In Hongkong gefehlt – von der WHO gewählt
Im Jahre 2003 musste Margaret Chan unter öffentlichem Druck als Leiterin der Gesundheitsbehörde von Hongkong zurücktreten. Ein Jahr später wurde sie in einer Resolution vom Hongkonger Parlament verurteilt, weil sie effektive Maßnahmen zur Bekämpfung und Eindämmung der Seuche SARS viel zu lange hinausgezögert habe. Nun ist sie durch die geschickte Einflussnahme Pekings zur neuen Generaldirektorin der WHO gekürt worden. In Hongkong spricht man von einem Skandal.
Die Hongkonger Vogelgrippe-Expertin Margaret Chan wurde am Donnerstag zur neuen Generaldirektorin der Weltgesundheitsorganisation WHO gewählt. Sie erhielt auf einer Plenumsitzung aller 193 Mitgliedstaaten der WHO 150 Stimmen. Als Nachfolgerin des im Mai verstorbenen Generaldirektors Lee Jong Wook soll Chan ihr Amt am 4. Januar zunächst bis Juni 2012 antreten.
Sie sei der Stolz des chinesischen Volkes und der Hongkonger Bürger, kommentierte das kommunistische Regime in Peking ihre Wahl in der zentral gelenkten Presse. Auch westliche Medien haben einen eher lobenden Wortlaut: „Im Kampf gegen bedrohliche Krankheiten hat Chan bereits Erfahrung: 1994 wurde sie Leiterin der Gesundheitsbehörde von Hongkong, das 1997 von einem Vogelgrippe-Ausbruch und 2003 von der tödlichen Lungenkrankheit SARS heimgesucht wurde.“ (www.heute-online.ch/news/?i=8094) Kaum wird hingegen berichtet, welche Erfahrungen es denn waren, die die ehemalige Gesundheitsministerin in Hongkong während der Bekämpfung der Seuchen gemacht hat.
Unabhängige chinesischsprachige Medien stellen die Sache ganz anders dar. Sie berichten von der Empörung unter den Hongkongern. Qu Peixu, deren Mutter im Jahr 2003 an SARS verstorben war, ist aufgebracht als sie einer der größten Hongkonger Zeitungen „Mingbao“ berichtet: „Damals sind wegen Chans Versäumnissen und Unentschlossenheit rund 300 Menschen an SARS gestorben. Ihr Sieg ist eine Schande für die WHO. Ich kann mir kaum vorstellen, woher sie die Kompetenz nehmen will, die großen internationalen Gesundheitsfragen zu behandeln.“ Sie habe viel zu lange gezögert, das Ausmaß der Verbreitung von SARS in dem am schwersten betroffenen Gebiet in Hongkong genau zu untersuchen und effektive Maßnahme einzuleiten; dadurch wurden noch mehr Menschen angesteckt, heißt es weiter in „Mingbao“ über ihre Wahl.
Weitere chinesischsprachige Medien erinnern an die Spruchbänder von Demonstranten in Hongkong 2004: „Margaret Chan hat kein Gewissen“, war darauf zu lesen. Chan war seinerzeit der Pekinger Regierung gefolgt und hatte mit der Begründung, es handele sich um ein Staatsgeheimnis, das Ausmaß der Verbreitung von SARS vertuscht. Die Befürchtung mancher Hongkonger Bürger, ihre Ernennung könne ein Unheil für die Welt sein, erscheint nach den Erfahrungen von 2003 nicht unbegründet.
Als von Peking eingesetzte Leiterin für die Gesundheitsbehörde Hongkong war es seinerzeit für Margaret Chan wichtiger, bei der Bekämpfung von SARS mit der Zentralregierung in Peking in Übereinstimmung zu bleiben, als tatsächlich die Hongkonger Bürger zu schützen. Das kommunistische Regime in Peking hatte die Verbreitung von SARS in China verheimlicht und erst durch den mutigen Auftritt des Arztes Jiang Yanyong erfuhr die Welt die Wahrheit. Die tödlichen Viren verbreiteten sich über Hongkong in der ganzen Welt und forderten insgesamt 800 Menschenleben. Auf Grund der heftigen öffentlichen Kritik trat Chan im August 2003 von ihrem Amt zurück. Ein Jahr später verabschiedete das Hongkonger Parlament einstimmig eine Resolution gegen sie – sie habe in der Sache zu langsam reagiert und den rechten Zeitpunkt zur Bekämpfung der Seuche versäumt.
Der Vize-Gesundheitsminister der KP Chinas, Huang Jiefu, sieht das anders: Sie habe in der Bekämpfung von SARS in Hongkong „Rücksicht auf die Interessen der Gesamtheit“ genommen. Mit diesem Argument bestätigte der Vizeminister am 6. November dieses Jahres in Macao auf einer internationalen Konferenz für Gesundheit die besondere Kompetenz von Chan als Kandidatin für die WHO.
Auch nachdem im Jahr 1997 der weltweit erste Fall von Vogelgrippe bekannt wurde, sagte sie den Hongkonger Bürgern, dass sie weiterhin ohne Bedenken Hühnerfleisch essen könnten. Kurz darauf brach in Hongkong die Vogelgrippe aus. Erst jetzt wurden Maßnahmen ergriffen und 1,6 Millionen Hühner, Enten und Gänse gekeult, um eine weitere Verbreitung zu verhindern. Die Hongkonger Bevölkerung kritisierte sie schon damals, dass sie die Bürger irregeführt habe.
„Mehr Transparenz über Epidemien in China“ – oder: Wie man die WHO in Illusionen wiegt
Die WHO kritisierte Peking immer wieder, dass es bei der Weitergabe von Informationen über die Vogelgrippe in China an Transparenz mangele. Während der Vogelgrippe-Krise stand die kommunistische Regierung heftig in der Kritik, weil neue Fälle nur zögerlich gemeldet wurden. Julie Hall, Epidemiologin der Pekinger Dienststelle der WHO, bemängelte besonders, dass die WHO die entsprechenden Daten erst dann bekam, wenn sich schon ein Todesfall ereignet hatte. Doch zum Zeitpunkt des Todes eines Menschen kann das Virus schon längst mutiert sein.
Durch die Amtsführung von Chan erhofft die WHO zu erreichen, dass Peking in Zukunft die wahren Informationen über das Auftreten von Seuchen unverzüglich bekannt geben wird, so berichtet das Wall Street Journal. Eine der zurzeit wichtigsten Aufgaben der WHO ist es, den weltweiten Ausbruch von Grippewellen zu überwachen und nach Möglichkeit zu verhindern. Die WHO erwartet, dass Chan Chinas Regime veranlassen kann, die Daten von Viren rechtzeitig zu veröffentlichen.
Nach Aussage von Julie Hall am 1. November, kurz vor der Wahl von Chan, hat das chinesische Ministerium für Landwirtschaft seit 2004 kein einziges Exemplar von Vogelgrippe-Viren geliefert. Neueste Meldungen der Hongkonger und chinesischen Medien besagen inzwischen, dass China der WHO Proben der Vogelgrippe-Viren, die auf dem Territorium der Volksrepublik seit 2004 gesammelt wurden, zur Verfügung gestellt hat. WHO-Vertreter in Peking bestätigten, dass 20 Viren-Proben in eines der Labore der WHO in die USA verschickt wurden. Dieser von der WHO gewünschte Wandel in der sonst so spröden chinesischen Führung kommt so plötzlich, das man kaum annehmen kann, dass er auf den Einfluss von Margaret Chan zurückzuführen ist. Vielmehr erscheint das Ganze als ein von langer Hand vorbereiteter Schachzug der KP um die WHO in Illusionen über Chans Einfluss zu wiegen.
Pekings Unterstützungen bei der Wahl
Peking machte gar keinen Hehl daraus, dass man die Bewerbung von Chan um den Posten des WHO-Generalsekretärs voll unterstützte. Chinas Staatspräsident und Vorsitzender der KP Hu Jintao wies beim Afrika-Gipfel, an dem 48 afrikanische Länder in der letzen Woche in Peking teilgenommen haben, unmissverständlich auf die Bewerbung von Chan hin und gab seiner Hoffnung Ausdruck, dass die afrikanischen Länder sie unterstützen mögen. Das Mitglied des Staatsrates der KP Tang Jiaxuan bekräftigte wiederholt, dass Chinas Regierung Chan bis zum Schluss zur Seite stehen werde. Chinas Gesundheitsminister Gao Qian flog schon am 5. November nach Genf und traf sich mit Amtskollegen aus anderen Ländern, um für Chan Stimmen zu gewinnen.
Margaret Chan teilte auch im Juli dieses Jahres den Medien in Hongkong offen mit, dass die Zentralregierung ihr allseitige Unterstützung versprochen hätte. Gleich nachdem Peking sie als Kandidatin vorgeschlagen hatte, war sie nach Peking geflogen, um mit der dortigen Regierung über die Strategie ihrer Wahl zu sprechen. Sie sagte, dass sie für ihre Wahl Dutzende von Ländern besuchen müsse und die konkrete Unterstützung der chinesischen Botschaften in den jeweiligen Ländern benötige. Von ihnen bekam sie die große Menge Geld, die für ihren Wahlkampf nötig war.
Warum hat Peking Chans Wahl so stark unterstützt? Kann Margaret Chan, wie es die WHO erhofft, Licht in die Verschleierungen von Chinas kommunistischem Regime bringen – oder wird sie, wie schon im Jahr 2003, wieder mit „ihrer“ Regierung die Übereinstimmung suchen? In Genf sagte sie gegenüber Journalisten: „Ich diene nicht den Interessen Hongkongs, nicht den Interessen Chinas, sondern den Interessen der Welt.“ Ob sie ihr Versprechen gegenüber Peking durchsetzen kann und wirklich will, ist fraglich. In China gibt es eine Redensart „吃别人的口软,拿别人的手短“ (wörtlich: Wer die Sachen von anderen isst, hat nur einen weichen Mund; wer die Sachen von anderen nimmt, hat nur eine kurze Hand), auf deutsch würde man sagen: „Wes Brot ich ess‘, des Lied ich sing.“ Peking wird sie sicher weiterhin füttern.
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