Israels Verteidigungsminister: „Hamas als militärische Formation existiert nicht mehr“
Die radikalislamische Hamas besteht nach Worten des israelischen Verteidigungsminister Joav Gallant nicht mehr als „militärische Formation“ im Gazastreifen. „Hamas als militärische Formation existiert nicht mehr“, sagte Gallant am Dienstag vor Journalisten.
„Die Hamas führt einen Guerrillakrieg und wir bekämpfen immer noch Hamas-Terroristen und verfolgen die Hamas-Führung.“
Überdies forderte Gallant den Abschluss eines Waffenstillstandsabkommens, das die Freilassung der Hamas-Geiseln ermöglichen würde. Die Geiseln nach Hause zu bringen sei „der richtige Weg“, sagte Gallant weiter. „Eine Einigung ist auch eine strategische Chance, die uns die Möglichkeit gibt, die Sicherheitslage an allen Fronten zu verändern“, fuhr er fort
Im Visier: Chef der Hamas-Luftsysteme und andere
In der Nacht hat die israelische Luftwaffe eine in der humanitären Zone Al-Mawasi im Gazastreifen untergebrachte Kommandozentrale der islamistischen Hamas angegriffen.
Bei dem Beschuss eines Kommando- und Kontrollzentrums der Hamas seien ranghohe Terroristen der radikalislamischen Palästinenserorganisation getroffen worden, erklärte die Armee in der Nacht zu Dienstag. Diese hätte „von einem Kommando- und Kontrollzentrum mitten in der humanitären Zone in Chan Junis operiert“.
Ziel des Angriffs sei unter anderem der Chef der Hamas-Luftsysteme im Gazastreifen gewesen, so die Darstellung der Armee. Als weitere Ziele wurden der Leiter einer Hamas-Spähabteilung sowie ein weiteres ranghohes Mitglied der islamistischen Terrororganisation ohne Angaben zu dessen genauer Aufgabe genannt.
„Diese Terroristen waren direkt an dem Massaker am 7. Oktober beteiligt und waren in letzter Zeit dabei, Terroraktivitäten gegen die israelische Armee und den Staat Israel auszuführen“, hieß es weiter in der Mitteilung. Intensive Geheimdienstbeobachtungen und Luftüberwachung in den Stunden vor dem Angriff hätten „die Anwesenheit der Terroristen in dem Gebiet zusammen mit anderen Terror-Aktivisten bestätigt“.
Laut dem israelischen Militär wurden vor dem Angriff mit Präzisionsmunition zahlreiche Maßnahmen ergriffen, um das Risiko zu verringern, dass Zivilisten zu Schaden kommen.
Menschliche Schutzschilde für Terroristen
Die von der Zivilverteidigung genannte Opferzahlen stimmten nicht mit den Informationen der Armee, den eingesetzten präzisen Waffen und der Genauigkeit des Angriffs überein, teilte Hagari ferner mit. Die Hamas missbrauche Zivilisten weiterhin als Schutzschilde und verstecke Kämpfer sowie Infrastruktur in der humanitären Zone.
Nach Angaben des Direktors für Versorgung bei der Zivilverteidigung in Gaza kamen mindestens 40 Menschen bei dem Luftangriff ums Leben, mehr als 60 seien verletzt worden. Demnach wurden Zelte getroffen, in denen Binnenflüchtlinge untergebracht sind. Die Zahlen sind nicht unabhängig überprüfbar.
Von mehreren Quellen im Zivilschutz des Gazastreifens hieß es, dass der Luftangriff riesige Krater hinterlassen habe. „Ganze Familien sind bei dem Mawasi-Chan-Junis-Massaker verschwunden, unter dem Sand, in tiefen Löchern“, sagte Zivilschutz-Sprecher Mahmud Basal.
Die israelische Armee warf den „terroristischen Organisationen im Gazastreifen“ vor, „zivile und humanitäre Infrastruktur systematisch zu missbrauchen, darunter das ausgewiesene humanitäre Gebiet, um terroristische Aktivitäten gegen den Staat Israel und die israelische Armee auszuführen“.
Die Hamas erklärte, in dem angegriffenen Gebiet hätten sich keine „Kämpfer“ aufgehalten. Diese Darstellung der israelischen Armee sei eine „unverfrorene Lüge“, erklärte die islamistische Organisation im Onlinedienst Telegram.
Noch 101 Geiseln in Gewalt der Hamas
Nach israelischer Zählung befinden sich noch 101 Menschen in der Gewalt der Hamas, wobei unklar ist, wie viele davon noch leben. Die Entführten werden nach Angaben ihrer Angehörigen unter grauenhaften Bedingungen festgehalten. Das Forum der Familienmitglieder der Entführten teilte mit, eine erste Untersuchung des Schicksals von sechs zuletzt getöteten Geiseln durch die Armee habe ergeben, dass die ermordeten Geiseln zuvor „in engen unterirdischen Tunneln mit wenig Luft festgehalten wurden“.
Sie hätten unter extremer Mangelernährung sowie Gewichtsverlust gelitten und „klare Zeichen langanhaltender körperlicher Vernachlässigung“ aufgewiesen, hieß es. Die Untersuchungsergebnisse seien den Angehörigen vorgelegt worden. Die Armee äußerte sich dazu offiziell nicht.
Die sechs Leichen waren nach Militärangaben vor gut einer Woche in einem Tunnel im Gebiet Rafah im Süden Gazas gefunden und nach Israel überführt worden. Die Geiseln seien kurz zuvor von den Kidnappern gezielt getötet worden. Ein Hamas-Sprecher sagte dagegen, sie seien bei israelischem Bombardement ums Leben gekommen.
Die Geiseln seien in einem etwa 80 Zentimeter breiten Tunnel festgehalten worden, in dem sie nicht stehen und sich auch nicht frei bewegen konnten, hieß es in der Mitteilung des Angehörigen-Forums weiter. Sie hätten dort auch keinen Zugang zu Duschen oder Toiletten gehabt.
Nicht einmal „grundlegendste menschliche Bedürfnisse“ seien respektiert worden. „Einige von ihnen hatten unbehandelte Verletzungen aus der Zeit ihrer Entführung, an einem von ihnen wurden Anzeichen von Fesselung gefunden“, hieß es.
Der israelische TV-Sender Channel 13 berichtete, die sechs Leichen seien nebeneinander aufgefunden wurden. Forensische Untersuchungen hätten ergeben, dass sich die Entführten vor ihrer Tötung „verteidigen und sich gegenseitig beschützen wollten“. Sie hätten offenkundig mit ihren Peinigern gekämpft, bevor sie erschossen wurden. „Die Beweise zeigen, dass sie ganz bis zum Ende um ihr Überleben gekämpft haben, bevor alle sechs brutal ermordet wurden“, hieß es.
Verhandlungen drehen sich im Kreis
„Diese Enthüllungen liefern unbestreitbare Beweise dafür, dass die Geiseln, die immer noch in Gaza festgehalten werden, in größter Gefahr schweben“, betonte das Forum und forderte einen sofortigen Deal mit der Hamas über ihre Freilassung.
Die indirekten Verhandlungen zu ihrer Freilassung, bei denen die USA, Ägypten und Katar vermitteln, drehen sich jedoch seit Monaten im Kreis.
Das im Raum stehende mehrstufige Abkommen würde auch die Beendigung des Kriegs, den Rückzug des israelischen Militärs aus dem Gazastreifen und die Entlassung tausender palästinensischer Häftlinge aus israelischen Gefängnissen einschließen.
Kritiker werfen Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu vor, den Abschluss einer derartigen Vereinbarung mit überzogenen Forderungen – wie etwa der nach einem dauerhaften Verbleib des israelischen Militärs an strategischen Stellen Gazas – zu torpedieren.
Netanjahu regiert in einer Koalition mit Parteien, die jegliche Zugeständnisse an die Hamas ablehnen und ihm mit dem Platzen der Regierung drohen.
Israel hält UN-Konvoi auf – Angeblich Verdächtige an Bord
Israels Armee hat unterdessen nach eigenen Angaben einen UN-Fahrzeugkonvoi im Norden Gazas aufgehalten, um Verdächtige zu befragen. Hintergrund seien „Geheimdienstinformationen, denen zufolge sich eine Anzahl palästinensischer Verdächtiger darin aufhielt“, teilte das Militär mit. Es handele sich um Fahrzeuge, in denen UN-Mitarbeiter transportiert würden.
Der israelische TV-Sender Kan berichtete, zwei verdächtige Palästinenser hätten den Konvoi „infiltriert“ und sich in einem der Fahrzeuge verschanzt. Israelische Soldaten hätten Warnschüsse abgegeben. UN-Sprecher Stéphane Dujarric sagte dpa dazu: „Zu diesem Zeitpunkt kann ich nur sagen, dass wir Kenntnis von einem laufenden Zwischenfall haben, in den UN-Personal und -Fahrzeuge verwickelt sind.“
Das ohnehin gespannte Verhältnis zwischen Israel und den Vereinten Nationen ist durch den Krieg stärker belastet. Israelische Vertreter haben Mitarbeiter des UN-Palästinenserhilfswerks wiederholt in die Nähe von Terroristen gerückt.
Im vergangenen Monat wurde nach Angaben der Vereinten Nationen ein für humanitäre Hilfe eingesetztes UN-Fahrzeug in einem Konvoi von israelischen Soldaten beschossen. Die israelische Armee kündigte eine Untersuchung dazu an.
Die im Gazastreifen laufende Polio-Impfkampagne ist laut Angaben der Vereinten Nationen auf Kurs. In der abgeschlossenen zweiten von drei Phasen seien mehr als 446.000 Kinder im Kampf gegen das Virus erreicht worden, sagte UN-Sprecher Stéphane Dujarric in New York.
Das entspreche fast 70 Prozent der Gesamtzahl an 640.000 zu impfenden Kindern. Ab heute solle nun die dritte Phase der Kampagne beginnen, bei der die Kinder im Norden des Gazastreifens die Schluckimpfung bekommen. (dpa/red)
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