Im Auftrag der Bundesregierung: Einhundert NGOs sammeln Ortskräfte in Afghanistan

Der Bundesnachrichtendienst sucht in den sozialen Medien Afghanistans bereits nach Schleusern Richtung Deutschland. Das Zauberwort lautet hier „Ortskräfte“ (کارکنان محلی). Deutsche Nichtregierungsorganisationen (NGOs) schreiben die Passagierlisten für ein Aufnahmeprogramm.
Hunderte von Menschen versammeln sich am 15.08.2022 nahe eines Evakuierungskontrollpunkts am Flughafen in Kabul, um aus dem Land zu fliehen.
Am 15.08.2022 versammelten sich Hunderte Menschen nahe einem Evakuierungskontrollpunkt am Flughafen in Kabul, um aus dem Land zu fliehen.Foto: Wali Sabawoon/AP/dpa
Von 1. Juni 2023

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Muss man den Begriff „Ortskräfte“ heute noch erklären? Gemeint sind damit ehemals bei der Bundeswehr und deutschen NGOs beschäftige Afghanen, die befürchten müssen, nach Abzug der USA und ihrer Verbündeten ins Visier des Talibanregimes zu geraten.

Ihr vielfach ungeklärtes Schicksal und ihr Wunsch, das Land Richtung Deutschland zu verlassen, wurde – beginnend mit dem Fall von Kabul – zum Initial für eine neue Zuwanderungsdebatte. Und damit verbunden auch die Befürchtung zuwanderungskritischer Stimmen, dass der Status „Ortskraft“ missbraucht werden könnte für eine neue Massenzuwanderung.

Unbefriedigende Antwort aus dem Innenministerium

2015 wurde beispielsweise viel darüber diskutiert, wer Flüchtling und wer „nur“ Wirtschaftsflüchtling ist und keinen Asylanspruch hat. Heute stehen die „Ortskräfte“ im Fokus der Auseinandersetzung. Und das sogar in einem Maße, dass sich die Unionsfraktion als Oppositionsführer im Deutschen Bundestag jetzt dieser Frage angenommen hat.

Eine Kleine Anfrage der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vom 15. Mai 2023 an die Bundesregierung sorgte auch deshalb für Aufmerksamkeit, weil die Antwort den Fragenden nicht zufriedenstellen konnte.

Unter Drucksache 20/6425 wollte die Union Aufklärung betreffend einer von ihr behaupteten „offensichtlichen Intransparenz des Bundesaufnahmeprogramms Afghanistan“.  Hier irritierte die Fragenden vor allem die Art und Weise der Meldung von Ortskräften in dieses Programm, wer die meldeberechtigte Stellen sind und wie diese Meldungen bearbeitet werden.

Verfahren für 44.000 Afghanen

Mahmut Özdemir, Staatssekretär in Nancy Faesers Innenministerium, antwortete für die Bundesregierung:

Seit Mai 2021 habe die Ampel in den bisherigen Verfahren über 44.000 gefährdeten afghanischen Staatsangehörigen und ihren Familienangehörigen eine Aufnahme nach Deutschland in Aussicht gestellt. Mehr als zwei Drittel dieser Personen, also über 30.000, seien bereits nach Deutschland eingereist.

Was das neue Bundesaufnahmeprogramm für Afghanen angehe, befänden sich die Fälle im Moment noch in einem mehrstufigen Prüfverfahren. Die fragende Unionsfraktion wollte zudem wissen, welche weiteren Aufnahmeprogramme es neben dem Verfahren für Ortskräfte gäbe.

Hier antwortet die Bundesregierung, man habe sich zusätzlich für die Aufnahme „weiterer besonders gefährdeter Afghaninnen und Afghanen, insbesondere aus den Bereichen Menschenrechte, Medien, Kultur und Wissenschaft“ entschieden.

Konkret seien diesbezüglich im vergangenen Jahr 1.709 Personen eingereist. Für diese Menschen seien zusätzlich Aufenthaltsgenehmigungen für 7.602 Familienangehörige erteilt worden.

Mit oder ohne Familienangehörige?

Interessant ist hier, dass die Bundesregierung in ihrer Antwort im Ungewissen lässt, ob es sich bei den 44.000 Aufnahmezusagen im vergangenen Jahr nur um die Antragsteller handelt oder ob hier die Familienangehörigen bereits mitgezählt werden. Denn kämen diese noch hinzu, wäre man hier schnell bei 200.000 zusätzlichen Afghanen, die bereits auf gepackten Koffern säßen.

Eine Kleine Anfrage der Partei „Die Linke“ unter anderem nach der Anzahl des Familiennachzugs beantwortet die Bundesregierung bereits am 28. März 2023:

„Im Schnitt kommen derzeit auf eine vorgeschlagene Hauptperson ca. drei hierzu gemeldete Familienangehörige. Die Angaben lassen sich jedoch nicht verallgemeinern und in der Regel werden unterschiedlich viele Personen angegeben bzw. im Verlaufe des Verfahrens auch noch nachgemeldet.“

Die Ungewissheit über die tatsächliche Anzahl der Afghanen, denen bereits ein Aufenthalt gestattet wurde oder demnächst wird, wird noch dadurch verstärkt, dass die Bundesregierung zwar bestätigt, dass man den Ländern Berlin, Bremen, Thüringen und Hessen zugebilligt hat, über eigene Landesaufnahmeprogramme weitere Afghanen einzufliegen, aber die Bundesregierung nennt auch hier gegenüber der fragenden Unionsfraktionen keine konkreten Zahlen.

Wörtlich heißt es dazu: „Zur Anzahl bereits in diesen Programmen ausgewählter Personen und deren Einreise liegen der Bundesregierung derzeit noch keine Informationen seitens der Länder vor.“

Was die Bundesregierung weiß und in ihrer Antwort auch mitteilt: Laut Ausländerzentralregister seien im Zeitraum von Januar 2022 bis März 2023 52.575 Aufenthaltserlaubnisse bzw. Niederlassungserlaubnisse erteilt worden.

Die Antwort der Bundesregierung macht deutlich, dass es sich längst nicht nur um die Aufnahme von „Ortskräfte“ bezeichneten Personen handelt:

„Die Bundesregierung knüpft mit dem Bundesaufnahmeprogramm für Afghanistan […] an die laufenden Aufnahmen an. […] Hiervon zu unterscheiden ist die Aufnahme von Ortskräften und lokal Beschäftigten, die parallel weiterläuft und auf einer anderen Rechtsgrundlage (§ 22 Satz 2 AufenthG) beruht.“

Keine Angaben zu Obergrenzen bei Aufnahme

Die Unionsfraktion will weiter wissen, wann die Grenze der Aufnahme- und Integrationsfähigkeit nach Meinung der Bundesregierung erreicht sei.

Die Antwort: „Der Bezug zur Aufnahme- und Integrationsfähigkeit in der Aufnahmeanordnung hat seine Grundlage in § 1 AufenthG“.

Aber was bedeutet das konkret? Alles und nichts. Denn § 1 AufenthG fällt keine Entscheidung über eine bestimmte Aufnahme-Obergrenze oder Ähnliches.

Die Unionsfraktion fragt auch nach der Laufzeit des Bundesaufnahmeprogramms. Die Bundesregierung verweist in ihrer Antwort auf „Ziffer 1 der Aufnahmeanordnung vom 19. Dezember 2022“.

Unter „1.“ heißt es da:

„Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) erteilt monatlich bis zu 1.000 Personen […] eine Aufnahmezusage. Die Aufnahme erfolgt grundsätzlich aus Afghanistan.“ Des Weiteren wird festgeschrieben, dass die Bundesregierung nach 18 Monaten eine Überprüfung/Neueinschätzung (Evaluierung) vornehmen will.

Demnach ist das Aufnahmeprogramm nicht befristet.

Einhundert Organisationen  – und noch kein Ortskräftemangel

Was in den Medien für besondere Aufmerksamkeit gesorgt hatte, war die Frage der Union an die Bundesregierung, wer denn eigentlich die Afghanen für das Bundesaufnahmeprogramm melde, wo selbstständige Meldungen nicht vorgesehen sind.

Laut Bundesregierung sind es einhundert meldeberechtigte Stellen, die angehalten sind, „Vorschläge, die an die Bundesregierung herangetragen werden, zuvor auf Plausibilität“ zu prüfen. Die meldeberechtigte Stelle müssten die Gewähr dafür geben, „dass die Informationen zu der vorgeschlagenen Personen plausibel sind“.

Zur Anzahl der beteiligten Organisation schrieb die Bundesregierung bereits Ende März:

„Es gibt derzeit über 100 Organisationen, die die Kriterien als meldeberechtigte Stelle erfüllen und die Möglichkeit haben, Vorschläge an die Bundesregierung heranzutragen. Es handelt es sich hierbei um Nichtregierungsorganisationen.“

Die Linkspartei wollte damals wissen, wie die Zusammenarbeit zustande käme. Antwort der Ampel:

„Meldeberechtigte Stellen werden von der Bundesregierung bestimmt. Interessierte Stellen können sich an die Koordinierungsstelle wenden. Diese wiederum übermittelt solche Anfragen in strukturierter Form an die Bundesregierung, die prüft, ob die Kriterien als meldeberechtigte Stelle erfüllt sind.“

Die Union will wissen, welche meldeberechtigten Stellen (NGO) das genau sind. Die Bundesregierung verweist hier auf eine Antwort, die sie bereits im November 2022 gegeben hatte:

„Die meldeberechtigen Stellen […] legen aus Gründen der Sicherheit Wert darauf, nicht öffentlich benannt zu werden.“

Dort heißt es außerdem, dass allein für die Koordination der Kommunikation zwischen den NGOs und der Bundesregierung „im Augenblick 15 Personalstellen“ finanziert würden.

Die Union will wissen, wie sichergestellt werde, dass die Angaben der „meldeberechtigten Stellen“ valide und zutreffend seien.

Antwort der Bundesregierung:

„Vorschläge, die durch meldeberechtigte Stellen an die Bundesregierung herangetragen werden, sind von diesen zuvor auf Plausibilität zu prüfen.“

Die Auswahl wird kaum überprüft

Außerdem unterstütze man die NGOs bei der Durchführung der Plausibilitätsprüfung. Mit anderen Worten: Die NGOs prüfen es letztlich eigenverantwortlich. Die Union will zudem von der Bundesregierung wissen, was man über gefälschte Dokumente weiß im Zusammenhang mit den Antragstellungen durch die NGOs. Antwort:

„Der Bundesregierung liegen Hinweise auf mögliche Missbrauchsversuche im Rahmen der laufenden Aufnahmeverfahren aus Afghanistan vor, in denen Angaben der Personen zur Bedrohungs- bzw. Gefährdungslage nicht länger zutrafen.“

Die Bundesregierung bestätigt darüber hinaus, dass unter anderem die Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) bereits wieder neue Ortskräfte eingestellt hat. In vereinzelten Fällen hätten diese neu eingestellten Ortskräfte ihrerseits wieder Gefährdungen angezeigt.

Inwieweit nun wiederum die einhundert NGOs ebenfalls wieder neue Ortskräfte angeworben haben, um alte Ortskräfte auszuwählen für das deutsche Bundesprogramm, wird in der Anfrage nicht thematisiert.

Der Fragenkatalog der Unionsfraktion ist dennoch sehr umfangreich. Mit Frage 34 beispielsweise will die Union wissen:

„Findet von der Bundesregierung oder einer beauftragten Stelle eine Beobachtung der sozialen Medien in Afghanistan und Pakistan zum Bundesaufnahmeprogramm zwecks Erkennung möglicher Desinformationen statt?“

Es geht also darum, zu erfahren, ob sich bereits eine Art Geschäftszweig rund um das „Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan“ aufgebaut hat. Antwort der Bundesregierung:

„Die Bundesregierung wertet insbesondere Foren in sozialen Medien aus, die Desinformationsnarrative verbreiten und auch von Schleusern genutzt werden. Diese Auswertungen decken auch Debatten in sozialen Medien in Afghanistan und Pakistan ab. Die Analyse der Debattenräume erfolgt stichprobenartig und erhebt daher keinen Anspruch auf Vollständigkeit.“

Mit anderen Worten: Der Bundesnachrichtendienst (BND) schaut hier nach seinen Möglichkeiten nach Missbrauchsversuchen bezüglich des Aufnahmeprogramms. Hier wäre es für die Union beziehungsweise für Fragesteller anderer Fraktionen womöglich interessant, einmal nachzufragen, ob auf dem Wege auch die Accounts der einhundert nicht genannten NGOs beobachtet werden und mit welchen Ergebnissen.

 



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