In Deutschland: „Erdogan will Konflikte anheizen“, warnt geflohener türkischer Journalist
„Jetzt habe ich es getan – aus Angst vor Verfolgung und Verhaftung durch die Regierung oder sogar vor Schlägertrupps, die auf die Straßen geschickt wurden“, schreibt er über die Gründe seiner Flucht aus der Hauptstadt Ankara, wo er eine Woche zuvor noch beim türkischen Kaffee mit Freunden aus dem Ausland darüber scherzte, ob er das Land verlassen sollte oder nicht.
Der „Focus“ veröffentlichte einen Gastbeitrag des türkischen Journalisten Abdullah Bozkurt, der mit seiner Flucht seiner Verhaftung zuvorkam. Selbst als er den Polizei-Checkpoint am Atatürk Airport in Istanbul hinter sich hatte, sei er noch nicht richtig entspannt gewesen, gesteht der Journalist in seinem Artikel.
Erdogans „Geschenk [seines] Gottes“
Präsident Erdogan habe den Putsch als „Geschenk Gottes“ bezeichnet. „Was Erdogan derzeit betreibt, sieht nicht aus wie ein Kampf gegen die Köpfe hinter dem Putsch, die wir alle verachten.“ Mit der Einsperrung dutzender Journalisten wolle der Präsident und seine Partner in der Regierung Spuren verwischen, welche zeigen würden, dass „radikale Militante in der Türkei und um sie herum“ unterstützt und gefördert würden. Auch solle die massive Korruption verdeckt werden.
Der gescheiterte Putsch werde nun von Erdogan als Gelegenheit genutzt, seine Gegner zu unterdrücken und den Rest der unabhängigen Medien zu zerstören, um die Türkei letztlich „von einer parlamentarischen Demokratie zu einem autokratischen islamistischen Regime fast ohne Kontrollmechanismen zu machen“.
Bozkurt glaubt, je mehr Macht Erdogan in „seinen Händen anhäuft, desto schlimmer wird es in der Türkei werden“. Dies werde auch das Ausland erfassen. Erdogan werde versuchen, „Spaltungen zu exportieren, Konflikte anzuheizen und unter Auswanderern im Ausland eine Hexenjagd zu veranstalten – und zwar auch in Deutschland“.
Der Hexenjagd entkommen
„Während ich bis zum Einsteigen in der Lounge wartete, schaute ich ständig über meine Schulter.“ Erst nach dem Abheben des Lufthansa-Jets habe er sich erleichtert gefühlt, „konnte endlich tief durchatmen“.
Seiner Ansicht nach spielte es keine Rolle, dass sich die türkischen Medien von Anfang an gegen den Putsch aussprachen: „Die Razzien nach dem gescheiterten Putsch wirkten eher wie eine wilde Hexenjagd als wie ein Versuch, echte Verbrecher in der Militärjunta zu bestrafen“, so Abdullah Bozkurt.
„Das Umfeld in der Türkei lässt keinen professionellen Journalismus mehr zu.“
Investigative Beiträge, die die Regierung kritisieren, offiziellen Darstellungen widersprechen oder Fehlverhalten für die Öffentlichkeit aufdecken, seien nicht mehr möglich. Weiche man in irgendeiner Hinsicht von der staatlichen Linie ab, werde man als „Verräter, Putsch-Unterstützer, Vasall des Westens oder gleich als Terrorist bezeichnet“.
„Hässliche Details“ um islamistische Netzwerke
Sogar jetzt bekomme der Journalist noch Todesdrohungen von „Trollen der Regierung“ in den sozialen Medien. Wie er seinen Beruf im Ausland weiter ausüben könne, sei noch nicht klar, auch ob er einen Job finde, der ihm gefalle, ob er das tun könne, was er am meisten liebe, nämlich schreiben. Er wolle nicht aufhören, „denn genau das will die türkische Regierung mit erzwungenen Ausreisen wie meiner oder Massenfestnahmen von Journalisten und Kritikern ja erreichen.“
„Wenn ich aufhöre zu schreiben verrate ich meine Freunde und Kollegen in der Heimat.“
Wenn er sich die Namen der verhafteten Journalisten ansehe, könne er erkennen, was die türkische Regierung wirklich vorhabe: „Viele der Verhafteten sind erstklassige investigative Journalisten, die hässliche Details darüber veröffentlichten, wie türkische Politiker mit allen möglichen radikalen und militanten islamistischen Netzwerken zusammengearbeitet haben, darunter dem Islamischen Staat im Irak und der Levante (ISIL).“
Manche der Journalisten hätten intensiv über die umfangreichen Korruptionsermittlungen von 2013 geschrieben, welche den damaligen Premier und jetzigen Präsidenten Erdogan, die Mitglieder seiner Familie sowie seine politischen und geschäftlichen Partner belastetet hätten.
Erdogans Korruptionsnetz und die Gülen-Jagd
Erdogan behaupte, dass der in den USA lebende prominente muslimische Prediger Fethullah Gülen den gescheiterten Putsch geplant haben soll. Dieser weise die Vorwürfe aber zurück und „die Regierung hat keinen direkten Beweis dafür vorgelegt“, so Bozkurt, der ein Vorgehen der Regierung ohnehin „nicht nur gegen die Gülen-Bewegung gerichtet“ sieht.
Der türkische Präsident entferne alle „Ermittler und Staatsanwälte, die sein riesiges Korruptionsnetz entdeckt hatten“. Später habe jedoch eine unabhängige Untersuchung des FBI diese Verwicklungen bestätigt. Am bundesstaatlichen Bezirksgericht von New York laufe inzwischen ein Verfahren darüber – „weit außerhalb der Reichweite des Autokraten der Türkei“, weiß Abdullah Bozkurt zu berichten. (sm)
vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.
Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.
Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.
Ihre Epoch Times - Redaktion