Italien vor der Kehrtwende in der Asylpolitik? Salvini wittert „Kapitulation vor Europa“

Dass Italiens Regierung dem Schiff „Ocean Viking“ mit 82 Migranten an Bord die Einfahrt nach Lampedusa gestattete, von wo aus diese nach einem vereinbarten Schlüssel weiterverteilt werden sollen, gilt als Generalprobe für eine von Italien geforderte künftige EU-Vereinbarung. Matteo Salvini warnt hingegen davor, das Land wieder zum „Flüchtlingslager Europas“ zu machen.
Titelbild
Hütten am 8. April 2014 in Berlin in einem temporären Migrantenlager am Oranienplatz in Kreuzberg. Viele der afrikanischen Zuwanderer kamen über Lampedusa nach Deutschland.Foto: Sean Gallup/Getty Images
Von 16. September 2019

Hatte die neue Linksregierung in Italien vor zwei Wochen dem sogenannten „Seenotretter“-Schiff „Alan Kurdi“ noch die Einfahrt in den Hafen von Lampedusa verweigert, hat Innenministerin Luciana Lamorgese am vergangenen Samstag (14.9.) erstmals nach 14 Monaten dem Schiff „Ocean Viking“, das 82 Migranten an Bord hatte, exakt dort einen sicheren Hafen zugewiesen.

Nun sollen die Migranten auf fünf europäische Länder verteilt werden – Deutschland und Frankreich haben zugesagt, die Hälfte der Betroffenen aufzunehmen, Italien zehn Prozent und der Rest entfällt auf Portugal und Luxemburg. Offenbar sehen die Politiker der neuen Koalition aus Sozialisten und Linkspopulisten in Rom da nunmehrige Vorgehen als eine Art Probegalopp für jenen Verteilungsschlüssel, den sie künftig auf europäischer Ebene verankern wollen.

Am 23. September werden die Innenminister der EU auf Malta zusammentreffen und wollen einen weiteren Anlauf in Richtung eines festen Verteilungsschlüssels für Migranten in der EU unternehmen. In diesem Zusammenhang hat Italien, wie mehrere italienische Medien berichtet haben, einen Automatismus vorgeschlagen, wonach das Land selbst zehn Prozent aller Geflüchteten aufzunehmen bereit sei. Deutschland und Frankreich sollen bereits Zustimmung bezüglich der Aufnahme von jeweils 25 Prozent zugesagt haben.

„Die nordafrikanischen Länder machen nicht mit“

Wenn Anfang Oktober der Ministerrat in Luxemburg tagt, soll bereits ein konsensfähiges Konzept stehen. An Deutschlands Bundesinnenminister Horst Seehofer soll dieses nicht scheitern, lässt sich einem Gespräch des Ministers mit der „Süddeutschen“ entnehmen.

Darin bekennt er sich dazu, „niemanden ertrinken lassen“ und die neue italienische Regierung „entlasten“ zu wollen. „Die Gespräche laufen noch. Aber wenn alles bleibt wie besprochen, können wir 25 Prozent der aus Seenot geretteten Menschen übernehmen, die vor Italien auftauchen“, äußert Seehofer darin. „Das wird unsere Migrationspolitik nicht überfordern.“

Zwar war es offenbar auch sein Gedanke, dass die Gefahr des Ertrinkens auch durch einen Transport zurück auf das afrikanische Festland gebannt werden könnte. Deshalb wollte er eigenen Angaben zufolge „Ausschiffungsplattformen in Nordafrika“ schaffen, auf denen gerettete Migranten bleiben könnten, bis ihr Asylverfahren abgeschlossen sei. Dies sei jedoch an der fehlenden Bereitschaft der nordafrikanischen Länder gescheitert, dieses Vorgehen zu unterstützen:

Dazu braucht es ein bis zwei Länder in Nordafrika, die das befürworten. Die gibt es nicht.“

In den letzten 12 Monaten nur 561 Bootsflüchtlinge nach Deutschland gelangt

Auf Malta wollen, so Seehofer weiter, die Gastgeber, Frankreich, Deutschland und Italien eine vorläufige Quotenregelung fixieren. „Die Erwartung ist, dass weitere Staaten sich anschließen“, fügt der Bundesinnenminister hinzu. Er weist auch darauf hin, dass die Zahl der Bootsflüchtlinge „überschaubar“ sei. In den vergangenen zwölf Monaten seien lediglich 561 Personen auf diesem Wege über Italien nach Deutschland gelangt.

Der „Focus“ schreibt zudem, Seehofer habe nach einem Telefonat mit seiner neuen italienischen Amtskollegin Luciana Lamorgese Hoffnung auf eine „gute und verlässliche Zusammenarbeit“ zum Ausdruck gebracht. Er lud sie nach eigenen Angaben für kommenden Mittwoch zu einem Besuch nach Berlin ein, in dessen Rahmen beide Minister „vorrangig die gemeinsamen Interessen und Leitlinien in der Migrationspolitik ausloten“ wollten.

Wofür Lamorgese tatsächlich steht und in welche Richtung sie die Migrationspolitik Italiens künftig steuern wird, ist weiterhin unklar. Einerseits hatte sie als Präfektin von Venedig und Mailand zu Beginn der 2010er Jahre eine „Willkommenskultur“ im Zusammenhang mit der Unterbringung von Flüchtlingen praktiziert. Andererseits hatte sie entscheidenden Anteil an mehreren Vereinbarungen des damaligen Innenministers Marco Minniti mit libyschen Stellen, die dazu führten, dass der Zustrom von Migranten über das Mittelmeer spürbar abebbte.

Vorleistung in der Hoffnung auf weichere Stabilitätskriterien?

Dem „Corriere della Sera“ zufolge arbeitet sie zusammen mit dem obersten Leiter der Polizeiorganisationen des Landes, Franco Gabrielli, an einer Revision der von ihrem Vorgänger Matteo Salvini verkündeten Sicherheitsdekrete. Vor einem Jahr beklagte sie ein „Wiedererstarken des Rassismus“ im Zusammenhang mit den Migrationsbewegungen und erklärte gegenüber „Il Fatto Quotidiano“:

Wir müssen die Flüchtlinge in unsere geregelte Welt integrieren und nicht einfach das zurückweisen, was anders ist, weil das Fremde auch eine Bereicherung für das Territorium sein kann.“

Die „Süddeutsche“ vermutet, dass Italiens neue Regierung Kompromisse in der Migrationspolitik suchen werde, um im Gegenzug von der EU Zugeständnisse in der Schuldenpolitik zu erlangen. Ein erster Anlauf dazu wäre – trifft diese Einschätzung zu – schon einmal misslungen: Erst jüngst lehnten die Euro-Finanzminister die von Italien geforderte Reform des Euro-Stabilitätspakts ab. Das Land forderte eine Lockerung der EU-Vorgaben für die Staatsverschuldung. Diese sollen 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts nicht überschreiten – Italien liegt bei 132 Prozent des BIP.

Salvini selbst hat am Wochenende im norditalienischen Pontida die „Jagdsaison“ auf die neue Regierung ausgerufen, berichtet die FAZ. Die Entscheidung der Regierung, der „Ocean Viking“ die Häfen zu öffnen, bezeichnete der Lega-Chef als „Kapitulation vor Europa“.

Die Bürgermeister des Landes, so Salvini, sollten sich der Zuteilung von Migranten widersetzen, damit Italien nicht abermals zum „Flüchtlingslager Europas“ werde.



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