Holland in der Zwickmühle: Ein klares Nee richtet sich gegen Europa
Die Wähler zeigen Europa die gelbe Karte, und zugleich tut sich eine tiefe Kluft im Land auf. „Erneut hat die Wut eine Stimme bekommen“, kommentierte „De Volkskrant“.
Die etablierten Parteien in Den Haag sind entsetzt und ratlos. Die Euroskeptiker aber jubeln. Und der umstrittene Geert Wilders prophezeit bereits: „Dies ist der Anfang vom Ende der EU.“
Eigentlich ging es doch nur um das EU-Assoziierungsabkommen, das den Handel mit der Ukraine und politische Reformen in dem Land erleichtern soll? Fehlanzeige.
Kaum ein Niederländer hatte den Vertrag gelesen, die Debatte war chaotisch verlaufen, und viele Wähler waren am Ende ratlos. Doch das Votum zum Abkommen war deutlich: Nee.
Bei dem Referendum ging es auch nur zum Teil um das über 300 Seiten umfassende Vertragswerk. Die beiden europa-skeptischen Initiativen, die das Referendum erzwangen, wollten vor allem ein Votum gegen die „undemokratische EU“. Kurz vor der Abstimmung gaben sie zu: „Die Ukraine interessiert uns nicht.“
Es war ein „erster Schritt zu einem Nexit“, wie sie sagten – ein Austritt der Niederlande aus der EU. Doch darüber dürfen sie nach dem neuen Referendum-Gesetz gar nicht abstimmen. Das EU-Abkommen war für die Euro-Skeptiker daher ein willkommener Anlass, ein Zeichen zu setzen. Eine Faust „gegen die Brüsseler und Haager Elite“, sagte Wilders.
Für die etablierten Parteien kann das deutliche Nein keine Überraschung sein. Schon lange gärt es im Volk. Erst kam die Griechenlandkrise, dann die lange Rezession und nun zuletzt der Zustrom der Flüchtlinge, gegen den sich viele Niederländer vor allem in der Provinz auch mit Gewalt zur Wehr setzten.
Viele Niederländer fühlen sich machtlos gegenüber den Mächtigen in Den Haag oder Brüssel. Sie haben den Eindruck, dass sie keinerlei Einfluss auf die Entscheidungen in Europa haben und dass sie im eigenen Land, das sie liebevoll „kikkerlandje“ (Froschländchen) nennen, nicht mehr das Sagen haben.
Von dem latenten Unmut profitiert bereits seit über zehn Jahren der Wilders, der von Kritikern fremdenfeindlich und rechtspopulistisch genannt wird. Der 52-Jährige kämpft nicht nur erklärterweise gegen den sich ausbreitenden radikalen Islam, sondern ausdrücklich auch die „übermächtige EU“. Nachdem seine „Partei für die Freiheit“ bei den letzten vier Wahlen verloren hatte, ist er nun wieder im Aufwind – dank der Flüchtlingskrise. In den Umfragen ist er aufgestiegen zur stärksten politischen Kraft im Lande.
Das deutliche Ergebnis der Volksabstimmung bringt die Regierung in eine Zwickmühle. Ministerpräsident Mark Rutte kündigte bereits an: „Wenn das Referendum gültig ist, dann können wir den Vertrag nicht einfach so ratifizieren.“
Doch was geschieht nun? Muss der rechtsliberale Premier seine Unterschrift zurück ziehen und in Brüssel neue Verhandlungen fordern? Das wäre eine Blamage für die Niederlande, die zur Zeit die EU-Ratspräsidentschaft haben.
Die Koalition kann die Stimme des Volkes aber nicht ignorieren. Das wäre Öl aufs Feuer der Euroskeptiker. Rutte und auch sein sozialdemokratischer Koalitionspartner müssen handeln. Denn im nächsten Frühjahr wird ein neues Parlament gewählt. Nach den Umfragen müssen beide Regierungsparteien mit großen Verlusten rechnen und das Land droht sogar, bei einem Wahlsieg von Wilders unregierbar zu werden. Denn eine Zusammenarbeit mit dem Rechtsaußen lehnen die übrigen Parteien ab – vorläufig.
Das Referendum zeigt bereits, wie tief gespalten das Land ist. Zwei Drittel der rund 13 Millionen Wahlberechtigten gingen erst gar nicht zur Abstimmung. Dazu gehört auch die große Gruppe der Europa-Freunde. Sie aber haben in Den Haag kaum eine Lobby. Premier Rutte selbst macht nie einen Hehl daraus, dass er kein Europa-Fan ist. „Ich bin kein Freund von europäischen Visionen“, sagte er noch zu Beginn der niederländischen EU-Ratspräsidentschaft im Januar. (dpa / rf)
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