Nähe zu Kernkraftwerk: Kämpfe in Kursk erregen Besorgnis
Der Chef der Internationalen Atomenergieorganisation IAEA hat sich zutiefst beunruhigt über die anhaltenden Kämpfe in der Nähe eines Kernkraftwerks (KKW) in der russischen Grenzregion Kursk gezeigt.
Die Kämpfe zwischen russischer und ukrainischer Armee in so geringem Abstand zu einem KKW dieser Art seien eine „extrem ernste“ Angelegenheit, sagte IAEA-Chef Rafael Grossi am Dienstag nach einem Besuch der Anlage in Kurtschatow. Die Ukraine verkündete außerdem den ersten erfolgreichen Test einer ballistischen Rakete aus eigener Produktion.
Das KKW gleich neben an
Russische und ukrainische Truppen liefern sich in der Region Kursk derzeit nur knapp 50 Kilometer entfernt von dem KKW entfernt Gefechte. Bereits nach dem Beginn des ukrainischen Vorstoßes in die russische Grenzregion vor drei Wochen hatte Grossi vor den möglichen Auswirkungen der Kämpfe auf das dortige KKW gewarnt und „alle Parteien zu maximaler Zurückhaltung“ aufgerufen.
Der russische Präsident Wladimir Putin hatte der ukrainischen Armee in der vergangenen Woche einen versuchten Angriff auf das Kraftwerk vorgeworfen.
Das Kernkraftwerk von Kursk in Kurtschatow liegt rund 60 Kilometer von der russisch-ukrainischen Grenze entfernt am Fluss Seim. Es verfügt über vier Reaktoranlagen, von denen zwei stillgelegt sind. Alle vier Reaktoren gehören zum gleichen Typ wie im 1986 havarierten ukrainischen KKW Tschernobyl und haben keine Schutz-Kuppel.
Es wäre „übertrieben“, Tschernobyl und Kursk gleichzusetzen, sagte Grossi. „Aber es ist der gleiche Reaktortyp, und es gibt keine besonderen Schutzvorkehrungen“, warnte der IAEA-Chef: „Es ist nicht wie bei anderen Reaktoren in der Welt, wo man die typische Kuppel hat. Das hier ist vollkommen anders, es ist wie jedes x-beliebige Gebäude auf der gegenüberliegenden Straßenseite – aber mit all dem atomaren Material.“
600 russische Soldaten gefangen
Die Ukraine meldete am Dienstag einen weiteren Vormarsch ihrer Truppen in der Region Kursk. Seit Beginn der dortigen Kämpfe vor drei Wochen seien fast 600 russische Soldaten festgenommen worden, sagte Armeechef Oleksandr Syrskyj. Russland habe bisher rund 30.000 Soldaten verlegt, um sich dem ukrainischen Vorstoß entgegenzustellen. Die Ukraine kontrolliere inzwischen rund 100 Ortschaften auf einem Gebiet von 1300 Quadratkilometern.
Der Gouverneur der russischen Grenzregion Belgorod sprach von Informationen, wonach ukrainische Truppen auch dort einen Vormarsch auf russisches Gebiet planten.
Dem Verteidigungsministerium in Moskau zufolge sei die Lage an der Grenze „schwierig, aber unter Kontrolle“, erklärte Gouverneur Wjatscheslaw Gladkow. Der russische Telegram-Kanal Mash meldete, ukrainische Soldaten versuchten, über den Grenzort Nechotiwka in die Region vorzudringen.
Neue Kampfdrohne aus eigener Produktion im Kampf
Die Ukraine meldete derweil den ersten erfolgreichen Test einer ballistischen Rakete aus eigener Produktion. Ein kürzlich erfolgter Test sei „positiv“ verlaufen, sagte Präsident Wolodymyr Selenskyj in Kiew. Die Ukraine bemüht sich seit längerem um den Ausbau ihrer Rüstungsindustrie, um in der Verteidigung gegen den russischen Angriffskrieg weniger abhängig von westlicher Militärhilfe zu werden. Am Sonntag hatte Selenskyj einen ersten Einsatz der neu entwickelten Kampfdrohne Paljanyzia im Kampf gemeldet.
Selenskyj gab am Dienstag zudem den Einsatz von westlichen F-16-Kampfjets zur Abwehr der jüngsten russischen Drohnen- und Raketenangriffe bekannt. Das ukrainische Militär habe „bereits einige Raketen und Drohnen unter Einsatz der F-16 zerstört“, sagte der ukrainische Präsident. Selenskyj hatte am 4. August die Ankunft der ersten F-16-Jets in der Ukraine verkündet, nachdem das Land mehr als zwei Jahre lang auf die Lieferung gewartet hatte.
Russland griff die Ukraine in der Nacht zum Dienstag erneut mit zahlreichen Raketen und Drohnen an. Bei den Angriffen wurden nach ukrainischen Angaben mindestens fünf Menschen getötet.
Der SPD-Außenpolitiker Michael Roth warf Russland vor, mit seinen massiven Angriffen auf ukrainische Versorgungseinrichtungen eine Fluchtbewegung nach Europa auslösen zu wollen. „Zum einen soll die ukrainische Rüstungsproduktion lahmgelegt, zum anderen das Leben der Menschen in der Ukraine unerträglich gemacht werden, um neue Flüchtlingsbewegungen in die EU auszulösen“, sagte er dem Portal „Politico”.
Nächster Friedensgipfel in den Brics-Staaten gewünscht
Während diese Entwicklungen die politische und humanitäre Lage beeinflussen, plant die Ukraine bereits den nächsten Friedensgipfel. Die Staatsführung in Kiew wünscht sich nach eigenen Angaben, dass der zweite Ukraine-Friedensgipfel im globalen Süden stattfindet. „Wir möchten, dass der zweite Gipfel in einem der Länder des globalen Südens stattfindet“, sagte der ukrainische Präsidentenberater Andrij Jermak am Dienstag bei einer Konferenz in Kiew. Er fügte an, der indische Premierminister Narendra Modi habe sich bei seinem jüngsten Besuch in Kiew zur territorialen Integrität der Ukraine bekannt.
Indien wird zu den Ländern des globalen Südens gezählt. Unter dem Oberbegriff werden Staaten zusammengefasst, die sich außerhalb Europas und Nordamerikas befinden und weder mit dem Westen noch mit Russland verbündet sind. Präsidentenberater Jermak erklärte bei der Konferenz, der indische Premier Modi habe bei seinem Besuch in der vergangenen Woche gesagt, sein Land werde zur Beendigung des Ukraine-Kriegs „niemals irgendeinen Plan oder irgendein Vorhaben unterstützen, die Abstriche bei der territorialen Integrität der Ukraine machen“.
Es sei „sehr wichtig, das von einem Brics-Mitgliedsstaat zu hören“, sagte Jermak mit Blick auf die Gruppe, der neben Indien auch Russland angehört – und die sich als Gegengewicht zu westlichen Staaten versteht. Das nächste Treffen der Brics-Staaten findet im Oktober im russischen Kasan statt.
Russland darf teilnehmen
Staatschef Wolodymyr Selenskyj bekräftigte am Dienstag seinerseits, er sei offen für eine Teilnahme Russlands am nächsten Ukraine-Gipfel. „Wenn die russischen Vertreter am zweiten Gipfel teilnehmen wollen, werden sie das tun können“, sagte Selenskyj vor Journalisten. Ohne die Möglichkeit einer Teilnahme Russlands laufe die Ukraine Gefahr, „eine große Anzahl an Ländern“ für einen zweiten Gipfel zu verlieren.
Bei einem zweiten Friedensgipfel will Selenskyj eigenen Angaben zufolge einen „Plan“ für einen „gerechten Frieden“ vorlegen. Zur ersten Ukraine-Friedenskonferenz in der Schweiz Mitte Juni, an der Dutzende Staats- und Regierungschefs teilgenommen hatten, war Russland nicht eingeladen gewesen. Auch China hatte daran nicht teilgenommen.
Selenskyj hatte bereits Mitte Juli vorgeschlagen, russische Vertreter bei einem zweiten Ukraine-Friedensgipfel einzubeziehen. Russland hatte zuletzt allerdings erklärt, angesichts der ukrainischen Offensive in der westrussischen Region Kursk nicht an Friedensgesprächen interessiert zu sein. (afp/red)
vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.
Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.
Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.
Ihre Epoch Times - Redaktion