Kanadas wieder gewählte Regierung steht vor dem Rezessions-Test
Kanadas Premierminister Stephen Harper und seine Konservative Partei können am Dienstagabend nach Erzielen einer stärkeren Minderheitsregierung feiern – aber mit Umsicht und nicht zu lange. Harper kommt an die Macht in einer, wie Experten sagen, höchst beschwerlichen Zeit für jeden Regierungschef.
„Das ist in keinem Land eine gute Zeit zum Regieren”, sagte Nelson Wiseman, Professor für Politikwissenschaft an der Universität von Toronto. Er glaubt, ein ökonomischer Abschwung dürfte das Glück der Konservativen schmälern.
Kanada ist die erste westliche Demokratie seit Beginn der Wirtschaftskrise, in der Wahlen abgehalten wurden. Viele Politik-Kommentatoren haben angedeutet, Harper hätte seine eigene Gesetzgebung, Wahlen zu einem fixen Termin abzuhalten, gebrochen, um eine Mehrheit erzielen zu können, bevor eine Rezession der Weltwirtschaft seine Aussichten bei den Wahlen beschädigen konnte.
Stattdessen haben die kanadischen Wähler ihre Stimme vor der Kulisse eines Konjunktureinbruchs, der die wichtigsten US-Banken erfasste und massive Staatshilfen in den USA und Europa nach sich zog, abgegeben.
Auch wenn die Konservativen 16 Sitze hinzugewannen, hatten sie mit 143 Sitzen zwölf zu wenig, um das Parlament mit einer Mehrheit belegen zu können. Die Wahl sah die niedrigste Wahlbeteiligung in Kanadas Geschichte.
Harper tritt sein Amt an inmitten einer, darin sind sich viele einig, der schlimmsten Wirtschaftskrisen seit der großen Depression. Seine Hoffnungen auf eine Wiederwahl beruhen weitgehend auf einem Kanada, das entweder einer Rezession entkommen kann, oder sie überdauern, sollte sie ankommen.
“Hätte er eine Mehrheit erhalten, mit diesem Ticket hätte er vier Jahre fahren können, aber er bekam keine”, sagte Wiseman, allerdings mit dem Zusatz, dass Kanadas Aussichten immer noch gefestigt seien.
Kanada steht inmitten der Krise besser da als die meisten westlichen Staaten, und seine Banken wurden kürzlich als die stabilsten der Welt bezeichnet. “Die Besorgnis ist groß … wir sehen mehr Entlassungen, aber die Arbeitslosigkeit befindet sich auf einem 30-Jahres-Tief, und unsere Banken sind relativ gut kapitalisiert, wie uns immer wieder versichert wird.“ Lawrence Leduc, ebenfalls Professor für Politikwissenschaften an der Universität von Toronto, geht ebenso davon aus, dass Harper vor einer Rezession stehen könnte. “Die Leute beschuldigen jeden, der gerade die Macht inne hat, wenn Dinge schieflaufen, egal ob es seine Schuld ist oder nicht”, sagte Leduc.
“Wer regiert, leidet darunter. Fällt die Rezession ernsthaft aus, dann ist es nahezu sicher, dass das die Position der Konservativen schmälern wird.” Leduc erwähnte, als in den frühen 80ern eine tiefe Rezession zuschlug, erlitt so gut wie jede amtierende Regierung bei den Wahlen eine Niederlage. “Es spielte keine Rolle, ob sie links oder rechts stand oder um welches Land es sich handelte.”
Aber während der Abschwung Harper dazu veranlasst haben dürfte, die Wahl auszurufen, war es sein eigener Fehler, der ihn die Mehrheit gekostet hat. Dieser Fehler, die Zurücknahme eines 45-Millionen-Dollar-Paketes für Kunstförderung, verbunden mit einer Stellungnahme, in der er die Künstler dafür kritisierte, an den Zusagen festzuhalten, schob viele Quebecer Wähler auf die Seite des separatistischen Bloc Quebecois, eine Partei, die nur in Quebec Kandidaten stellt und von der manche gedacht hatten, sie wäre irrelevant. Dass der Bloc “so schnell und vollständig” zurückkam, ist für Leduc eine der großen Geschichten der Wahl.
Ebenso für Wiseman. “Die Kultur ist ein Teil von Quebecs Identität, und Künstler haben dort einen Status, den sie im Rest des Landes nicht genießen”, sagte Wiseman. “Die Menschen sahen das als Angriff auf ihre Identität.” Zuvor hatten die Konservativen in Quebec so viele Stimmen, dass Wiseman sogar ohne Ontario mit zuzählen von einer Mehrheit ausging.
Neben Quebec standen die Konservativen auch in einigen Metropolen: Städten wie Toronto, Montreal oder Vancouver, in denen die Partei nicht einen einzigen Sitz gewann, vor einem Block. Auch wenn sie in Vororten vorgeprescht waren, konnten sie in keinem der städtischen Bezirke (in Kanada ridings genannt) Sitze gewinnen, abgesehen von Edmonton und Calgary in Alberta.
Wiseman sagte, das Aussperren ist ein Langzeitproblem, wollen die Konservativen eine bleibende Mehrheitsregierung erreichen. “Aber man weiß, sie haben Durchbrüche geschafft und sie könnten in einer nachfolgenden Wahl weitere Einzüge schaffen, bevor jene aufgehoben werden können”, erklärte er.
Einzug oder nicht, die Konservativen, und gewiss alle politischen Parteien, stehen vor einer weit größeren Herausforderung: dem Wähler, der, wie es aussieht, wahlmüde geworden ist.
James Hale, ein Sprecher für Elections Canada, sagte, laut vorausgehender Daten wäre das die niedrigste Wahlbeteiligung in Kanadas Geschichte, unter 59 Prozent, nach 64 Prozent bei der Wahl im Jahre 2006. Jene Wahl sah einen leichten Anstieg gegenüber der Wahlbeteiligung von 2004.
Hale sagte, Elections Canada spekuliere nicht über die Ursachen, aber laut Harold Chorney, Professor für Öffentlichkeitspolitik und politische Wirtschaft an der Concordia-Universität, sei der Abfall ein Zeichen, dass viele Kanadier mit den “angebotenen Optionen” unzufrieden seien. “Ich denke, sie waren verärgert und frustriert; sie sahen keine Notwendigkeit für eine Wahl”, sagte er.
Chorney weiter: Die niedrige Wahlbeteiligung und die daraus resultierende Sitzzählung zeige auch, dass Kanada dringend eine Wahlreform benötige. Er führt die einzelnen Stimmen gegenüber der Anzahl der Sitze des Bloc und der Grünen an, um diesen Punkt zu illustrieren. Während der Bloc nur 10 Prozent der Wählerstimmen erhielt, maschierte er mit 50 Sitzen heraus. Das sind über 16 Prozent der Gesamtsitze. Die Grünen, die fast 7 Prozent erreichten, erhielten keinen einzigen Sitz. “Das ist ein verrücktes Wahlsystem”, sagte er.
vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.
Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.
Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.
Ihre Epoch Times - Redaktion