, die Partei der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, in Brüssel die meisten Abgeordneten – für eine eigene Mehrheit reicht es aber nicht. Trotzdem ist sie ein ernst zu nehmender Block, wenn es darum geht links und rechts der Mitte im Parlament Mehrheiten zu bilden. 

Formell haben am Anfang der Legislatur EVP, Sozialdemokraten, Liberale und Grüne eine Zusammenarbeit vereinbart. Bei einzelnen Abstimmungen, das hat die Abstimmung am Mittwoch gezeigt, kann die EVP mit den Stimmen der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR), der ESN und der Patrioten für Europa rechte Mehrheiten durchsetzen. Mehrheiten ohne die Parteien des rechten Spektrums durchzusetzen, ist im neuen Parlament nun sehr schwierig geworden. Die „Patrioten für Europa“ sind immerhin die drittstärkste Kraft im Parlament. Möchte man den „cordon sanitaire“ im Parlament durchsetzen, dann muss es jenseits des rechten Lagers eine Einigkeit geben. 

„Bei der Abstimmung über die Haushaltsresolution hat sich gezeigt, in welcher politischen Stimmung sich dieses Haus gerade befindet“, sagt der SPD-Abgeordnete René Repasi gegenüber „ZDF heute“. Und weiter:  „Die Christdemokraten ignorieren Abmachungen mit uns Sozialdemokraten und verhelfen erstmals einem Vorschlag der AfD zur Mehrheit.“

Linke blockiert Haushalt mit Stimmen der Rechten

Gegen diese Darstellung wehrt sich die EVP. Der CDU-Europaabgeordnete Andreas Schwab spricht vielmehr gegenüber dem Portal „Euractiv“ von einem Zusammenspiel linker und rechter Kräfte im Parlament im Hinblick auf die Ablehnung der Haushaltsresolution: „Die Linke hat beschlossen, die gesamte Resolution mit der Stimme der Rechten zu blockieren.“

Laut Schwab könnte dieser Vorgang sogar als Zusammenarbeit zwischen der Linken und der Rechten interpretiert werden, „aber es sei zu dumm, diese Art von Diskussion zu beginnen“.

Schwab betont weiter: „Die EVP strebt keine strukturelle Zusammenarbeit mit diesen [rechtspopulistischen] Parteien an.”

Aber die Parteien links der EVP stimmten zuletzt dagegen, es kam also zu einer Allianz zwischen Sozialdemokraten und Grünen mit Rechtspopulisten. „Wir fordern die linke Seite nachdrücklich auf, Resolutionen nicht mit Unterstützung der Rechten zu blockieren“, so Schwab in Richtung der linken Kräfte im Parlament.



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