Israel billigt Vergeltungsschlag gegen Hisbollah
Das israelische Sicherheitskabinett ermächtigte nach mehr als vierstündigen Beratungen Regierungschef Benjamin Netanjahu und Verteidigungsminister Joav Galant, „über die Art und Weise und den Zeitpunkt des Vorgehens gegen die Terrororganisation Hisbollah zu entscheiden“, teilte das Büro des Ministerpräsidenten am Abend mit. Netanjahu hatte der proiranischen Miliz zuvor gedroht, sie werde einen „hohen Preis“ bezahlen.
Während sich die Hisbollah nach eigenen Angaben auf einen möglicherweise schweren Angriff Israels einrichtet, verschob die libanesische Fluggesellschaft Middle East Airlines am Abend die Rückkehr einiger ihrer Flüge, wie das „Wall Street Journal“ berichtete.
US-Beamte hätten sich an ihre Kollegen in Israel und im Libanon gewandt sowie Botschaften mit dem Iran ausgetauscht, um zu versuchen, die Situation zu deeskalieren, zitierte die US-Zeitung mit der Angelegenheit vertraute arabische und europäische Beamte. Alle Seiten hätten angedeutet, dass sie nicht an einer Ausweitung des Konflikts interessiert seien, hieß es.
Berichte über israelische Luftangriffe im Libanon
In Israel wurden unterdessen am Abend libanesische Medien zitiert, wonach es im Süden des Libanons Luftangriffe gab. Unter anderem aus Hula habe es in der Nacht palästinensische Berichte über schwere Angriffe gegeben. Das Gebiet sei schon in den vergangenen Monaten mehrfach von Israels Luftwaffe ins Visier genommen worden.
Ob es sich um die erwartete Reaktion Israels auf den Raketenangriff auf dem Golan handelte, war zunächst jedoch unklar. Vonseiten des israelischen Militärs gab es in der Nacht zunächst keine Angaben zu erneuten Angriffen im Libanon. Israels Militär hatte nach dem Raketenangriff auf den Golanhöhen bereits in der Nacht zum Sonntag mehrere Ziele im benachbarten Libanon angegriffen.
Falak-Rakete der Hisbollah
Israel und die USA machen die mit dem Iran verbündete Schiitenmiliz Hisbollah für den Angriff vom Samstag in der drusischen Ortschaft Madschdal Schams verantwortlich, bei dem mindestens zwölf Menschen im Alter von 10 bis 20 Jahren ums Leben gekommen waren.
„Dieser Angriff wurde von der libanesischen Hisbollah verübt. Es war eine Rakete der Hisbollah, die aus einem von ihr kontrollierten Gebiet abgefeuert wurde“, sagte Adrienne Watson, Sprecherin des Nationalen Sicherheitsrats der USA. Der Angriff müsse überall verurteilt werden. UN-Vertreter riefen beide Seiten zu „größtmöglicher Zurückhaltung“ auf.
Die Hisbollah teilte in einer Erklärung mit, sie habe mit dem Angriff nichts zu tun. Laut dem US-Nachrichtenportal „Axios“ soll die Miliz den Vereinten Nationen erklärt haben, dass eine israelische Abwehrrakete die Explosion verursacht habe.
Auch der Iran machte Israel selbst für den Angriff in Madschdal Schams verantwortlich. Israels Generalstabschef Herzi Halevi sagte dagegen am Ort des Einschlags, es handele sich um eine Falak-Rakete der Hisbollah.
„Wer eine solche Rakete auf ein Wohngebiet schießt, will Zivilisten töten, will Kinder töten“, sagte Halevi. Die Golanhöhen sind ein strategisch wichtiges Felsplateau. Im Sechstagekrieg 1967 wurde das Gebiet von Israel erobert und 1981 annektiert. Dies wurde international aber nicht anerkannt.
Weißes Haus, Harris, Macron
Das Weiße Haus machte die Hisbollah für den Angriff verantwortlich. Die Sprecherin des Nationalen Sicherheitsrates Adrienne Watson erklärte mit Blick auf die islamistische Miliz im Libanon, es handele sich um „ihre Rakete, die aus einem Gebiet abgefeuert wurde, das sie kontrollieren“.
Watson forderte eine allgemeine Verurteilung des „schrecklichen“ Angriffs und erklärte, die USA würden seit dem Vorfall „kontinuierlich Gespräche mit israelischen und libanesischen Partnern“ führen.
Auch die US-Vizepräsidentin und voraussichtliche Präsidentschaftskandidatin der Demokraten Kamala Harris verurteilte den Angriff. Harris „wurde informiert und verfolgt den schrecklichen Angriff der Hisbollah auf ein Fußballfeld in Madschdal Schams genau“, schrieb der Berater im Nationalen Sicherheitsrat, Phil Gordon, bei X. Harris trauere „um alle Getöteten und Verletzten“.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron bemühte sich indes um Deeskalation und telefonierte am Sonntag mit dem israelischen Regierungschef Benjamin Netanjahu. Frankreich habe sich verpflichtet, „alles zu tun, um eine weitere Eskalation in der Region zu verhindern“, sagte Macron nach Angaben des Elysée-Palastes in dem Gespräch. Macron habe zudem versprochen, „Botschaften an alle Konfliktparteien“ zu übermitteln, hieß es weiter.
Die US-Regierung stehe seit dem Angriff mit der israelischen und der libanesischen Seite in Kontakt, sagte die Sprecherin des Nationalen Sicherheitsrats. Die Unterstützung der USA für Israels Sicherheit sei eisern und unumstößlich, hieß es.
USA: Arbeiten an diplomatischer Lösung
Man arbeite zugleich an einer „diplomatischen Lösung entlang der Blauen Linie“, die alle Angriffe ein für alle Mal beenden und den Bürgern auf beiden Seiten der Grenze die sichere Rückkehr nach Hause ermöglichen werde, hieß es.
Bei der Blauen Linie handelt es sich um die von den Vereinten Nationen gezogene Demarkationslinie an der Grenze zwischen den beiden Ländern. Mit Ende des zweiten Libanon-Krieges 2006 war eine Pufferzone im Süden des Libanons eingerichtet worden. Diese wird derzeit von der Hisbollah ignoriert.
Seit Beginn des Gaza-Kriegs im vergangenen Oktober liefern sich die Hisbollah und Israels Armee nahezu täglich Gefechte. Die vom Iran unterstützte Miliz handelt aus Solidarität mit der islamistischen Hamas im Gazastreifen.
Der Raketenangriff auf dem Golan erfolgte zu einem kritischen Zeitpunkt für die Bemühungen um eine Waffenruhe im Gaza-Krieg. Eine Eskalation zwischen Israel und der Hisbollah könnte die seit Monaten schleppenden indirekten Verhandlungen zwischen Israel und der Hamas, bei denen Katar, Ägypten und die USA als Vermittler fungieren, wieder unterbrechen.
Israels Chefunterhändler David Barnea war erst am Wochenende nach einer jüngsten Verhandlungsrunde in Rom nach Israel zurückgekehrt. Die Gespräche würden in den kommenden Tagen fortgesetzt, teilte das Ministerpräsidentenamt ohne Einzelheiten mit.
Erdogan und Israel drohen sich gegenseitig
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan drohte Israel unterdessen mit militärischer Einmischung. „So wie wir in Berg-Karabach reingegangen sind, so wie wir in Libyen reingegangen sind, werden wir mit ihnen dasselbe tun“, sagte er auf einer Veranstaltung seiner Regierungspartei AKP in Rize am Schwarzen Meer mit Blick auf Israel.
Erdogan bezog sich dabei auf den Berg-Karabach-Konflikt, wo Erdogan die Konfliktpartei Aserbaidschan unter anderem mit Drohnen unterstützte. Im Bürgerkriegsland Libyen unterstützt Ankara die international anerkannte Regierung mit militärischer Ausstattung und Personal.
Der israelische Außenminister Israel Katz warnte daraufhin den türkischen Präsidenten: „Erdogan tritt in die Fußstapfen von Saddam Hussein und droht mit einem Angriff auf Israel. Er soll sich nur daran erinnern, was dort geschah und wie es endete“, schrieb Katz am späten Abend auf der Plattform X.
Im Jahr 2003 waren US-Truppen in den Irak einmarschiert. Der Militäreinsatz führte zum Sturz des damaligen irakischen Diktators Saddam Hussein. Drei Jahre später wurde Hussein wegen Massakern an Kurden und Schiiten hingerichtet.
Seit Beginn des Gaza-Kriegs haben sich die Beziehungen zwischen Israel und der Türkei drastisch verschlechtert. Erdogan nannte die Hamas eine „Befreiungsorganisation“ und verglich Israels Regierungschef Netanjahu mit Adolf Hitler.
Mitte Juli erklärte Erdogan, sein Land wolle Kooperationen zwischen der NATO und dem Partner Israel künftig nicht mehr zustimmen, bis in den palästinensischen Gebieten nachhaltiger Frieden geschaffen werde. (dpa/red)
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