Israel kündigt neue Kriegsphase an: Die Hisbollah zum Rückzug zwingen
Nach den Explosionen elektronischer Kommunikationsgeräte im Libanon mit Dutzenden Toten und Tausenden Verletzten hat Israel ein verschärftes Vorgehen gegen die Hisbollah-Miliz in dem nördlichen Nachbarland signalisiert.
Während Israel weiter gegen die mit der Hisbollah verbündete Hamas im Gazastreifen kämpft, kündigte Verteidigungsminister Joav Galant nun eine „neue Phase“ des Kriegs an.
„Der Schwerpunkt verlagert sich nach Norden“, sagte Galant nach Angaben seines Büros. An der dortigen Grenze kommt es seit fast einem Jahr täglich zu Übergriffen der militanten Hisbollah. Israel will durch militärischen und diplomatischen Druck erreichen, dass sich die Hisbollah wieder hinter den 30 Kilometer von der Grenze entfernten Litani-Fluss zurückzieht – so wie es eine UN-Resolution vorsieht.
Angesichts der Lage plant der UN-Sicherheitsrat um 21:00 Uhr MESZ eine Dringlichkeitssitzung.
Die Hisbollah ist eine schiitisch-islamistische Organisation im Libanon, die sowohl als politische Partei als auch als bewaffnete Miliz agiert. Gegründet 1982 während des libanesischen Bürgerkriegs als antiisraelische Miliz kontrolliert sie weite Teile des Libanon sowohl militärisch als auch politisch. Von vielen Ländern, darunter Deutschland, wird sie als Terrororganisation eingestuft. Ihr Ziel ist die Vernichtung des Staates Israel.
Fachleute: Israel will Hisbollah zum Rückzug zwingen
Technisch derart anspruchsvolle Angriffe wie mit den Funkgeräten entsprechen der Handschrift von Israels Geheimdiensten, die mehrfach ähnlich komplexe Attacken durchgeführt haben, um ranghohe Feinde zu töten.
Ehemalige israelische Militärs sagten dem „Wall Street Journal“, das Vorgehen ziele wahrscheinlich darauf ab, die Hisbollah zu zwingen, ihre grenzüberschreitenden Angriffe einzustellen.
„Der Zweck einer solchen Operation war nicht, eine Eskalation herbeizuführen, sondern eine Einigung zu erzielen, die es den Menschen ermöglicht, in ihre Häuser zurückzukehren“, sagte Yossi Kuperwasser, ehemaliger Leiter der Forschungsabteilung des israelischen Militärgeheimdienstes, der US-Zeitung.
Seit Monaten greift die Hisbollah den Norden Israels Nahezug täglich an. Zehntausende Bewohner auf beiden Seiten der Landesgrenze mussten ihre Wohnorte verlassen.
Der Angriff im Libanon signalisiere der Hisbollah, dass Israel sich nicht auf den seit Beginn des Gaza-Krieges andauernden Schlagabtausch entlang der nördlichen Landesgrenze beschränken werde, zitierte das „Wall Street Journal“ Amos Yadlin, ehemals Leiter des israelischen Militärgeheimdienstes. Die mit dem Iran verbündete Schiiten-Miliz müsse verstehen, dass „Israel die Spielregeln ändern kann“, sagte er.
Die mit der Terrororganisation Hamas verbündete libanesische Miliz will die Angriffe gegen Israel erst bei Erreichen einer Waffenruhe in Gaza einstellen. Beide Islamistenorganisationen gehören zu Irans „Achse des Widerstands“ – einer Allianz gegen den Israel, welches zum Feind erklärt wurde.
Israels Verteidigungsminister: Anfang neuer Kriegsphase
„Wir stehen am Anfang einer neuen Phase des Kriegs – sie erfordert Mut, Entschlossenheit und Durchhaltevermögen unsererseits“, sagte der israelische Verteidigungsminister Galant.
Bei einem Besuch eines Luftwaffenstützpunkts erinnerte er an das kürzlich festgelegte Kriegsziel der Regierung: die Rückkehr Zehntausender geflüchteter israelischer Bürger in das nördliche Grenzgebiet.
Auch Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu bekräftigte dieses Versprechen in einer Videoansprache. „Wir stellen Kräfte, Ressourcen und Energie für den nördlichen Bereich bereit“, sagte Galant nach Angaben seines Büros weiter.
Israels Generalstabschef Herzi Halevi zufolge ist die Armee bereit, alles Nötige zu tun, um die Bedingungen für eine Rückkehr der israelischen Bewohner in ihre Häuser im Norden zu schaffen: „Wir haben noch viele Fähigkeiten, die wir bislang noch nicht eingesetzt haben.“
Fachleute schätzen die Angriffe auf die Kommunikationsgeräte vieler Hisbollah-Mitglieder als herben Schlag für die Schiiten-Miliz ein, der auch ihren Kampfgeist schwächen dürfte. Einige ihrer wichtigsten Kommunikationsmittel sind jetzt gestört oder nicht mehr brauchbar.
Das „Wall Street Journal“ zitierte mit der Angelegenheit vertraute Personen, nach deren Aussagen die Führung der Miliz nicht dazu neige, einen umfassenden Krieg mit Israel auszulösen. Die Hisbollah-Spitze glaube nicht, dass eine israelische Bodeninvasion unmittelbar bevorstehe – erwarte aber, dass es zu weiteren Angriffen mit großer Wirkung kommen werde.
Mehr als 3.000 Verletzte im Libanon
UN-Generalsekretär António Guterres sieht die „ernsthafte Gefahr einer dramatischen Eskalation“ in Nahost. „Die Logik hinter der Explosion all dieser Geräte besteht natürlich darin, dies als Präventivschlag vor einer größeren Militäroperation zu tun“, sagte Guterres bei einer Pressekonferenz in New York.
Während Guterres sprach, trafen die Nachrichten von einer zweiten Explosionswelle ein. Dabei wurden nach Behördenangaben am Mittwochnachmittag Walkie-Talkies ins Visier genommen, wobei 20 Menschen getötet und mehr als 450 weitere verletzt wurden. Wie am Vortag waren wieder Mitglieder der Hisbollah das Ziel, so libanesische Sicherheitskreise.
Bereits am Dienstag waren an mehreren Orten im Libanon gleichzeitig Hunderte Funkgeräte, kurz Pager genannt, explodiert. Dabei wurden rund 2.800 Menschen verletzt, mindestens zwölf starben.
Rettungsdienste aus dem Iran, der eng mit der Hisbollah im Libanon verbunden ist, wollen rund 100 Verletzte ausfliegen. Die meisten hätten Verletzungen an Händen und Augen, sagte der Leiter der Roter-Halbmond-Gesellschaft, Pirhussein Koliwand.
Die Hisbollah machte Israel für die Explosionen verantwortlich und schwor Vergeltung. Die israelische Seite äußerte sich selbst nicht zu den beiden Explosionswellen.
UN fordert Rückzug Israels
Mit einer deutlichen Mehrheit von 124 Stimmen forderte unterdessen die UN-Vollversammlung den Rückzug Israels aus besetzten Palästinensergebieten innerhalb eines Jahres.
43 Staaten – darunter Deutschland – enthielten sich bei der Abstimmung über eine entsprechende Resolution im größten UN-Gremium mit 193 Mitgliedsstaaten. Israel selbst sowie die Vereinigten Staaten stimmten zusammen mit zwölf weiteren Ländern gegen die Beschlussvorlage, deren Annahme keine völkerrechtlich bindenden Folgen hat. Einige Staaten stimmten nicht ab.
Die Resolution soll ein Rechtsgutachten des obersten UN-Gerichts zum Nahost-Konflikt durchsetzen. Der Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag hatte im Juli in dem Rechtsgutachten festgestellt, dass die Besetzung der palästinensischen Gebiete illegal sei und so schnell wie möglich beendet werden müsse. (dpa/red)
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