Katastrophen mit zweierlei Maß gemessen

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Diese Menschen und zahllose andere wurden blind, nachdem Giftgas aus einer Union Carbide-Pestizid-Fabrik (im Hintergrund) in Bhopal austrat.Foto: AFP/Getty Images
Von 18. Juli 2010

Für Amerikaner mit einem selektiven oder kurzen Gedächtnis war Union Carbide Corporation (UCC), ein US-Unternehmen, für die weltweit schwerste Industrie-Katastrophe verantwortlich, die sich in Bhopal im indischen Bundesstaat Madhya Pradesh ereignet hat.

In der Nacht vom 2. auf den 3. Dezember 1984 gab es ein großes Gasleck an der Anlage der indischen Tochtergesellschaft der UCC, wobei viele Toxine freigesetzt wurden. Es kam zu einer gewaltigen Explosion, bei der 2.200 Menschen sofort und über 3.700 kurzfristig aufgrund von dadurch verursachten Krankheiten ums Leben kamen.

Die Vereinigten Staaten waren schuld

Die indischen Regierungsbehörden schätzen, dass immerhin 15.000 bis 25.000 Todesfälle in den vergangenen 26 Jahren in dieser Gegend direkt auf die Katastrophe von Bhopal zurückzuführen sind. Im Vergleich mit anderen globalen Industrie-Katastrophen übertrifft das Bhopal-Unglück, für das ein großes US-Unternehmen verantwortlich war, deutlich alle anderen, einschließlich des Atomunfalls in Tschernobyl, der allgemein als das schlimmste Unglück gilt. Wie entsetzlich die BP-Öl-Katastrophe auch ist – für die die Menschen auch entschädigt werden müssen – so müssen die 11 Todesopfer, die Umweltschäden (über die noch spekuliert wird) und das ungute Gefühl gegenüber großen Fehlleistungen unserer oder ausländischer Industriegiganten aus einer erweiterten Perspektive betrachtet werden.

Sechsundzwanzig Jahre nach Bhopal verseuchen 390 Tonnen zurückgelassener Chemikalien der verlassenen Anlage weiterhin das Grundwasser in diesem Gebiet und bedrohen Tausende von Menschenleben. Zivil- und strafrechtliche Verfahren gegen Union Carbide und seine Führungskräfte sind in Indien und in den Vereinigten Staaten noch anhängig, obwohl das Unternehmen im Jahr 2001 von Dow Chemicals übernommen wurde. Weder der Vorstand von Union Carbides noch der von Dow Chemical hat jemals eine gesetzliche Haftung übernommen.

Die Politik und das Geld

Obwohl der Chef von UCC, Warren Anderson, verhaftet und vor indischen Gerichten angeklagt wurde, konnte die Reagan-Administration eine außergerichtliche Einigung erzielen, so dass alle Anklagen schließlich gegen Zahlung einer Entschädigung von nur 470 Millionen Dollar zurückgenommen wurden. Anderson saß im ersten Flugzeug, das nach Hause flog.

Weder er noch die amerikanischen Führungskräfte der Muttergesellschaft Union Carbide wurden jemals angeklagt. Nur wenige Beobachter bezweifeln, dass die Reagan-Regierung und Union Carbide das Volk von Madhya Pradesh am Ganges verkauft haben. Man sollte auf die Zehntausenden von Toten, den Verlust der Familieneinkommen, die Unterstützung für die chronisch Kranken und den Verlust der Lebensgrundlage schauen. Doch die amerikanischen Führungskräfte von UCC verließen das Gelände in Bhopal und flohen regelrecht aus dem Land.

Einen Klaps auf die Hand

Im Juni schaffte es das Gericht in Bhopal endlich, sieben indische Ex-Mitarbeiter von UCC, darunter den ehemaligen Vorsitzenden von Union Carbide India, wegen fahrlässiger Tötung zu verurteilen. Jeder wurde zu zwei Jahren Haft und 2.000 US-Dollar Geldstrafe verurteilt, dem Höchstmaß, das nach indischem Recht zulässig ist. Ein achter Angeklagter starb, bevor das Urteil vollstreckt werden konnte.
Während der Verhandlung gegen die Führungskräfte von UCC India stellte sich heraus, dass sie von etwa 30 größeren Sicherheitsrisiken an der Anlage von Bhopal wussten. Außerdem wurde deutlich, dass sie nicht die Einzigen waren und dass auch Führungskräfte im US-Hauptquartier diese Gefahren kannten. Doch wurden in den letzten 26 Jahren nicht gegen einen einzigen amerikanischen Angestellten der Muttergesellschaft rechtliche Schritte eingeleitet. Es scheint so, als ob die amerikanischen Mitarbeiter von Union Carbide im Gegensatz zu den indischen über dem Gesetz stehen.

Die Vereinigten Staaten schauen weg

Die Menschen der Region Madhya Pradesh wehren sich seit 26 Jahren vor den Gerichten und auf den Straßen mit Kampagnen, um das moralisch verwerfliche Abkommen zwischen den USA und Indien zu boykottieren. Sie wollen Gerechtigkeit und auch heute noch tragen sie ihren Protest auf die Straße. Sie wollen, dass Warren Anderson ausgeliefert wird und dass die übrig gebliebenen Chemikalien ordnungsgemäß beseitigt werden. Sie möchten nicht mehr krank werden und vorzeitig sterben.

Aber niemand in den Vereinigten Staaten hört ihnen zu. Sie sind zu sehr damit beschäftigt, sich selbstgerecht über eine ausländische Firma moralisch zu empören und meinen, diese hätte ihre Küsten „überfallen“.

Die Wahrheit ist, dass BPs britische Chefs und Führungskräfte weit mehr moralisches Rückgrat als Union Carbide oder Dow Chemical Boards gezeigt haben. Außerdem hat die BP-Zentrale mit Sitz in London einen 20 Milliarden-US-Dollar-Ausgleichsfonds angelegt – was ein sofortiges stillschweigendes Eingeständnis der Verantwortung und vielleicht auch der Haftung bedeutet -, und zwar ohne dass eine gerichtliche Entscheidung notwendig wäre und ohne einen gut betuchten US-Anwalt einzuschalten.

Offensichtlich muss BP auf einen rechtlichen und moralischen Fall reagieren, scheint aber auch dazu bereit zu sein. Aber diejenigen, die den moralischen Zeigefinger erheben und die Position des „in den Hintern Tretens“ dieser Nation einnehmen, sollten vielleicht zuerst einmal prüfen, in welche amerikanischen Hintern die Menschen in Bhopal treten sollten, damit ihnen Gerechtigkeit widerfährt.

Copyright Troy Media Corporation. Peter C. Glover ist ein britischer Schriftsteller, der über internationale Themen schreibt und sich auf Energieprobleme spezialisiert hat. Er ist Co-Autor (zusammen mit Michael J. Economides) von Energy and Klimate Wars.

Originalartikel auf Englisch: BP and Union Carbide: The Tale of Two Moralities

 



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