Jahrelange Umsetzung? Scholz setzt auf kanadische statt russische Rohstoffe
Bundeskanzler Olaf Scholz will bei seinem dreitägigen Kanada-Besuch die Zusammenarbeit mit dem zweitgrößten Land der Welt bei der Erschließung von Rohstoffen deutlich ausbauen. „Das Land verfügt über ähnliche reiche Bodenschätze wie Russland – mit dem Unterschied, dass es eine verlässliche Demokratie ist“, sagte Scholz nach seiner Ankunft in Montreal. „So eröffnen sich neue Felder der Zusammenarbeit. Insbesondere beim Aufbau einer Wasserstoff-Wirtschaft wollen wir eng kooperieren.“
Der Kanzler besucht Kanada zusammen mit Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Begleitet werden die beiden von einer hochrangigen Wirtschaftsdelegation. Nach seiner Ankunft in Montreal kam Scholz mit dem kanadischen Premierminister Justin Trudeau zu einem Abendessen zusammen. Am Montag sind weitere politische Gespräche der beiden geplant.
Abkommen für Wasserstoff geplant
Während des Besuchs soll ein Abkommen über eine engere Zusammenarbeit bei Produktion und Transport von Wasserstoff unterzeichnet werden. Es geht aber auch um die Lieferung von Flüssiggas (LNG) nach Deutschland und die Förderung von in Kanada vorhandenen Mineralien und Metallen wie Nickel, Kobalt, Lithium und Graphit, die für die Herstellung von Batterien wichtig sind.
Scholz betonte, dass Deutschland mit kaum einem anderen Land außerhalb der Europäischen Union so eng und freundschaftlich verbunden sei wie mit Kanada. „Wir teilen nicht nur gemeinsame Werte, sondern auch einen ähnlichen Blick auf die Welt“, sagte er.
Kanada ist mit einer Fläche von fast einer Million Quadratkilometern nach Russland das zweitgrößte Land der Welt, mit etwa 37 Millionen Einwohnern aber vergleichsweise dünn besiedelt. Das Land ist Partner Deutschlands in der G7 wirtschaftsstarker Demokratien und in der NATO.
Flüssiggas aus Kanada frühestens in einigen Jahren verfügbar
Der Import von kanadischem Gas ist jedoch schwierig. Russland oder auch der wichtige Gas-Produzent Algerien haben den Vorteil, als Nachbarn der EU Gas per Pipeline liefern zu können. Eine Leitung durch den Atlantik ist hingegen nicht machbar, Einfuhren aus Kanada wie auch aus den USA sind daher nur in flüssiger Form, auf Tankschiffen möglich – sogenanntes LNG (Liquefied Natural Gas).
Das Problem ist nicht neu und betrifft genauso auch potenzielle Gasimporte aus dem arabischen Raum wie aus Katar. In Deutschland und anderen europäischen Ländern wird deshalb seit einiger Zeit mit Hochdruck am Bau von LNG-Terminals zum Entladen von Gastankern gearbeitet. An der deutschen Nordseeküste sollen die ersten noch in diesem Jahr in Betrieb gehen. Allerdings fehlen im Fall von Kanada auch die Terminals, um die Tanker überhaupt zu beladen.
In Kanada konzentriert sich die Erdgas-Produktion auf die westlichen Provinzen British Columbia, Alberta und Saskatchewan. Dort gibt es auch Export-Möglichkeiten, die allerdings auf den asiatischen Markt ausgerichtet sind. Über Pipelines wird Gas innerhalb von Kanada gleichzeitig in den Osten und in die USA geleitet – von dort bislang jedoch nicht im großen Stil weiter exportiert.
Denn Bau-Projekte für Export-Terminals an der kanadischen Ostküste kamen in den vergangenen Jahren nur schleppend voran und wurden zeitweise sogar eingefroren. Mit Russlands Einmarsch in die Ukraine und steigender Nachfrage in Europa erhielten sie aber neuen Aufwind. Die Regierung in Ottawa hat Unterstützung in Aussicht gestellt und verweist explizit auf Europas Abhängigkeit von russischem Gas.
Gas-Verschiffung erst in einigen Jahren
Reibungslos und zeitnah kündigt sich der Ausbau der LNG-Infrastruktur aber nicht an. Im Fokus stehen zwei mögliche Standorte für LNG-Exportterminals in New Brunswick und Nova Scotia. In beiden Fällen könnte aber frühestens in einigen Jahren Gas in Richtung Europa verschifft werden.
Zudem ist das Thema für die Regierung von Premier Justin Trudeau innenpolitisch problematisch. Ottawa hat selbst ehrgeizige Klimaziele formuliert. Neue Anlagen für fossile Brennstoffe kommen da ungelegen. Wegen des jahrelangen Widerstandes in der Bevölkerung gegen die Erschließung von Schiefergasvorkommen gibt es ohnehin seit Jahren eine organisierte Protestbewegung.
Hinzu kommen Konflikte mit indigenen Gruppen. Gas-Anlagen und Pipelines verlaufen häufig durch ihre Gebiete. In Westkanada kommt es deshalb häufig zu Protesten, die in der Vergangenheit teils auch in Gewalt umschlugen. Die Leitungen gen Osten müssten nun zumindest ausgebaut werden und auch beim Bau neuer Terminals drohen Konflikte mit den Ureinwohnern.
Ottawa verweist auf das Potenzial, Gasinfrastruktur künftig für Wasserstoff zu nutzen. Um diese Zukunftstechnologie geht es auch bei Scholz‘ und Habecks Reise. Sie besuchen Stephenville in Neufundland, wo ein Unternehmen eine Windenergieanlage zur Produktion von Wasserstoff plant. (dpa/afp/red)
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