Italien: Rechtsblock vor Mehrheit – Linke beschwört das Orbán-Gespenst
Am kommenden Sonntag (25.9.) sind Italiens Wähler dazu aufgerufen, ihren Senat und ihr Abgeordnetenhaus neu zu bestücken. Erforderlich wurden die Neuwahlen, nachdem die Spaltung der linkspopulistischen „Fünf Sterne“-Bewegung Premierminister Mario Draghi keine stabile Regierung mehr ermöglicht hatte.
Absolute Mehrheit in beiden Kammern möglich
Stabilität ist das, was die Spitzen des Rechtsblocks Italiens Wählern versprechen. „Giorgia, Silvio und ich stimmen in fast allem überein und wir werden für volle fünf Jahre gemeinsam gut regieren“, kündigte Lega-Chef Matteo Salvini an. Es werde „keine Witze und Veränderungen“ mit Blick auf ihr „sakrosanktes“ Wahlprogramm geben.
Die jüngsten Umfragen haben der Vorsitzenden der Fratelli d’Italia, Giorgia Meloni, einen weiteren Popularitätsschub verliehen. Der „Poll of Polls“ von „Politico“ sieht ihre Partei mittlerweile bei 25 Prozent, einzelne Umfragen sagen ihr sogar 27 Prozent voraus. Ihr Bündnispartner, die Lega unter Matteo Salvini, liege stabil bei 13 Prozent. „Forza Italia“ mit Medienmogul Silvio Berlusconi käme demnach auf sieben Prozent.
Demgegenüber käme die „Demokratische Partei“ (PD) unter Spitzenkandidat Enrico Letta nur auf 22 Prozent. Ihre kleineren Partner im Linksbündnis kämen zusammen nur auf 13 Prozent. Die „Fünf Sterne“, die 2018 noch stärkste Kraft mit mehr als 32 Prozent waren, stürzen auf den gleichen Anteil ab.
Mit Blick auf die mehrheitsbildenden Elemente im italienischen Wahlrecht sah das Cattaneo Institut das Rechtsbündnis jüngst bei 131 von 200 Sitzen im Senat. Im Abgeordnetenhaus käme es auf 258 von 400. Das Institut beziffert die Wahrscheinlichkeit für eine absolute Rechtsmehrheit in beiden Kammern auf 91,5 Prozent.
Wirtschaftskompetenz als wesentliches Kriterium
Die Gründe für die wachsende Popularität Giorgia Melonis sind vielfältig. Einer davon ist die Desillusionierung bei vielen vormaligen Mitte-Links-Wählern. Dass der als integrationsfähiger und erfahrener Manager geltende Ex-EZB-Chef Mario Draghi mit seiner Regierung scheiterte, fällt nun auf die PD insgesamt zurück.
Dem aktuellen Spitzenkandidaten Enrico Letta traut die breite Bevölkerung nicht annähernd jene Wirtschaftskompetenz zu, die man Draghi zusann. In einem Wahlkampf, der von der Energiekrise und deren Folgen dominiert wird, erweist sich dies als Handicap.
Demgegenüber hat Meloni den viermaligen Wirtschafts- und Finanzminister Giulio Tremonti mit ins Boot geholt. Er war in vier Kabinetten unter Silvio Berlusconi vertreten. Diese Personalie sorgt für einen wesentlichen Umschwung zugunsten Melonis im Norden des Landes. Gleichzeitig gehen die Meinungsforscher davon aus, dass die Lega ihre angestammten Hochburgen halten kann.
In früheren Jahren galt die Lega als eine weitgehend auf die Nordwestprovinzen des Landes beschränkte Regionalpartei. Demgegenüber galten die Vorgängerparteien der Fratelli, der neofaschistische MSI und die rechtskonservative Alleanza Nazionale als Stimmen des Südens und aus Süditalien stammender Zuwanderer im mehrheitlich deutschsprachigen Südtirol. Mittlerweile haben es beide Parteien geschafft, ihre Basis zu verbreitern und sich landesweit zu verankern.
Linke beschwören Schreckgespenst Orbán
Dass sich ein prominenter Wirtschaftspolitiker wie Tremonti im Bündnis von Meloni einfindet, verschafft dieser zwei wesentliche taktische Vorteile. Zum einen verfügt dieser in den Reihen der kleinen und mittleren Unternehmer über einen intakten Vertrauensvorschuss.
Zum anderen neutralisiert der profilierte Mitte-Rechts-Politiker erfolgreich etwaige Versuche, den Fratelli ihre postfaschistischen Wurzeln anzulasten. Diese sind mittlerweile weitgehend nur noch in deutschen Medien ein Thema – ebenso wie die guten Beziehungen Berlusconis zu Russlands Präsident Putin in der Vergangenheit.
Die Linke in Italien selbst arbeitet mit einem anderen Schreckgespenst: jenem der „Orbánisierung“ des Landes. Diese malt vor allem PD-Spitzenkandidat Letta an die Wand. Bei einer Versammlung mit 500 Bürgermeistern seiner Partei in Monza warnte Letta vor dem „illiberalen Modell“ Ungarns, das in Italien nicht Platz greifen dürfe:
Italien kann kein Land sein, das Putin und Orbán nachgibt. […] Wir wollen ein Italien im Herzen Europas, das loyal zu seinen Verbündeten ist.“
Letta wirft dem Rechtsbündnis vor, durch das Beharren auf dem Einstimmigkeitsprinzip „Europa schwächen“ zu wollen. Man brauche „mehr Europa, nicht weniger“, erklärte der Politiker, Italien dürfe nicht „zusammen mit Polen und Ungarn der EU Steine in den Weg legen“.
Brüssel muss Italien „auf Augenhöhe“ behandeln
Meloni hingegen beharrt darauf, dass sich die EU auf die „großen Aufgaben“ wie Verteidigung oder Energieautarkie beschränken solle. Eine immer übergriffigere Feinsteuerung der Innenpolitik von Mitgliedstaaten durch Brüssel lehnt sie ab. Vor allem Italien müsse von der „Achse Paris-Berlin“ wieder „auf Augenhöhe“ wahrgenommen werden.
Angesichts des jüngst vom EU-Parlament angenommenen Berichts, der Ungarn als „hybrides Regime einer Wahlautokratie“ bezeichnete, nahm Meloni Orbán in Schutz:
Orbán hat die Wahlen gewonnen – mehrfach sogar mit großem Abstand, obwohl sich der Rest des Verfassungsbogens gegen ihn zusammengeschlossen hatte. Das ist ein demokratisches System.“
Auch Lega-Chef Salvini solidarisierte sich mit dem ungarischen Regierungschef in Anbetracht der Angriffe von links. Silvio Berlusconi erklärte, Orbán müsse als demokratisch gewählter Regierungschef respektiert werden. Seine Politik sei jedoch „weit von unserer entfernt, ebenso wie seine Vision von Europa“. Berlusconi wolle „Allianzen mit großen, befreundeten Staaten in Europa“ schließen.
Meloni würde vollständiges Aus für russische Gaslieferungen in Kauf nehmen
An der Unterstützung der Ukraine im Zusammenspiel mit den USA und der EU wolle die mögliche künftige Premierministerin jedoch festhalten. Dies verbindet sie auch beispielsweise mit den rechten Schwedendemokraten, die jüngst in Schweden einen Wahlerfolg feiern konnten und nun über eine Regierungsbildung verhandeln.
Anders als die schwedische Rechte hat jene in Italien in ihrer Politik gegenüber Russland einen größeren Handlungsspielraum. Italiens Bevölkerung gilt – neben jener Ungarns und der Slowakei – als die am stärksten prorussisch ausgerichtete in Europa.
Es ist deshalb wenig wahrscheinlich, dass ein Rechtsbündnis in Italien Sanktionen gegen Russland befürworten würde, die vor allem zu Belastungen für die eigene Bevölkerung führen würden. Eine Forderung Melonis ist jedoch auf einen EU-weiten Preisdeckel für russisches Gas gerichtet. Sollte dieser beschlossen werden, wird der Kreml eigenen Ankündigungen zufolge jegliche weiteren Lieferungen einstellen.
Mit Blick auf die Mittel aus dem Corona-Fonds der EU fordert Meloni die Entkopplung ihrer Verwendung von den Vorgaben des „Green Deal“. Mit Blick auf die Energiekrise will sie die Bestimmung der etwa 191 Milliarden Euro, die Italien zukommen sollen, nachverhandeln. Letta lehnt dies ab, er sprach sich für eine „staatliche Verwaltung der Energiepreise“ aus, auch wenn dafür eine weitere Neuverschuldung in Kauf genommen werden müsse. Meloni warnt demgegenüber vor einer weiteren Schuldenlast für künftige Generationen.
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