Italien vor „Welle des Wandels“: Weniger Steuern, weniger EU, weniger Migranten

Macht der Staatspräsident den Weg dennoch frei für eine der ungewöhnlichsten Regierungen in der Geschichte des Landes? Für Italien beginnt eine entscheidende Woche.
Epoch Times21. Mai 2018

Elf Wochen nach der Parlamentswahl könnte die politische Hängepartie in Italien ein Ende haben. Am Montag wird mit entscheidenden Gesprächen zwischen der Fünf-Sterne-Bewegung und der Lega mit Staatschef Sergio Mattarella gerechnet.

Mit Spannung wird erwartet, wen die EU-kritischen Parteien Mattarella nach wochenlangem Taktieren als künftigen Ministerpräsidenten vorschlagen.

Am Wochenende hatten sich Sterne-Chef Luigi Di Maio und Lega-Anführer Matteo Salvini auf einen Kandidaten geeinigt und somit die letzte Hürde für das Bündnis aus dem Weg geräumt. Mattarella muss nun nicht nur die Personalie, sondern auch das Regierungsprogramm absegnen und den Regierungsauftrag erteilen. Durch die Übereinkunft der Populisten könnte Italien nach der Wahl am 4. März doch noch eine gewählte Regierung bekommen.

Spekuliert wird, dass die Wahl der Sterne und der Lega auf Universitätsprofessor und Rechtsanwalt Giuseppe Conte gefallen sein könnte. Der 54-jährige Jurist will laut „La Repubblica“ in der öffentlichen Verwaltung aufräumen und gilt als Experte im Management von krisengeschüttelten Unternehmen. Conte kommt aus dem Kreis der Fünf Sterne.

Dem Land stehen „radikale“ Veränderungen ins Haus, vertraut man auf die Worte von Salvini. „Wir werden das Gegenteil von dem machen, was die früheren Regierungen getan haben“, sagte er am Sonntag. Die Regierungsmannschaft, auf die sich die Lega mit den Fünf Sternen geeinigt habe, sei endlich eine, die nicht „per Fax aus Brüssel, Paris oder Berlin“ komme.

Die Koalition wird in der EU mit Skepsis betrachtet, da diese die Interessen Italiens in den Mittelpunkt stellen und die europäischen Verträge mit Blick auf Staatsverschuldung und Haushaltsdefizit „neu diskutieren“ will. Geplant sind eine Abkehr vom Sparkurs und milliardenschwere Vorhaben wie die Einführung eines Grundeinkommens und die Senkung des Rentenalters. Italien gehört weltweit zu den Ländern mit der höchsten Staatsverschuldung.

Der CSU-Europapolitiker Manfred Weber appellierte an die Vernunft der künftigen Regierungspartner. „Das ist ein Spiel mit dem Feuer, weil Italien hoch verschuldet ist“, sagte der Fraktionschef der Europäischen Volkspartei der Deutschen Presse-Agentur. „Irrationale oder populistische Aktionen könnten eine neue Euro-Krise hervorrufen.“ Allerdings habe eine neue Regierung in Italien „natürlich eine Chance verdient, weil wir das Wahlergebnis respektieren“.

Was sagt das Programm von Lega und Fünf Sterne?

Die beiden europakritischen Parteien einigten sich nach wochenlangem Taktieren auf ein Programm, das kostspielige Versprechen wie Steuersenkungen vorsieht. Dies dürfte aber kaum mit den Verpflichtungen in der Eurozone zu vereinbaren sein. Europakritische Passagen wurden dagegen wieder etwas entschärft.

Den kompletten Koalitionsvertrag für die „Regierung des Wandels“ veröffentlichten die Sterne auf ihrer Webseite.

Di Maio sprach von einer „Welle des Wandels“, an der nun alle Italiener teilhaben könnten. „Eine neue Ära wird beginnen.“ Lega-Chef Matteo Salvini sprach von „Tagen und Nächten voller Arbeit“. „Basta mit den Lügen der Zeitungen und des Fernsehens, hier ist die Realität“, twitterte er und veröffentlichte den Vertrag.

In ihrem Programm stehen Lega und Sterne-Bewegung für eine Außenpolitik ein, die die nationalen Interessen in den Mittelpunkt rückt und „die Interessen Italiens in Europa besser schützt“. Die Zugehörigkeit Italiens zur Nato wird bekräftigt. Gleichzeitig wird von einer Öffnung zu Russland gesprochen, das keine Bedrohung sei, sondern ein zunehmend wichtiger Wirtschaftspartner. Die Sanktionen müssten daher aufgehoben werden.

Von einem Szenario zum Euro-Austritt war in dem Koalitionspapier nichts mehr zu lesen – dies hatte in einem durchgesickerten Entwurf noch für Unruhe gesorgt. Auch am Freitag sorgte die Regierungsbildung für Bewegung an den Finanzmärkten.

Beim Punkt Staatsverschuldung und Haushaltsdefizit ist davon die Rede, die europäischen Verträge „neu zu diskutieren“. Eine neue Regierung wolle das Defizit zwar drücken, aber nicht durch eine Sparpolitik sondern durch Wirtschaftswachstum.

Italien hat eine Staatsverschuldung von mehr als 130 Prozent der Wirtschaftsleistung – so viel wie kaum ein anderes Land der Welt und weit mehr als die in der EU vorgesehenen 60 Prozent. Die Einführung von nur zwei Steuersätzen von 15 und 20 Prozent, von einem Grundeinkommen von 780 Euro im Monat und die Aufhebung der Rentenreform – alles in dem Regierungsvertrag enthalten – kosten nach Angaben von Experten rund 100 Milliarden Euro.

Bei der Migration wollen beide Parteien die Ankünfte stoppen. Die Abschiebungen von rund 500 000 „Illegalen“ habe „Priorität“. Statt für die Unterbringung der Migranten soll das Geld für Rückführungen ausgegeben werden. Zudem wollen sie die Dubliner EU-Verträge neu aushandeln, die besagen, dass Migranten dort Asyl beantragen müssen, wo sie erstmals die EU betreten haben. An Italiens Küsten kamen seit 2014 mehr als 630 000 Migranten über das Meer an. Die Stimmung im Land ist daher immer ausländerfeindlicher geworden und der Frust mit der EU immer größer, die es versäumt hat, die Migranten in ganz Europa umzuverteilen.

Die Sterne waren bei der Wahl am 4. März mit 32 Prozent stärkste Einzelkraft geworden, die Lega hatte 17 Prozent bekommen.  (dpa)

 



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