Israel zieht rote Linie und droht neuem Hamas-Chef Sinwar mit dem Tod
Israel hat dem neuen Chef der islamistischen Palästinenserorganisation Hamas, Jahja Sinwar, mit dem Tod gedroht. Israels Armeechef Herzi Halevi kündigte am Mittwoch an, Israel werde den Nachfolger des im Iran getöteten Ismail Hanija finden und ihn eliminieren.
Es sehe immer mehr danach aus, dass die Hisbollah Israel in den kommenden Tagen angreifen könnte, unabhängig von den Absichten des Irans, zitierte der US-Fernsehsender CNN in der Nacht zwei mit Geheimdienstinformationen vertraute Quellen.
USA: Iran wisse um die Gefahren eines Angriffs
Nach Meinung eines Kommentators der „Washington Post“ könnten die intensiven diplomatischen Bemühungen jedoch inzwischen auch eine gewisse Wirkung zeigen. Zwar sei das Risiko eines iranischen Angriffs nach wie vor hoch. Doch Beamte des Weißen Hauses hätten der Zeitung erklärt, dass sich die Bemühungen allmählich auszahlten und die Möglichkeit bestehe, dass der Iran seine Haltung überdenkt.
Dazu habe auch die militärische Drohkulisse mit der Verlegung zusätzlicher US-Kriegsschiffe und Kampfflugzeuge in die Region beigetragen.
Der Iran wisse genau, dass die USA ihre Interessen und Partner unnachgiebig verteidigen würden, wurde ein ranghoher US-Regierungsbeamter von der Zeitung zitiert. Auch sei dem Iran deutlich gemacht worden, dass eine größere Eskalation schwerwiegende Folgen für die Stabilität der neuen Regierung von Präsident Peseschkian nach sich ziehen würde.
Israel zieht rote Linie
Die israelische Regierung habe dem Verbündeten USA mitgeteilt, dass das israelische Militär „überproportional“ reagieren würde, sollte die Hisbollah aus Rache israelische Zivilisten angreifen, berichtete der israelische Journalist Barak Ravid beim US-Nachrichtenportal „Axios“ unter Berufung auf zwei namentlich nicht genannte israelische Beamte.
Dies sei der Versuch, eine Linie zu definieren, welches Vorgehen Israel dazu zwingen würde, den seit Monaten andauernden Konflikt mit der Hisbollah zu eskalieren und einen Krieg zu riskieren.
„Wir werden unseren Feinden, denen, die uns angreifen, denen, die in jeder Rede davon sprechen, wie sie den Staat Israel zerstören werden, eine sehr klare Botschaft senden“, warnte der israelische Generalstabschef Herzi Halevi beim Besuch eines Luftwaffenstützpunkts.
Medienberichten zufolge richtet sich der israelische Fokus vor allem auf die mit dem Iran verbündete Hisbollah-Miliz im Libanon. Dort bereiten sich Krankenhäuser nach offiziellen Angaben bereits auf den Ernstfall vor.
„So wie die Dinge stehen, könnte (Hisbollah-Chef Hassan) Nasrallah den Libanon dazu bringen, einen sehr hohen Preis zu zahlen. Sie können sich gar nicht vorstellen, was passieren könnte“, sagte Israels Verteidigungsminister Joav Galant der „Times of Israel“ zufolge bei einem Truppenbesuch.
Sinwar schnell finden
In einer Erklärung Halevis hieß es mit Blick auf Sinwar: „Wir werden unsere Anstrengungen verstärken, um ihn zu finden, ihn anzugreifen und sie (die Hamas-Führung) dazu zwingen, den Leiter des politischen Büros“ der Hamas ein weiteres Mal zu ersetzen.
Zuvor hatte sich Israels Außenminister Israel Katz bereits ähnlich geäußert: Die Ernennung von Sinwar zum Nachfolger von Hanija als Hamas-Chef sei „ein weiterer zwingender Grund, ihn schnell zu eliminieren“. Diese „abscheuliche Organisation“, an deren Spitze Sinwar nun stehe, müsse von der Landkarte verschwinden.
Die Hamas hatte Sinwar am Dienstag, rund eine Woche nach der Tötung ihres Politbüro-Chefs Haniyeh in Teheran, zu dessen Nachfolger ernannt. War die Führung der Hamas bislang auf einen Chef für den Gazastreifen und einen außerhalb des Küstengebiets aufgeteilt, ist die Macht nun in Sinwars Händen gebündelt.
Sinwar gilt als Drahtzieher des Großangriffs der Hamas auf Israel am 7. Oktober, was ihn zu einem der meistgesuchten Terroristen macht. Seitdem ist er nicht mehr öffentlich aufgetreten und wird im Tunnelsystem unter dem Gazastreifen vermutet.
Die Hamas soll auch einen neuen Verhandlungsleiter für die Gespräche über eine Waffenruhe im Gazastreifen ernannt haben. Khalil al-Haya werde die Gruppe bei den indirekten Verhandlungen vertreten und dabei den Weisungen ihres neuen Anführers Jihia al-Sinwar unterstehen, berichtete der saudi-arabische Fernsehsender „Al Hadath“.
Sinwar ist für seine radikale Haltung bekannt. Er vertritt die Ansicht, dass Israel kein Existenzrecht hat und sucht in Konfliktsituationen den Ausweg in der Gewalt. In internen Botschaften zeigt er eine „kalte Missachtung von Menschenleben“ und geht davon aus, dass Israel durch den Krieg mehr zu verlieren habe als die Hamas.
Netanjahu ist siegessicher
Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu äußerte sich in Tel Aviv vor neuen Rekruten siegessicher. „Ich weiß, dass die Bürger Israels besorgt sind, und ich bitte Sie: Zeigen Sie Geduld und Besonnenheit. Wir sind sowohl defensiv als auch offensiv vorbereitet. Wir schlagen unsere Feinde und sind entschlossen, uns zu verteidigen“, versicherte er. Israel steuere auf einen Sieg zu.
Sinwars Vorgänger Haniyeh war in der Nacht zum vergangenen Mittwoch in Teheran getötet worden – im Iran und in einer hoch geschützten Residenz. Die Hamas und der Iran machten Israel verantwortlich, Irans geistlicher Führer Ayatollah Ali Chamenei drohte mit einer „Bestrafung“. Israel hat die Tötung von Haniyeh nicht weiter kommentiert.
Wenige Stunden zuvor hatte Israel Fuad Schukr, den ranghöchsten Kommandeur der von Teheran unterstützten Hisbollah-Miliz, im Libanon getötet. Deren Chef Hassan Nasrallah drohte ebenfalls mit Vergeltung.
Iran und Israel – Erzfeinde
Vor fast fünf Monaten hatte der Iran Israel erstmals direkt von seinem Staatsgebiet aus mit mehr als 300 Raketen und Drohnen attackiert. Teheran spricht Israel seit der islamischen Revolution im Jahr 1979 das Existenzrecht ab und unterstützt verschiedene verbündete Milizen, darunter die Hamas im Gazastreifen, die Hisbollah im Libanon, die Huthis im Jemen und Gruppierungen im Irak und Syrien.
Mit einem erneuten Angriff des Iran und seiner Verbündeten wird nun seit Tagen gerechnet. International laufen die diplomatischen Bemühungen um eine Deeskalation auf Hochtouren.
Macron telefoniert mit dem iranischen Präsidenten
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron forderte seinen iranischen Amtskollegen am Mittwoch in einem Telefonat auf, „alles zu tun, um eine neue militärische Eskalation“ zu vermeiden.
Dies wäre „in niemandes Interesse, auch nicht im Interesse des Irans, und würde der Stabilität der Region nachhaltig schaden“, sagte Macron laut seinem Büro zu Massud Peseschkian. Der Iran müsse zudem die „destabilisierenden Akteure, die er unterstützt, zur größten Zurückhaltung aufrufen, um einen Flächenbrand zu vermeiden“, sagte Macron.
Der französische Präsident rief seinen iranischen Kollegen dazu auf, einen „Zyklus der Vergeltung“ zu vermeiden – eine Forderung, die er nach Angaben aus Paris später auch in einem Telefonat gegenüber Israels Regierungschef Netanjahu wiederholte.
Der iranische Präsident Peseschkian forderte unterdessen ein Ende der westlichen Unterstützung für Israel.
„Wenn die USA und die westlichen Länder Krieg und Unsicherheit in der Region verhindern wollen, sollten sie sofort aufhören, Waffen zu verkaufen und das zionistische Regime zu unterstützen“, sagte Peseschkian in dem Telefonat mit Macron laut seiner Website.
USA zuversichtlich über künftige Waffenruhe
Der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats der USA, John Kirby, zeigte sich indes mit Blick auf eine Waffenruhe und eine Freilassung der von der Hamas festgehaltenen Geiseln trotz der derzeitigen Zuspitzung des Konflikts zuversichtlich. Eine Einigung sei „so nahe wie nie zuvor“, erklärte er am Mittwoch. Die USA seien nach wie vor um „intensive Diplomatie“ bemüht, um eine Eskalation zu vermeiden.
Ägypten hat unterdessen seinen Fluggesellschaften Flüge über der iranischen Hauptstadt Teheran am frühen Donnerstagmorgen untersagt. „Alle ägyptischen Fluggesellschaften sollten Flüge über Teheran vermeiden“, hieß es in einem Sicherheitshinweis der zivilen Luftfahrtbehörde in Kairo.
Pläne für Flüge über dieses Gebiet würden abgelehnt. Die Anweisung galt ab 3 Uhr nachts (MESZ) für drei Stunden. Die Luftfahrtbehörde verwies auf eine Warnung der iranischen Behörden, nach der etwa zur selben Zeit im Land Militärübungen geplant seien.
Zuvor hatte Jordanien bereits einen Hinweis an Fluggesellschaften erteilt, Maschinen im Luftraum des an Israel grenzenden Königreichs auf einen möglichen Angriff des Irans vorzubereiten. Alle ankommenden Maschinen sollten vorab mit Treibstoff für 45 zusätzliche Minuten Flug betankt werden, hieß es.
Die Informationsstelle des internationalen Flughafens in Teheran bezeichnete die Lage im iranischen Luftraum unterdessen als normal. Nur einige Fluggesellschaften wie die Lufthansa und Austrian Airlines haben ihren Flugbetrieb nach Teheran wegen eines möglichen Militärkonflikts mit Israel vorerst eingestellt. Turkish Airlines stoppte zumindest seine Nachtflüge.
(afp/dpa/red)
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