Im Inneren des Kampfes für Pakistan

Der Einsatz von Extremisten gegen Indien durch das pakistanische Militär ging nach hinten los
Titelbild
Selbst gezüchteter Terror: Während einer durch die pakistanische Armee organisierten Medienreise durchsucht ein pakistanischer Soldat Stammesangehörige am Eingang einer Militäranlage im bergigen Stammesgebiet Mohmand-Berge. Den Medien sollen scheinbare Fortschritte im Kampf gegen einheimische Taliban präsentiert werden.Foto: Aamir Qureshi / AFP / Getty Images
Von 3. Juli 2011

Pakistan wird bald den Platz Fünf der bevölkerungsreichsten Länder der Welt einnehmen – mit dem fünftgrößten Atomwaffenarsenal. Der Kampf um die Kontrolle über Pakistan wird jeden Tag intensiver. Das Ergebnis ist mehr als ungewiss.

Der Hauptakteur, die pakistanische Armee, scheint gefährlich ambivalent in ihrer Meinung, welche Seite vorherrschen sollte: Der Dschihadist-Frankenstein, den sie ins Leben rief, oder die demokratisch gewählte Zivilregierung, die sie verachtet.

Das amerikanische Kommandounternehmen, das Osama bin Laden am 2. Mai tötete, beschleunigt den Kampf in Pakistan um die Zukunft des Landes weiter.

Im Gegensatz zu einigen Einschätzungen ist Pakistan weder ein gescheiterter Staat noch ein scheiternder Staat. Er funktioniert heute so effektiv wie in den vergangenen Jahrzehnten. Es ist ein Staat unter der Belagerung eines radikalen Syndikats von lose miteinander verbundenen Terrorgruppen mit dem Ziel der Schaffung eines extremistischen Dschihad-Staates in Südasien. Sie wollen Pakistan und seine Waffen.

Weniger als hundert Stunden nach der Kommandoaktion in Abbottabad gab der al-Qaida-Shura-Rat eine Kriegserklärung an Pakistan und den „Verrätern und Dieben“ in der Regierung bekannt, die den „Märtyrer-Scheich“ bin Laden an die Amerikaner verraten hatten.

Das ist Ironie des Schicksals, da viele Amerikaner vermuten, dass die pakistanische Armee tatsächlich Mittäter war bei bin Ladens über zehn Jahre dauernden erfolgreicher Umgehung der größten Menschenjagd in der Geschichte der Menschheit. Dass sowohl al-Qaida als auch Amerika der pakistanischen Armee misstrauen, spricht Bände.

Seitdem haben al-Qaida und ihre Verbündeten in Pakistan ihre Drohung einer Rache wahr gemacht. Sie überzogen das Land mit Selbstmordattentaten und anderen Anschlägen. Der Übelste war ein Angriff auf einen großen pakistanischen Marinestützpunkt in Karachi, einer schwer bewachten Anlage, in der Experten der USA und China die Marine unterstützen. Zwei in den USA produzierte P3-Aufklärungsflugzeuge wurden bei dem Angriff zerstört. Die Angreifer hatten Insider-Wissen über die Basis und pakistanische Sicherheitskräfte haben ehemaliges Marinepersonal verhaftet. Ihnen wird vorgeworfen, den Angreifern geholfen zu haben.

Der interne Feind

Der Angriff in Karachi zeigt das Wesentliche des Kampfes von heute um Pakistan. Die Militanten unterstützen al-Qaida, waren aber Mitglieder seiner Verbündeten, der pakistanischen Taliban. Ihr Ziel war es, die Marine zu demütigen. Die Marine wehrte sich, doch ist sie gespickt mit Dschihad-Sympathisanten, die den Militanten helfen.

Der pakistanische Journalist Syed Salman Shahzad schrieb nach dem Angriff des Dschihad von deren Eindringen in das Militär, vor allem in die Marine. Er erhielt aus dem militärischen Geheimdienst, dem berüchtigten Inter Services Intelligence-Abteilung (ISI) Drohanrufe, er solle aufhören, über das Thema zu berichten. Kurz darauf wurde er ermordet. Das ISI ist der pakistanische FBI des Militärs.

Die pakistanische Armee ist im Krieg mit Teilen des Dschihad-Terror Syndikats in Pakistan, wie der al-Qaida und den Taliban. Entlang der afghanischen Grenze waren bisher mehr als 140.000 Soldaten im Einsatz gegen die Militanten. Rund 35.000 Pakistani, darunter mehrere tausend Soldaten, sind seit 2001 in den Kämpfen gestorben. Dies steht gegenüber den etwa Dreitausend beim Angriff au das World Trade Center getöteten . Dutzende von ISI-Agenten sind ebenfalls gestorben.

Aber der ISI teilt sein Bett noch mit anderen Teilen des Syndikats, wie zum Beispiel mit Lashkar-e-Tayyiba (LET), der Gruppe, die 2008 Mumbai angriff, und die afghanischen Taliban, die die NATO bekämpfen. Trotz jahrelanger amerikanischer Beschwerden sind diese Partnerschaften noch intakt. Und die Terroristen halten sich nicht zurück, wie es der ISI gerne hätte. So priesen zum Beispiel LeT und die Taliban bin Laden nach seinem Tod und betrauerten den Weggang von einem großen „Helden“ ihrer Bewegung.

Die Ambivalenz der Armee gegenüber dem Dschihad wird aus seiner tiefen Besessenheit Indien gegenüber genährt. Pakistan hat in den 1980er-Jahren mit amerikanischer Hilfe den Dschihad geschaffen, um die Sowjets in Afghanistan zu bekämpfen. Aber von Anfang an hatte der ISI unter dem Kommando des damaligen Diktators Zia ul Huq und seinem brillanten ISI-Chef Akhtar Rahman, geplant, die Dschihad-Gruppen auch gegen Indien einzusetzen und ein internationales Kader von Mudschahidin aufzubauen, die im Kampf gegen Indien helfen sollen.

Im Laufe der Jahrzehnte errichtete die „S“-Abteilung des ISI enge Verbindungen mit Dutzenden von Dschihad-Gruppen und diese wurden zu einem Staat im ISI, der wiederum ein Staat in der Armee ist. Die Armee entscheidet nationale Sicherheitsrichtlinien mit wenig oder gar keinem Beitrag aus dem politischen Establishment.

Die Nadeem Taj-Story

General Nadeem Taj ist beispielhaft für die Geschichte. Taj war die rechte Hand des Ex-Diktators Pervez Musharraf. 1999 steckten sie zusammen, als Premierminister Nawaz Sharif Musharraf aus dem Amt des Armeechefs feuerte, als er mit dem Flugzeug von einem Besuch in Sri Lanka zurückkehrte.

Taj zog die Fäden bei dem Coup, der Musharraf aus dem Flugzeug heraus an die Macht brachte und wurde dafür mit mehreren wichtigen Ämtern belohnt, darunter ab 2006 das Kommando über die Kakul Militär-Akademie in Abbottabad, das West Point Pakistans. Als Kommandant der Akademie war es praktisch sein Vorgarten, wo bin Laden in seinem Versteck hockte, weniger als eine Meile von der Akademie entfernt. War Taj ahnungslos oder mitschuldig?

Im September 2007 wurde Taj Chef der ISI und übernahm den Sessel von General Ashfaq Kayani, der zum Oberbefehlshaber der Streitkräfte (COAS) befördert wurde. Es dauerte knapp ein Jahr, bis Taj unter dem starkem Druck aus Washington von seinem Amt entfernt wurde.

Die Bush-Regierung kam zu dem Schluss, dass der ISI von Taj direkt an dem Bombenanschlag auf die indische Botschaft in Kabul im Jahr 2008 beteiligt war. Dazu hatte es das neue Drohnen-Programm zum Angriff auf al-Qaida-Ziele in Pakistan untergraben, indem es die Terroristen vor den Anschlägen warnte. Taj wurde entweder als nicht in der Lage angesehen, die S-Abteilung im Zaum zu halten oder er war an ihrer Doppelzüngigkeit mitschuldig.

Dennoch war Taj befördert worden, um ein zentrales Korps in der Armee zu befehligen – in der höchsten Kommandoebene. Jetzt ist er von mehreren Angehörigen der amerikanischen Opfer des Terroraktes bei einem New Yorker Gericht der Mittäterschaft bei der Planung des Mumbai-Angriffes angeklagt. Als Chef der ISI wusste Taj, dass der Angriff von der LeT sorgfältig geplant war und ebenso von den Zielen einschließlich des Chabad-Hauses, in dem die meisten Amerikaner starben.

David Headley, ein Amerikaner pakistanischer Abstammung, hat ausgesagt, dass der ISI direkt an dem Anschlag beteiligt war, und das US-Justizministerium hat eine beeindruckende Menge von E-Mails und anderen Beweisen zusammengestellt, die seine Behauptung stützt.

Die Infiltration der Armee durch Dschihads wirft anhaltend Fragen über die Sicherheit der pakistanischen Atomwaffen auf. Laut einer WikiLeaks-Depesche des Außenministeriums vom September 2009 erklärte Frankreichs nationaler Sicherheitsberater Jean-David Levitte der amerikanischen Botschaft in Paris, dass Frankreich die Atomwaffen Pakistans für nicht sicher hält. Levitte ist einer der scharfsinnigsten Diplomaten in der Welt von heute, und er liegt fast immer richtig.

Die Politik, die helfen würde, die pakistanische Armee von ihrer Besessenheit gegenüber Indien und den Dschihad zu entwöhnen, ist gut bekannt. Eine konzertierte Anstrengung, um den indisch-pakistanischen Konflikt zu beenden, hat dabei eine wesentliche Bedeutung. Der indische Premierminister Manmohan Singh versucht trotz Mumbai, genau das zu tun. Aber es ist eine große Herausforderung.

Im Mai scheiterten erneut Gespräche über die relativ einfach zu lösende Frage der umstrittenen Siachen-Gletscher auf dem Dach des Himalaya. Die Lösung der schwierigeren Frage des Kaschmir wird wahrscheinlich noch Jahre dauern.

Aber wir haben die Jahre nicht. Nur zwei Wochen vor dem Abbottabad-Überfall hielt General Kayani eine Rede an der Militärakademie in der Stadt, fast in Hörweite von bin Laden. In seinen Ausführungen behauptete Kayani, dass das Rückgrat des militanten Syndikats in Pakistan gebrochen sei und die Armee gesiegt hätte. Es ist nun klar, dass er schlicht und ergreifend falsch lag.

Bruce Riedel ist leitender Wissenschaftler am Saban Center in der Brookings Institution und außerordentlicher Professor an der School for Advanced International Studies der Johns Hopkins University. Sein jüngstes Buch, Tödliche Umarmung: Pakistan, Amerika und die Zukunft des globalen Dschihad, erschien im März. Mit Erlaubnis von YaleGlobal Online. Copyright © 2010, Yale Center for the Study of Globalization, Yale University.

Artikel auf Englisch: Inside the Battle for Pakistan

 

 



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