Ischinger: Deutschland soll „Völkerrecht gegen Diktatoren weiterentwickeln“ – aber bitte nicht gegen den Iran
Am Tag des Beginns der Münchner Sicherheitskonferenz hat deren Leiter, der frühere Botschafter Wolfgang Ischinger, beklagt, dass Deutschland und die Länder der Europäischen Union auf internationaler Ebene eine wenig vorteilhafte Figur machten.
„Wir müssen verhindern, dass von außen betrachtet, etwa von Moskau oder von Peking aus betrachtet, Europa wieder wirkt wie ein aufgeregter Hühnerhaufen, der nicht genau weiß, wo er hin will“, mahnte Ischinger im „Morgenmagazin“ des ZDF.
Um sich angesichts der zunehmenden Herausforderungen stärker schützen zu können, müsse Europa sich stärker um die „Zusammenführung der Streitkräfte“ bemühen. Immerhin sieht er für die EU, insbesondere aber für Deutschland künftig weitreichende Aufgaben.
Zum einen hatte er bereits in der Vergangenheit gefordert, Deutschland möge seinen temporären Sitz ab 1. Januar 2019 im UN-Sicherheitsrat nutzen, um perspektivisch einen ständigen europäischen Sitz dort voranzutreiben. Zum anderen komme Berlin in dieser Funktion die Aufgabe zu, eine „Weiterentwicklung des Völkerrechts“ anzumahnen, derer es, so Ischinger gegenüber der „Bild“, bedürfe.
Ischingers Interpretation des Syrienkonflikts als Grundlage seiner „Reformpläne“
Das Völkerrecht schütze nämlich „heute nicht mehr die Bevölkerung vor ihrer Regierung, sondern die Regierung vor ihrer Bevölkerung“. Insbesondere mit Blick auf Syrien, wo ein im Wesentlichen von radikalen Islamisten getragener Aufstand gegen eine sozialistische Diktatur in einen mehrjährigen blutigen Krieg ausgeartet war, erklärt Ischinger:
„Wenn die Souveränität von Staaten unantastbar ist, auch wenn die Regierung das Volk auslöscht, wird das Völkerrecht zum Diktatorenschutzrecht. Es muss aber ein Menschenschutzrecht sein.“
Das Völkerrecht müsse sich deshalb weiterentwickeln, „damit es endlich Menschen beschützt“. Der Westen dürfe nicht mehr hinnehmen, dass Völkerrecht „in einer perversen Weise interpretiert wird zum Schutz von Diktatoren“.
Dass gerade in Syrien auf beiden Seiten des Konflikts Akteure mitgewirkt haben, die man nach westlichen Maßstäben durchaus als „Diktatoren“ (sowie als „Terroristen“) qualifizieren könnte, und entsprechend die „Syrische Revolution“ gegen Machthaber Baschar al-Assad in der Bevölkerung selbst zunehmend an Legitimität verlor, scheint Ischinger nicht anzufechten.
Zudem scheint Ischinger in der Auswahl der „Diktatoren“, gegen die er im Namen eines „weiterentwickelten Völkerrechts“ vorgehen will, selbst recht wählerisch zu sein. Im Vorjahr gehörte er zu den ersten Persönlichkeiten des politischen und diplomatischen Lebens in Deutschland, die sich genötigt sahen, US-Botschafter Richard Grenell öffentlich zu maßregeln, nachdem dieser deutsche Unternehmen dazu aufgefordert hatte, ihre Geschäfte im Iran zurückzufahren. Kurz zuvor hatte die Regierung in Washington ihren Austritt aus dem Atomvertrag JCPOA mit dem Iran erklärt und Sanktionen gegen das Regime in Teheran angekündigt.
Irans Außenminister wird die Opfer-Karte spielen
Stattdessen ist unter anderem mit Irans Außenminister Mohammed Dschawad Sarif ein Vertreter eines Regimes zur Sicherheitskonferenz in den „Bayerischen Hof“ eingeladen, das nicht nur seit 40 Jahren seine Bevölkerung unter der Knute hält, sondern auch in den Syrienkonflikt eingegriffen hatte, um seine Milizen näher an Israel heranzubringen, das regelmäßig aus Teheran mit der Vernichtung bedroht wird. Sarif wird voraussichtlich die Gunst der Stunde nutzen, um sich über die USA und ihre souveränitätsorientierten Verbündeten zu beklagen, die versuchen, den imperialen Avancen der iranischen Führung im Nahen Osten Grenzen zu setzen.
Das 1963 erstmals abgehaltene Sicherheitstreffen, das seit 2009 als „Münchner Sicherheitskonferenz“ firmiert, soll die Chance bieten, mögliche militärische Auseinandersetzungen zwischen den Akteuren von Konflikten durch Dialog zu verhindern und die Kontroversen zu entschärfen.
In diesem Jahr soll es unter anderem um die Zukunft Europas, um die transatlantischen Beziehungen, bestehende Krisenherde oder das Ende des Abrüstungsvertrages INF gehen, an dem auch Ischinger im Vorfeld der Veranstaltung Anstoß genommen hatte. Auch die umstrittene Pipeline Nord Stream 2 wird zu den Themen gehören, die Erwähnung finden. Das Treffen beginnt am Freitagmittag und soll am Sonntag enden.
Zwar werden namhafte Staats- und Regierungschefs wie Donald Trump, Benjamin Netanjahu, Jair Bolsonaro, Wladimir Putin oder Emmanuel Macron diesmal fehlen, dennoch werden die Redebeiträge einiger Gäste, unter ihnen etwa 30 Staats- und Regierungschefs und 90 Minister aus aller Welt, mit Spannung erwartet.
Mike Pence als ranghöchster Vertreter der USA
Für die USA werden Vizepräsident Mike Pence, die Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, sowie die Angehörigen der Präsidentenfamilie Ivanka Trump und Jared Kushner teilnehmen, die den Präsidenten in außenpolitischen Fragen beraten. Kushner arbeitet zudem gerade am Entwurf eines Nahost-Friedensplans. Auch der frühere Vizepräsident Joe Biden wird in München erwartet. Es wird erwartet, dass Mike Pence auch kritische Worte zur Iran-Politik führender EU-Staaten verliert, die nach Wegen suchen, US-Sanktionen gegen das dortige Regime zu umgehen.
Die Volksrepublik China ist durch den führenden Diplomaten Yang Jiechi vertreten, die Russische Föderation durch Außenminister Sergej Lawrow. Dessen Hauptthema wird voraussichtlich der INF-Vertrag sein. Die Rede des russischen Präsidenten Wladimir Putin auf der Münchner Konferenz 2007 markierte einen Wendepunkt im Verhältnis zwischen dem Westen und der Russischen Föderation nach dem Ende der Sowjetunion. Putin hatte dem Westen und allen voran den USA damals vorgeworfen, eine „unipolare Weltordnung“ anzustreben.
Weitere hochrangige Gäste sind diesmal der ukrainische Präsident Petro Poroschenko, Ägyptens Staatspräsident Abd al-Fattah as-Sisi und Außenminister Adel bin Achmed al-Dschubeir aus Saudi-Arabien. Erstmals, wenn auch ohne eigenen Redebeitrag, wird auch die neue CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer anwesend sein und die Gelegenheit nützen, um Kontakte zu knüpfen. Mehrere tausend Personen, vorwiegend aus der extremen Linken, werden zu Protesten gegen die Veranstaltung erwartet.
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