Israels Gilad-Shalit-Deal

Titelbild
Gilad Shalit mit seiner Mutter Aviva vor ihrem Haus am 19. Oktober 2011 in Mitzpe Hila in Israel.Foto: Uriel Sinai/Getty Images
Von 9. November 2011

Als Gilad Shalit im Juni 2006 bei einem grenzverletzenden Überfall verschleppt wurde, war ihm oder seinen Entführern sicher nicht bewusst, dass eine fünfjährige Verhandlungszeit vor ihnen liegen würde.

Nicht in ihren kühnsten Träumen hätten sie damit gerechnet, im Gegenzug für Shalits Freilassung 1000 palästinensische Gefangenen zurückzubekommen, von denen einige wegen mehrfachen Mordes verurteilt waren.

Aushängeschild

Aber Shalit wurde unabsichtlich für beide Seiten zum Aushängeschild. Für die Israelis war die Kampagne zur Befreiung Shalits die Verkörperung ihrer Politik „keinen Mann zurücklassen“. Ein Leitsatz, der ein wesentlicher Teil des nationalen Geistes und auch der militärischen Streitkräfte ist.

Seine Gefangenschaft lieferte auch einen seltenen Prüfstein für die israelische Regierung. Er war ein Fall für das Völkerrecht und der internationalen Beurteilung, bei der sie unbestreitbar im Recht war.

Für die Hamas war die anfängliche Entführung und die darauffolgende Geheimhaltung von Shalits Aufenthaltsort ein Beweis für die eigene Stärke und machte das allmächtige Image der IDF (Israel Defense Forces) und des Mossad zunichte.

Und natürlich war der glücklose Unteroffizier auch ein unglaublich wertvolles Druckmittel. Nicht nur gegenüber den Israelis, sondern auch bei denjenigen in der Fatah, die mit dem Feind Kompromisse eingehen wollten.

Aber ein gutes Blatt auf der Hand ist wertlos, wenn man die Trümpfe nicht nach Hause bringt. Und für die Hamas wurde Shalit plötzlich zu einer Belastung. Seine Gefangenschaft wurde zu einem unlösbaren Hindernis für einen langfristigen Frieden. Für die Israelis lieferte die Situation ein hervorragendes Beispiel für das scheinbar geringe Interesse der Hamas an Verhandlungen und den Menschenrechten.

Als aber auf diplomatischer Ebene die Aktien der Fatah durch ihr Anerkennungsersuchen bei der UNO stiegen, benötigte die Hamas etwas, um zu zeigen, dass mit ihr zu reden Sinn macht.

Ein Propagandasieg

Die Freilassung von Shalit und die im Gegenzug freigegebenen 1000 Gefangenen wurden zu einem Propagandasieg der Hamas. Damit verdrängten sie die Fatah ein wenig aus dem Rampenlicht. Das war gleichermaßen ein Vorteil für die Hamas und die Israelis.

Doch in Wahrheit stand dieser Deal schon lange zur Verhandlung.

Die größte Streitfrage war schon immer die Freilassung einer bestimmten Gruppe von fünf Gefangen mit hohem Status und wo diese danach leben würden.

Mit dem Einfluss der jetzt frei lebenden Ägypter (und den Syrern, die sich zurzeit um die eigenen Belange kümmern müssen) wurden diese letzten Probleme gelöst, noch während Mahmoud Abbas auf dem Podium der UN stand.

Genau wie bei einem guten Witz, geht es auch bei der Politik im Mittleren Osten um das richtige Timing.

Moralische Dilemmas

Das moralische Dilemma für die Israelis ist riesengroß.

Ist die Freilassung eines einzigen Mannes wirklich die Amnestie so vieler Feinde des jüdischen Staates wert? Darf die Freude von Shalits Eltern auf Kosten anderer erkauft werden? Auf Kosten derer, die die Mörder ihrer Kinder einem heroischen Willkommensgruß entgegengehen sehen? Was, wenn die Befreiten weitere Gewalttaten begehen?

Und was ist mit dem alten Vorsatz, nicht mit Terroristen zu verhandeln? Wurde hier möglicherweise ein Marktpreis festgesetzt, der zu weiteren Entführungen anstiftet?
Die politischen Dilemmas sind nicht minder bedeutend.
Genau wie jeder andere Premierminister im pluralistischen israelischen System ist Netanyahu bei den Regierungsgeschäften vom Wohlwollen einer Gruppe von unliebsamen Koalitionspartnern abhängig.
Die Mitglieder des Kabinetts der Hardcore-Zionisten, wie der Außenminister Avigdor Lieberman, haben bereits ihr Missfallen an dem Deal ausgedrückt, indem sie gegen ihn gestimmt haben.

Netanyahu wandelt dabei auf einem schmalen Pfad zwischen Umwerben der Gemäßigten für eine Zustimmung und der gleichzeitigen Entfremdung von Minderheitsgruppen, die trotz ihrer Größe eine entscheidende Rolle in der Koalition spielen.

Eine symbolische Geste

Natürlich darf man den Menschen Shalit nicht mit einem politischen Gegenstand verwechseln. Er ist zweifellos seit fünf Jahren jeden Morgen mit der Angst aufgewacht, er könnte unter einer Flagge der Hamas enthauptet werden.

Dass es anders kam, ist das glückliche Ergebnis einer kleinen, aber symbolischen Episode im Friedensprozess zwischen Israel und Palästina.

Jetzt haben die betroffenen Parteien wieder mit den Grenzen von 1967 zu tun, mit umstrittenen Siedlungsplänen und dem Recht der palästinensischen Flüchtlinge, zurückzukehren.

Mat Hardy ist Dozent für Studien des Mittleren Osten an der Deakin University in Australien.

Artikel auf Englisch: The Politics of the Gilad Shalit Deal

 

 



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