„Ihr seid nicht allein“: EU-Regierungschefs besuchen Kiew

In einer Blitzmission starten die Ministerpräsidenten von Polen, Tschechien und Slowenien im Ukraine-Krieg nach Kiew. Aus Sicherheitsgründen fahren sie mit der Bahn. Kanzler Scholz begrüßt den Plan.
Historisches Treffen in Kiew.
Historisches Treffen in Kiew.Foto: Uncredited/Pressebüro des ukrainischen Präsidenten via AP/dpa
Epoch Times16. März 2022

Die Reise ist riskant, das Verkehrsmittel ungewöhnlich. Mit dem Zug sind die Regierungschefs von Polen, Tschechien und Slowenien nach Kiew gereist und haben dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj Solidarität und Unterstützung zugesagt.

„Hier, im vom Krieg zerrissenen Kiew, wird Geschichte geschrieben“, betonte der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki. „Hier kämpft die Freiheit gegen die Welt der Tyrannei. Hier hängt die Zukunft von uns allen in der Schwebe“, teilte er per Twitter mit.

Selenskyj erfreut über Besuch

Morawieckis Stellvertreter Jaroslaw Kaczynski sprach sich der PiS-Partei zufolge für eine internationale Friedensmission etwa der Nato aus, die in der Lage sein sollte, sich zu verteidigen.

„Wir bewundern euren mutigen Kampf“, erklärte der tschechische Ministerpräsident Petr Fiala. „Ihr kämpft um euer Leben, euer Land und eure Freiheit. Wir wissen, dass ihr auch um unser Leben kämpft. Ihr seid nicht allein.“

Sein slowenischer Kollege Janez Jansa meinte, man habe in den vergangenen zwei Jahren viel über europäische Werte gesprochen – meist theoretisch. „Dann haben wir aber bemerkt, dass es europäische Grundwerte tatsächlich gibt. Und dass sie gefährdet sind. Und dass Europäer diese verteidigen. Mit ihrem Leben. In der Ukraine.“

Selenskyj bezeichnete den Besuch nach ukrainischen Medienberichten als großen und mutigen Schritt. In einer Zeit, in der viele ausländische Botschaften wegen des russischen Einmarschs die Ukraine verlassen hätten, würden „diese Führer unabhängiger europäischer Staaten“ zeigen, dass sie keine Angst hätten. „Sie sind hier, um uns zu unterstützen. Ich bin sicher, dass wir mit solchen Freunden, mit solchen Ländern, Nachbarn und Partnern wirklich gewinnen können.“

Auch der ukrainische Regierungschef Denys Schmyhal lobte die Courage seiner Kollegen. „Der Mut der wahren Freunde der Ukraine“, schrieb Schmyhal bei Twitter.

„Delegation vertritt die EU“ – oder doch nicht?

Der Besuch war nach Darstellung eines polnischen Regierungssprechers unter strengster Geheimhaltung in Absprache mit EU und Nato geplant worden. Die Visite sei eng mit EU-Ratspräsident Charles Michel und EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen abgestimmt: „Die Delegation vertritt de facto die Europäische Union, den Europäischen Rat“. Aus EU-Kreisen heißt es dagegen, es gebe kein offizielles Mandat des Europäischen Rates, da formell kein Beschluss der 27 EU-Länder gefasst worden sei. Nach Angaben des Sprechers von Michel wurden von der Leyen und Michel selbst am Rande eines EU-Gipfels Ende vergangener Woche über ein mögliches Treffen informiert.

In Warschau nutzt der Regierungssprecher die Frage, warum die EU-Spitze nicht selbst nach Kiew fahre, zu einem Seitenhieb gegen die Brüsseler Bürokraten. „Dies ist eine schwierige Frage, aber es ist eine Frage der individuellen Entscheidungen jedes europäischen Spitzenpolitikers.“ Haben von der Leyen und Michel nicht genug Mumm in den Knochen für den Höllentrip nach Kiew? Ein EU-Beamter räumt später ein, der EU-Ratspräsident habe mit Blick auf eine solche Reise auf Sicherheitsrisiken hingewiesen. Die Frage danach, warum von der Leyen nicht mit im Zug sitze, nennt er nur „kurios“.

Kanzler Scholz: „Alle Gesprächsformate nutzen“

Bundeskanzler Olaf Scholz äußerte sich positiv zur Reise nach Kiew. Es gehe derzeit darum, „alle Gesprächsformate zu nutzen und die auch aufrecht zu erhalten“, sagte der SPD-Politiker in Berlin. Es sei „gut, wenn auf verschiedene Weise versucht wird, in dieser Situation hilfreich zu sein“.

Auch Unionsfraktionschef Friedrich Merz (CDU) würdigte die Reise nach Kiew als mutigen Schritt. Die Union sehe mit allergrößtem Respekt, was die drei Politiker auch an persönlichem Risiko auf sich nähmen, „um die Solidarität nicht nur der drei Länder, sondern auch der gesamten Europäischen Union noch einmal zu unterstreichen“, sagte Merz vor einer Sitzung der Bundestagsabgeordneten von CDU und CSU in Berlin. Auf die Frage, ob er sich einen solchen Schritt auch von Kanzler Scholz erwarte, sagte Merz, eine solche Reise „könnte durchaus ein Vorbild sein auch für andere“.

„Gefährliche“ Reise

Die Reiseroute blieb zunächst streng geheim. Morawieckis Kanzleichef Michal Dworczyk verriet nur, dass der Sonderzug in Przemysl abgefahren sei. Der Bahnhof der ostpolnischen Stadt hat ein Gleis in russischer Breitspur, die auch in der Ukraine verlegt ist. Aus der Gegenrichtung kommen dort ständig überfüllte Züge an. Sie bringen Tausende von verzweifelten Menschen, die aus der Ukraine vor dem Krieg fliehen.

Kanzleichef Dworczyk wollte am Abend die Frage nicht beantworten, ob die Spitzenpolitiker die Nacht in Kiew verbringen oder sofort nach dem Treffen mit Selenskyj wieder mit ihrem Sonderzug zurück nach Polen fahren. Aus Sicherheitsgründen werde man über die Details der Reise erst informieren, wenn die Delegation wohlbehalten zurückgekehrt sei. Für Mittwochvormittag kündigte Tschechiens Ministerpräsident Fiala ein Briefing auf dem Militärflugplatz Prag-Kbely an. (dpa/red)



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