Taiwans Kuomintang-Regierung in Turbulenzen – neue Beziehungen zu China zu erwarten?
Seit langem tritt Dr. Thomas Weyrauch mit Sachbüchern zu China und Taiwan, der „Republik China“ und ihren demokratischen Wurzeln, hervor. Wir befragten ihn zu seiner Meinung über die augenblickliche Situation nach den Kommunalwahlen in Taiwan.
Epoch Times: Was sind Ihrer Meinung nach die Hauptgründe für die großen Stimmenverluste der KMT in der Kommunalwahl in Taiwan? Im März 2014 begann die Sonnenblumen-Bewegung gegen die Pro-Peking-Politik der Regierung. Was meinen Sie, wie weit die Sonnenblumen-Bewegung eine Wirkung auf das Wahlergebnis hatte?
Thomas Weyrauch: Die Stimmenverluste der KMT haben verschiedene Ursachen, wie etwa die Flügelkämpfe innerhalb dieser Partei, Lebensmittelskandale, wirtschaftliche Sorgen der Bürger und ihre Ängste vor einer Dominanz der Volksrepublik China. Tatsächlich dominiert dieser Staat auf dem chinesischen Festland schon die Volkswirtschaften der Nachbarstaaten als Handelspartner Nr. 1, inklusive der Republik China auf Taiwan.
Sicherlich hat die Sonnenblumenbewegung auch der Kuomintang geschadet. Allerdings halte ich die KMT und die Regierung unter Präsident Ma Ying-jeou nicht für „Pro-Peking“. Vielmehr suchen sie nach einem Modus, unter diesen schwierigen Verhältnissen ihr freies China, die Republik China, zu erhalten. Dabei haben sie auch Kompromisse mit dem kommunistischen China geschlossen.
Im Gegensatz dazu ist es verfehlt, die Handlungen der Sonnenblumen-Bewegung als „demokratisch“ zu bezeichnen, denn ein von 13,5 Millionen Wählern legitimiertes Parlament wurde von einigen Hundert selbst legitimierten Studenten für drei Wochen an seinem verfassungsmäßigen Auftrag gehindert. Gut erdacht, schlecht gemacht. Sie hätten bessere Instrumentarien wahrnehmen können: Gerichte und Wahlen.
Epoch Times: Hat sich die aktuelle Regenschirm-Bewegung in Hongkong Ihrer Meinung nach auch auf die Wahl in Taiwan ausgewirkt? Was für eine Wirkung hat das Wahlergebnis in Taiwan wiederum auf die Demokratie-Entwicklung in Hongkong?
Weyrauch: Hongkongs Entwicklung war gewiss nicht wahlentscheidend für Taiwan, aber interessant. Ich sehe zunächst einmal keine Gemeinsamkeit jener Sonnenblumen-Bewegung in Taiwan zur Regenschirm-Bewegung Hongkongs.
Im Falle Taiwans wurde gegen demokratische Organe gehandelt, im Falle Hongkongs richtet sich der Protest gegen eine Diktatur. Das ist ein gewaltiger Unterschied! Dennoch glaube ich, dass Hongkong ein Exempel dafür ist, was geschehen würde, wenn die Volksrepublik China die Insel Taiwan vereinnahmen würde. Doch Hongkongs Bürger haben allen Grund, die Taiwaner um ihre liberale Demokratie zu beneiden. Dies schließt die Protestkultur mit ein.
Epoch Times: Wie weit kann sich Ihrer Meinung nach die Kommunalwahl auf die kommende Präsidentenwahl auswirken? Kann die kommunale Wahl zu einer Änderung der Politik von Taiwan gegenüber Peking führen?
Weyrauch: Ich gehe davon aus, dass die Kuomintang bei ihrer inneren Zerrissenheit größte Schwierigkeiten hat, in den letzten Monaten vor den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen an Terrain zu gewinnen. Sie braucht Zeit zu regenerieren. Kennen wir das nicht aus vielen demokratischen Staaten? Die Stärke von Demokratien sind ihre Wahlverlierer. Die gibt es in Diktaturen nicht.
An einen grundsätzlichen Politikwechsel Taiwans gegenüber dem Festland glaube ich nicht, wohl aber an eine größere Vorsicht. Der Entspannungspolitiker Ma hat dazu den gleichen Grund wie die Opposition, wird er doch auch schon von den Festlandsmedien mit Häme überschüttet.
Epoch Times: In der Kommunalwahl ist das Wahlergebnis in Taipei, der Hauptstadt von Taiwan, besonders interessant, denn der parteilose Mediziner Ke Wenzhe hat gewonnen. Was meinen Sie, was war der Hauptgrund für seinen Wahlerfolg? Er ist ursprünglich kein Politiker, er selber betrachtet seinen Sieg als einen Sieg der „bürgerlichen Gesellschaft“. Er spricht davon: „Politik ist, das Gewissen wieder zu finden“ und „Demokratie ist, dass das Volk bestimmt“. Was meinen Sie dazu?
Weyrauch: Ke Wenzhe ist mit der Minzhu Jinbudang (Demokratische Fortschrittspartei) seit langem verbunden und wurde von ihr unterstützt. Es ist zu früh für eine Bewertung. Warten wir ab, was er zustande bringt!
Epoch Times: Nach der Kommunalwahl ist das komplette Kabinett mit seinen KMT-Politikern in Taiwan zurückgetreten, Präsident Ma Ying Jeou hat auch seinen Posten als Parteivorsitzender abgegeben. Wie schätzen Sie die aktuelle politische Lage in Taiwan ein?
Weyrauch: Ich rechne mit einem politischen Wechsel in der Führung der Republik China. Das ist in demokratischen Staaten normal. Allerdings rechne ich nicht mit einer Verbesserung der Wirtschaftslage und mit einer grundsätzlich veränderten Politik gegenüber dem chinesischen Festland. Die Sachzwänge, welche sich aus der Notwendigkeit des Erhalts des eigenen politischen Systems und der Dominanz durch die Volksrepublik China ergeben, und die Chancen, dass das Vorbild Taiwan auch zu Veränderungen auf dem Festland führt, sind zu groß.
Millionen festlandchinesischer Touristen haben das freie Taiwan besucht, etwa eine Million Taiwaner arbeiten auf dem Festland. Wie kann da verborgen bleiben, dass Taiwans Demokratie trotz aller Probleme quicklebendig ist?
Epoch Times: Könnte die aktuelle kommunale Wahl auch eine Nachwirkung auf die Taiwan-Politik von Deutschland haben?
Weyrauch: Nein. Bundesregierung, Bundestag, Bundesländer, Kommunen, Bürgerverbände und einzelne Politiker pflegen gute Beziehungen zu Taiwan. Das sind stabile Beziehungen. Bedenken Sie: eine der größten Parlamentariergruppen im Deutschen Bundestag ist der Parlamentarische Freundeskreis Berlin-Taipei. Die engen, unkritischen Freunde Pekings wie Helmut Schmidt und Gerhard Schröder geraten dagegen immer stärker in Kritik.
Das Interview führte Maria Zheng
Literatur:
Thomas Weyrauch, Chinas demokratische Traditionen, Vom 19. Jahrhundert bis in Taiwans Gegenwart, Longtai Verlag, 34,80 Euro, erschienen 14. Februar 2014
Thomas Weyrauch, Chinas unbeachtete Republik, 100 Jahre im Schatten der Weltgeschichte, Band 1 (1911-1949), Longtai Verlag, 32,80 Euro
Thomas Weyrauch, Chinas unbeachtete Republik, 100 Jahre im Schatten der Weltgeschichte
Band 2 (1950-2011), Longtai Verlag, 32,80 Euro
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