Iran wählt am 28. Juni: Zwischen Hoffnung, Misstrauen und Machtkampf

Sechs handverlesene Kandidaten konkurrieren um das Präsidentenamt. Unter den Bewerbern ist auch ein moderater Politiker. Wird er den Konservativen gefährlich?
Titelbild
Massoud Pezeshkian, moderater Kandidat bei den bevorstehenden iranischen Präsidentschaftswahlen, bei einer Wahlkampfkundgebung im Afrasiabi-Stadion in Teheran am 23. Juni 2024.Foto: Atta Kenare/AFP über Getty Images
Epoch Times25. Juni 2024

Vor Jahren noch zeigten viele Iraner öffentlich ihre Unterstützung für bestimmte Wahlkandidaten, etwa, als der damalige Präsident Hassan Ruhani gegen den jüngst tödlich verunglückten Ebrahim Raisi um seine Wiederwahl kämpfte. Davon ist drei Tage vor der Präsidentschaftswahl am 28. Juni nichts zu spüren.

Die Ära der Hoffnung, einer Annäherung mit dem Westen ist für viele nur noch ein Gefühl von Nostalgie. Die gesellschaftlichen Gräben sind groß, zuletzt dominierten militärische Spannungen die Politik des Irans.

Staatsmacht setzt auf Kontinuität

Durch die Wahl werden keine großen politischen Umwälzungen erwartet. „Das Spektrum an Bewerbern ist nicht viel größer als bei den letzten Wahlen. Mit den Kandidaten ist der Revolutionsführer auch kein großes Risiko eingegangen. Die Führung setzt vor allem auf Kontinuität“, sagt die Iran-Expertin Azadeh Zamirirad von der Stiftung Wissenschaft und Politik.

Keiner der Kandidaten hat das Profil oder Gewicht, Chamenei machtpolitisch herauszufordern.“

Die besten Wahlchancen sieht Zamirirad beim konservativen Lager. „Aber der Wahlausgang ist im Gegensatz zu den letzten Wahlen von 2021, die einzig auf die Person Raisi zugeschnitten waren, offen. Damals war nur einer als Sieger denkbar. Das sieht diesmal anders aus.“

Wächterrat prüft die Kandidaten

Irans politisches System vereint seit der Revolution von 1979 republikanische und auch theokratische Züge. Freie Wahlen gibt es jedoch nicht: Das Kontrollgremium des Wächterrats prüft Kandidaten stets auf ihre Eignung.

Eine grundsätzliche Kritik am System wird nicht geduldet, wie die Niederschlagung von Protesten in den vergangenen Jahren zeigte. Anders als in vielen anderen Ländern ist der Präsident im Iran nicht das Staatsoberhaupt. Die eigentliche Macht konzentriert sich auf den Religionsführer Ajatollah Ali Chamenei.

„Ich habe keine gute Aussicht auf die Zukunft oder Perspektive und habe auch keine Hoffnung auf Reformen“, sagt der 27 Jahre alte Mohammed, der im Medienbereich arbeitet. Wichtige Themen wie die angeschlagene Wirtschaft, die Abwanderung von Fachkräften würden zwar debattiert, aber „nach den Wahlen vergessen werden“, befürchtet er.

Konservative Fundamentalisten dominieren Bewerberfeld

Bei der Wahl, die auf den Tod von Amtsinhaber Raisi am 19. Mai bei einem Hubschrauberabsturz folgt, treten sechs handverlesene Kandidaten an. Fundamentalisten – erzkonservative Politiker und loyale Anhänger des Systems – sind am stärksten vertreten.

Unter ihnen dürften vor allem der amtierende Parlamentspräsident Mohammed Bagher Ghalibaf (62) und der Hardliner Said Dschalili (58) um Stimmen der Regierungsanhänger werben. Ghalibaf, früherer General der mächtigen Revolutionsgarden, gilt als Opportunist und Machtpolitiker, Dschalili vertritt radikalere Positionen.

Der moderate Peseschkian genießt breite Unterstützung aus dem Lager der Reformpolitiker. Als früherer Gesundheitsminister hat er bereits Regierungserfahrung.

Bei einer hohen Wahlbeteiligung dürften seine Chancen gar nicht schlecht sein. Insbesondere, wenn es in die Stichwahl geht und sich das iranische Volk zwischen einem Konservativen und Reformer entscheiden müsste.

Stundenlang warten etwa Anhänger der Reformbewegung in einer Sporthalle bei rund 30 Grad auf Peseschkian. Als er die Bühne betritt, bebt die Halle. Kurz vor der Wahl weckt der frühere Gesundheitsminister Hoffnungen einer enttäuschten Wählergeneration. „Ich verspreche Euch, das Volk nie anzulügen“, ruft der 69-Jährige.

Regierungsanhänger hoffen auf Einigkeit und Machterhalt

Der politischen Führung dürfte bewusst sein, dass ein wesentlicher Teil der iranischen Gesellschaft das politische System inzwischen ablehnt oder kritisch sieht.

Einige gehen davon aus, dass der Staatsspitze die Wahlbeteiligung als Gradmesser für ihre Legitimität wichtig ist.

So wird auch die Zulassung des moderaten Peschkians gedeutet: Mit einem zwar moderaten, aber ungefährlichen Kandidaten dürfte die Wahlbeteiligung steigen, während der eigentliche Machtkampf unter den systemtreuen Konservativen ausgefochten wird. Peseschkians Anhänger glauben, er werde unterschätzt.

Den Glauben an große innenpolitische Veränderungen haben die meisten, vor allem die jungen Menschen, im Iran verloren. Der Tod der jungen Kurdin Jina Masa Amini im Herbst 2022 entfachte landesweite Proteste gegen das islamische Herrschaftssystem. Die Wahlbeteiligung bei der diesjährigen Parlamentswahl erreichte ein Rekordtief von rund 40 Prozent. (dpa/red)



Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion